Donnerstag, Januar 16

Der Abgang seiner Chefin macht den viel gescholtenen Armeechef vorerst unersetzlich. Doch der Berufsoffizier muss dringend die IT-Probleme in den Griff bekommen. Sonst könnte es eng werden für ihn.

Kurz nach ihrem Amtsantritt im Januar 2019 hatte Viola Amherd unverhofft das Glück, eine der wichtigsten Schlüsselstellen neu besetzen zu können: jenen des Chefs der Armee. Im April 2019 trat der bisherige Amtsinhaber Korpskommandant Philippe Rebord nämlich überraschend zurück. Ausschlaggebend waren gesundheitliche Gründe. Amherd setzte gleich eine Duftmarke, fiel ihre Wahl doch überraschend auf Thomas Süssli. Zum ersten Mal in der Geschichte dieses Amtes, das es erst seit dem 1. Januar 2004 gibt, stand damit kein langjähriger Berufsoffizier an der Spitze des Departementsbereichs Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS).

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Damit erging es Süssli ähnlich wie seiner neuen Chefin: Er war ein Neuling. Bevor er 2015 Berufsoffizier wurde, arbeitete der studierte Wirtschaftsinformatiker erfolgreich als Banker, unter anderem für UBS, CS und Vontobel. Mit 52 Jahren war der Informatikspezialist bei seiner Wahl durch den Bundesrat vergleichsweise jung.

«Ein starkes Team»

«Ich habe Amherd und Süssli als starkes Team erlebt», sagt die SP-Nationalrätin Priska Seiler-Graf. «Die Verteidigungsministerin hat ihrem Chef der Armee vertraut und er hatte grosse Freiheiten unter ihr.» Süssli legte einen guten Start hin, insbesondere wenn man die Herausforderungen berücksichtigt, mit denen er sich unerwartet konfrontiert sah: Die Corona-Pandemie löste die grösste Mobilmachung seit dem Zweiten Weltkrieg aus. Nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs im Februar 2022 muss die Armee wieder verteidigungsfähig werden. Sie bekommt dafür zwar deutlich mehr Geld, aber die Projekte werden grösser und komplexer.

Dies führt zu sich häufenden Probleme bei zahlreichen Beschaffungs- und Informatikprojekten. Süssli geriet zunehmend in Bedrängnis. Als Radio und Fernsehen im Februar 2024 von einem «Milliardenloch in der Armee» berichteten, zog sich Amherd zurück und überliess es Süssli, die Öffentlichkeit zu informieren. Doch er schuf ein kommunikatives Debakel, als er von einem «Liquiditätsengpass» sprach, was Politiker von Links bis Rechts aufschreckte. Die Finanzkommissionen schalteten sich ein. Verteidigungsministerin Viola Amherd musste schliesslich die Wogen glätten. Gemäss Beobachtern war nach diesen Vorfällen das vorher ungetrübte Verhältnis zwischen Amherd und Süssli nicht mehr dasselbe. Süssli suchte im vergangenen Jahr immer weniger die grosse Bühne für seine Auftritte.

Kaum eine Woche verging, ohne dass Medienberichte oder Leaks aus parlamentarischen Kommissionen für Aufregung sorgten. Spätestens seit sich die Meldungen überschlagen, dass wichtige Projekte der Armee wie die neue Digitalisierungsplattform, die Software für die Kriegslogistik oder die Luftraumüberwachung sich verspäten, nicht oder nur mangelhaft funktionieren, ist die Politik beunruhigt. Denn es geht um viel Geld. Die Kosten für diese Projekte belaufen sich auf 19 Milliarden Franken. Sowohl die Finanzdelegation der eidgenössischen Räte als auch die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates meldeten sich mit Warnbriefen zu Wort.

Die Mitte-Ständerätin Andrea Gmür spricht von einem «einem widerwärtigen Trommelfeuer von Behauptungen und Falschmeldungen, die von allen Seiten und wegen unzähliger Leaks auf die Armee niederprasseln». Leider schien ein Teil dieser Angriffe auch aus der von ihr präsidierten Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats zu kommen. «Ich werde daher an der nächsten Sitzung im Februar zur Diskussion stellen, ob wir Strafanzeige gegen Unbekannt stellen wollen», sagt sie. Gmür bedauert den Rücktritt Amherds sehr. Sie weist darauf hin, dass Süssli deshalb eine noch wichtigere Rolle einnehmen wird. «Der Korpskommandant leistet ganze Arbeit, ist ausserordentlich kompetent. Der Nachfolger oder die Nachfolgerin als VBS-Chef ist auf Süssli angewiesen. Es hängt nun noch mehr an ihm», sagt die Mitte-Politikerin.

