Der deutsche Trainer hat den FC Liverpool geprägt – mit Fussballsachverstand, aber mehr noch durch seine mitreissende Art. Er geht als Volksheld.

Der Abschied von Jürgen Klopp als Trainer des Liverpool Football Club zum Saisonende beschäftigt selbst grosse Persönlichkeiten aus anderen Branchen. Kürzlich wartete der berühmte Gitarrist Eric Clapton bei einem Konzert in Liverpool mit einer überraschenden Soloeinlage auf, in der er nicht etwa einen seiner Klassiker wie «Wonderful Tonight» oder «Tears in Heaven» präsentierte – sondern die Liverpooler Klubhymne «You’ll Never Walk Alone». Ein Raunen ging durch das Publikum, bevor die Leute den Refrain begleiteten. Am Ende sagte Clapton, der Einschub sei «für Jürgen» gewesen, womit ziemlich unzweifelhaft Jürgen Klopp gemeint war.

Eric Clapton performs "You'll Never Walk Alone" in Liverpool, dedicating it to Jurgen Klopp #lfc

Seit seiner Rückzugsankündigung im Januar steht der 56-Jährige im Mittelpunkt des englischen Fussballs wie sonst niemand. Unentwegt wird auf Klopps achteinhalbjährige Amtszeit am River Mersey zurückgeblickt; seine verbleibenden Liverpool-Spiele werden sentimental heruntergezählt wie ein Countdown – der letzte Europacup-Abend, die letzte Auswärtsreise und nun am Sonntagnachmittag das wirklich letzte Heimspiel mit Klopp: Liverpool empfängt zum Abschluss der Premier-League-Saison die Wolverhampton Wanderers an der Anfield Road.

Horrende Preise auf dem Schwarzmarkt

Das Spiel wirkt praktisch wie Hintergrundmusik. Die Anhängerschaft kommt diesmal ausnahmsweise nicht in erster Linie wegen der Partie ins Stadion, sondern um sich bei Klopp zu bedanken. Die Schwarzmarktpreise sind auf dem Niveau von Finaltickets; alle wollen ein allerletztes Mal den Trainer sehen. Vermutlich hätte sogar niemand etwas dagegen, wenn die TV-Sender anstelle des Matches neunzig Minuten Jürgen Klopp an der Seitenlinie zeigen würden – so tief geht die Verehrung des Deutschen.

Die Fans haben sein Vermächtnis auf ein Banner gedruckt. Darauf zu sehen sind alle Titel, die Klopp mit den Reds gewonnen hat, die Sammlung ist vollständig: die Champions League, die Premier League, die Klub-WM, der FA Cup und der League Cup. Dazu ist zu lesen: «Danke für alles, Jürgen – Erinnerungen auf Lebzeiten.»

An diese Erfolge schloss sich im Februar ein zweiter und finaler Triumph im League Cup an, womit garantiert ist, dass Klopp mit den Spielern bei seiner Abschiedsparty nicht nur mit Pints in den Händen dastehen wird. Jener Sieg gegen Chelsea stand auf ganz spezielle Weise für den Einfluss des Trainers, es war einer des Willens, des Glaubens, der Beharrlichkeit, des Widerstands, des Nicht-Aufgebens.

Zu diesem Zeitpunkt sah es sogar aus, als könnten weitere Titel in dieser Spielzeit folgen. In allen Wettbewerben lag Liverpool damals aussichtsreich im Rennen. Allerdings stürzte die Equipe innert acht Tagen im April fulminant ab, es schien eine Folge der vorherigen Anstrengungen und Verletzungsprobleme zu sein. Nach dem Liga-Remis bei Manchester United – bei welchem dem Verteidiger Jarell Quansah in Führung liegend ein vergleichbares Malheur unterlief wie einst dem Liverpool-Captain Steven Gerrard im verlorenen Titeldreikampf 2014 – verlor der Verein auch gegen Crystal Palace und erlitt eine weitere Niederlage gegen Atalanta Bergamo in der Europa League, die zum Viertelfinal-Aus führte.