Die heftigste Kritik kam von der SVP. Diese gipfelte am vergangenen Samstag in einer Art Zangenangriff. Thomas Süssli musste sich als Gast der SVP-Kadertagung vor Ort anhören, in welch schlechtem Zustand sich die Schweizer Armee sich momentan befindet. Von der Rücktrittsforderung, die die SVP nach der Tagung an Amherd richtete, wurde Süssli überrascht, ohne seine Chefin verteidigen zu können.

Mit der überraschend schnellen Umsetzung dieser Forderung scheint der Dampf vorerst aus dem Kessel zu sein. Der SVP-Ständerat Werner Salzmann fände es falsch, wenn nun auch noch der Chef der Armee den Hut nehmen würde. «Die Gesamtverteidigungsstrategie fehlt noch und die neue Struktur der Armee, das schwarze Buch, muss durch den neuen Departementschef endlich in den Gesamtbundesrat gebracht werden», sagt der Berner Standesvertreter.

Salzmann hofft, dass diese Chance genutzt wird, um die bestehenden Probleme bei IT, Führung und Management mit neuem Schwung anzupacken. «Ein sofortiger Wechsel auf dem Posten des Chefs der Armee wäre dabei kontraproduktiv», sagt Salzmann. Dies nicht zuletzt, weil zahlreiche andere Führungspositionen wie unter anderem die Spitze von Ruag und Armasuisse sowie der Chef des Armeestabs in jüngster Vergangenheit neu besetzt bzw. ausgewechselt worden seien.

Auch aus der Sicht von Seiler-Graf wäre ein freiwilliger oder erzwungener Rücktritt Süsslis ein falsches Signal. «Ich schätze den Chef der Armee aufgrund seiner bisherigen Tätigkeit so ein, dass er den Karren selber wieder flott machen will», sagt die Zürcher SP-Nationalrätin. Mit der Schaffung des Cyberkommandos habe Süssli einen sehr wichtiges Ziel erreicht.

Besorgt ist Graf angesichts der gewaltigen Probleme hingegen, dass es nun vorerst zu einem Vakuum an der Departementsspitze kommt. «Insbesondere was die Zukunft des Schlüsselprojekts Neue Digitalisierungsplattform betrifft, muss jemand entscheiden, ob nicht der Zeitpunkt gekommen ist, den Stecker zu ziehen. Dies kann nur die neue Departementschefin oder der neue Departementschef sein», sagt Graf.

Die schwierige Situation, in der sich der Armeechef derzeit befindet, ist allerdings keine Besonderheit – seine Vorgänger hatten alle mit grossen Herausforderungen zu kämpfen und einige Skandale zu bewältigen.

So suchte der damalige Verteidigungsminister Samuel Schmid einen Mann fürs Unmögliche, als die Stelle 2002 erstmals ausgeschrieben wurde. Der Armeechef musste den Umbau der Armee von einem Massenheer mit 360 000 auf 120 000 Dienstleistende vorantreiben. Überraschend machte nicht einer der Favoriten das Rennen, sondern Christophe Keckeis, der stellvertretende Kommandant der Luftwaffe. Der damals 57-jährige Divisionär habe «die Fähigkeit, auch in nebligen Lagen richtig zu navigieren», erklärte Bundesrat Schmid bei seiner Ernennung.

Tatsächlich war der Mann mit dem Schnauzbart lange Zeit der richtige Mann für die turbulenten Jahre des Umbruchs. Wer wie Keckeis 1977 auf dem Militärflugplatz Payerne (VD) die Kollision von zwei Mirages III überlebt hatte, den konnte so leicht nichts erschüttern. Als guter Kommunikator verstand er es, die Armeereform nach aussen zu verkaufen.

Kurz vor seinem Ausscheiden übertrieb er es jedoch mit der Selbstdarstellung. Keckeis veröffentlichte eine Festschrift, mit Artikeln, die vor allem Eigenlob enthielt und Politiker wie Verteidigungsminister Schmid kritisierte. Tief getroffen, liess Schmid die für das Buch vorgesehenen Steuergelder streichen und unterband die Abgabe an die höheren Armeekader. Keckeis starb 2020.