Ein Freund der Schiedsrichter war der Trainer nie

In drei der vergangenen vier Saisons wurde Klopps Liverpool massgeblich durch die Ausfälle mehrerer Führungsspieler zur selben Zeit ausgebremst. Dem Frust darüber verschaffte der Trainer immer wieder Luft, am meisten schimpfte er über den erbarmungslosen Terminkalender und die zu kurzen Regenerationsphasen. Kürzlich betonte er, nie mehr den Bezahlsender TNT einschalten zu wollen, weil der die ungeliebten Samstagmittagspartien überträgt. Mit seinen emotionalen Einlassungen, auch zu Schiedsrichtern, stiess er nicht immer nur auf Verständnis in England.

Wenig gewogen scheinen ihm Liverpools grosse Rivalen zu sein, der FC Everton und Manchester United. Beide Vereine hatten unter der Popularität von Klopp und seinen Erfolgen besonders zu leiden. Sie standen trotz ihrer eigenen Grösse immerzu im Schatten. Und das bekam Klopp kürzlich bei den Auswärtsspielen gegen diese Gegner zu spüren, als sie ihn uncharmant verabschiedeten. Die United-Fans skandierten höhnisch «Jürgen’s cracking up», Jürgen bricht ein. Und als die Liverpooler Meisterträume in Everton endgültig den Mersey runtergingen, riefen die Fans des Stadtnachbarn: «You lost the league at Goodison Park», ihr habt die Liga im Goodison Park verloren.

Doch die verpassten Titel, darunter die zwanzigste Meisterschaft, mit der Liverpool zum Rekordhalter Manchester United aufgeschlossen hätte, ändern nichts an Klopps Status. Er hat zwar in gewisser Weise am Ende dieser Saison alles verloren, aber in Sachen Zuneigung dafür gewonnen. Dass Klopp in seiner Trainerlaufbahn vor allem in Endspielen häufiger knapp scheiterte, als er siegte, macht es dem Grossteil des Publikums, dem es meistens genauso ergeht, leichter, sich mit ihm zu identifizieren. Da ist der Fussball nicht anders als das Leben.

Die Gratulanten stehen Schlange

Der Match bei Aston Villa letzten Montag spiegelte Liverpools Saisonverlauf noch einmal – 3:3 nach einer 3:1-Führung, die entscheidenden zwei Gegentore fielen per Doppelschlag in der Endphase. Das Spiel wirkte wie der sportliche Schlussstrich unter diese Spielzeit, auch weil sich am dritten Tabellenplatz des Vereins nichts mehr ändern wird. Nach Abpfiff lief Klopp zu den eigenen Fans, die während der Partie in Dauerschleife zur Melodie des Beatles-Klassikers «I Feel Fine» die für ihn umgedichtete Liedstrophe «I’m so glad that Jürgen is a Red» sagten. Ich bin so glücklich, dass Jürgen ein Roter ist.

Eine halbe Ewigkeit verweilte der sichtbar gerührte Jürgen Klopp vor dem Anhang, die rechte Hand legte er auf sein Herz, die linke drüber. Immer wieder wollte er sich zum Stadionausgang aufmachen, drehte sich aber dann doch wieder um. Er konnte ebenso wenig loslassen wie die Fans. Er verneigte sich und winkte mehrmals anerkennend ins Publikum. Tränen waren in seinem Gesicht wahrscheinlich nur deshalb nicht zu erkennen, weil es über Birmingham schüttete, als wäre ein ganzer Ozean ausgekippt worden.

Ist eine Steigerung am Sonntag überhaupt noch vorstellbar? Klopps Konterfei ist auf zahlreichen Häuserwänden rund um Anfield zu sehen, die Leute bedanken sich schon seit einiger Zeit bei ihm mit Geschenken, die Gratulanten stehen Schlange. Dass nun selbst Eric Clapton ihm die Ehre erwies, verstärkt den Eindruck von ihm als Volkshelden. Die Hommage dürfte den bekennenden Rock-Fan Klopp gefreut haben. Wäre er vor Ort gewesen, hätte er bestimmt mitgesungen.

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