Über Stalking-Affäre gestolpert

Im Juni 2007 wählte der Bundesrat Brigadier Roland Nef, den Kommandanten des Lehrverbandes Panzer/Artillerie, zum neuen Armeechef. Bundesrat Schmid verschwieg seinen Kollegen in der Landesregierung, dass gegen Nef zu diesem Zeitpunkt eine Strafanzeige wegen Nötigung lief.

Der Berufsoffizier hatte seine Ex-Partnerin nach der Trennung mit SMS und E-Mails belästigt, sowie in ihrem Namen Sexinserate beantwortet und sie damit der Belästigung durch fremde Männer ausgesetzt. Schmid kannte offenbar den genauen Sachverhalt nicht und ging davon aus, dass das Verfahren bis zum Amtsantritt von Nef eingestellt würde.

Mitte Juli 2008 machte die «Sonntags-Zeitung» die Vorwürfe publik. Die Armee stand zu diesem Zeitpunkt ohnehin in der Kritik. Mitte Juni waren bei einem Schlauchboot-Unglück auf der Kander fünf Armeeangehörige ums Leben gekommen. Untersuchungen ergaben, dass bei den Vorbereitungen geschlampt worden war. Trotzdem sprach Bundesrat Schmid, der kurz zuvor seinen Austritt aus der SVP angekündigt hatte, Nef das Vertrauen aus.

Kurz darauf tauchten in den Medien neue Details zu den Belästigungsvorwürfen auf. Nef war damit unhaltbar geworden. Am 21. Juli 2008 beurlaubte Schmid den Chef der Armee vorübergehend. Nef kam einer möglichen Absetzung zuvor, indem er vier Tage später seinen Rücktritt einreichte.

Neuer Chef der Armee wurde André Blattmann, der dieses Amt bis 2016 innehatte. Der Berufsoffizier sorgte immer wieder mit unverblümten Aussagen für Kritik. Durch eine Indiskretion wurde im März 2010 bekannt, dass Blattmann eine Karte präsentiert hatte, auf der Spanien, Frankreich, Italien und Portugal als potenzielle Krisenherde Europas markiert waren.

In einer Rede vor über 150 Generalstabsoffizieren ärgerte sich Blattmann über die SRF-Sendung «Rundschau», die vertraulichen Dokumente zur Beschaffung des Fliegerabwehrprojekts Bodluv publik gemacht hatte. Den Moderator der Sendung beleidigte er als «Sandro Kotz, äh Brotz». Blattmann entschuldigte sich später bei dem SRF-Mann für seine verbale Entgleisung.

Die grösste Medienpräsenz erreichte Blattmann mit einem Interview, das er im April 2014 der «Schweiz am Sonntag» gab. Der spätere Swiss-Verwaltungsrat machte öffentlich, dass zu Hause einen Notvorrat mit Mineralwasser, Konservenbüchsen und Cheminéeholz bunkert. Der spätere SP-Präsident Cédric Wermuth bezeichnete den Chef der Armee daraufhin auf Twitter (heute X) als «übergeschnappt». Dabei war Blattmann einfach seiner Zeit voraus. Gut zehn Jahre später lancierte das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung eine neue Kampagne, um die Versorgungssicherheit der Haushalte zu verbessern. Blattmann dürfte zur Feier des Tages eine Flasche Mineralwasser geöffnet haben.

Als Nachfolger von Blattmann wählte der damalige VBS-Vorsteher Guy Parmelin 2017 Philippe Rebord. Als Chef der Armee versuchte er, die Armee für junge Soldaten wieder attraktiver zu machen. So schlug er vor, eine Internetviertelstunde für Rekruten einzuführen – während des Dienstes. Auch sollten Rekruten vermehrt Übungen in Turnschuhen absolvieren dürfen.

In Rebords Amtszeit fiel ein Skandal um Spesenexzesse in der Armee. So wurden 2017 für ein Seminar der höheren Stabsoffiziere die 18 Partnerinnen der Offiziere mit Armeehelikoptern aus der ganzen Schweiz nach Sion eingeflogen. Kosten pro Helikopterstunde: 11 000 Franken. Rebord übernahm eine Mitverantwortung für die Exzesse. «Ich entschuldige mich bei allen Menschen in der Schweiz, die zu Recht erwarten, dass wir mit Steuergeldern sorgsam umgehen», erklärte er in der «Samstagsrundschau» von SRF.

Der aktuelle Chef der Armee schlägt sich nicht mit privaten Skandalen oder Spesenexzessen herum. Er muss die Schweizer Armee wieder verteidigungsfähig machen und kämpft mit deutlich grösseren Problemen.

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