Montag, November 17

Die Achse des Widerstands ist zerbrochen. Die Serie von Niederlagen macht die Islamische Republik allerdings noch unberechenbarer. Um nicht zu einem Nordkorea zu werden, müsste Iran seine eigene Schwäche eingestehen.

Für Ayatollah Ali Khamenei ist klar, wer hinter dem Sturz des syrischen Diktators Bashar al-Asad steckt: «Es gibt keinen Zweifel daran, dass das, was in Syrien passiert ist, in den Kommandozentralen der USA und Israels geplant wurde», sagte der mächtigste Iraner am vergangenen Mittwoch. Es war sein erster Auftritt vor Publikum seit dem geopolitischen Erdbeben, das sich am 8. Dezember in Damaskus ereignet hatte. Seine Worte dürfen nicht überraschen: Das Zionisten-Komplott wird immer dann aus der rhetorischen Mottenkiste geholt, wenn es für Iran gerade nicht so gut läuft.

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Dennoch war der greise Revolutionsführer darum bemüht, Stärke zu demonstrieren. Iran und der «Widerstand» würden in Zukunft nur noch mächtiger werden, sagte Khamenei. Darauf skandierte die Menge den altbekannten Slogan «Tod Amerika! Tod Israel!», während der Ayatollah zittrig in seinem Stuhl sass und ins Mikrofon hustete.

Dabei kann nichts darüber hinwegtäuschen, dass Iran spätestens seit dem Fall des Asad-Regimes vor einem gewaltigen Scherbenhaufen steht. Von der sogenannten «Achse des Widerstands», die Iran in den vergangenen Jahren in mühseliger Arbeit aufgebaut hatte, ist nicht mehr viel übrig. Die Überreste der Hamas siechen in den Ruinen des Gazastreifens vor sich hin, der libanesische Hizbullah ist entscheidend geschwächt, und nun hat Iran mit Asad auch noch seinen ältesten Verbündeten in der Region verloren.

Hätte Khamenei gewusst, was auf ihn zukommt, hätte er den inzwischen getöteten Hamas-Chef Yahya Sinwar wohl mit allen Mitteln von seinem mörderischen Überfall auf Israel abgehalten. Der Zivilisationsbruch vom 7. Oktober 2023 hat eine Kettenreaktion ausgelöst, die die iranische Regionalpolitik kollabieren liess.

Die iranische Abschreckung in der Krise

Zwei Grundprinzipien der Aussenpolitik Teherans haben sich in diesem Jahr in Luft aufgelöst: Erstens, dass Iran seinen Einfluss über ein Netzwerk von verbündeten Milizen und Staaten in die ganze Region projizieren konnte. Zweitens, dass das Regime dadurch Konflikte vom eigenen Staatsgebiet fernhielt. Mit seinen Raketensalven auf Israel im April und im Oktober hat sich Iran allerdings mitten ins nahöstliche Getümmel gestürzt – und die Quittung dafür erhalten.

Nach den israelischen Gegenschlägen steht Iran weitgehend blank da: Glaubt man den Israeli, wurde die iranische Flugabwehr weitgehend ausgeschaltet und die Fähigkeit zur Raketenproduktion stark dezimiert. Am Horizont droht derweil weiteres Ungemach für Teheran. In wenigen Wochen wird mit Donald Trump ein Präsident ins Weisse Haus einziehen, der gelobt hat, eine Strategie des «maximalen Drucks» gegen Iran aufzufahren.

Das iranische Regime befindet sich in der schwächsten strategischen Position seit Jahrzehnten und ist gezwungen, seine Regionalpolitik neu auszurichten. Die grosse Frage wird nun sein, wie es dabei vorgehen wird. Klar ist: Seine Schwäche macht den Gottesstaat umso unberechenbarer.

In erster Linie dürfte Teheran nun versuchen, seine Abschreckung gegen aussen wiederherzustellen. Theoretisch könnte es dazu seine verbliebenen Verbündeten weiter stärken – proiranische Milizen im Irak sowie das Huthi-Regime in Jemen. Mit ihren Angriffen auf Frachter im Roten Meer können die Huthi den Welthandel durchaus empfindlich stören. Doch damit lässt sich nur begrenzt auf den Erzfeind Israel einwirken. Syrien war die wichtigste Drehscheibe für Khamenei, um islamistische Milizen aufzurüsten und Israel in Schach zu halten: Laut Experten hatte Iran seit 2011 zwischen 30 und 50 Milliarden Dollar ins syrische Regime gepumpt.

Die Versuchung der Atombombe

Will Iran eine wirksame Kulisse der Abschreckung errichten, bleibt der Islamischen Republik eigentlich nur noch ein Mittel: die Atombombe. Die iranische Führung spielt schon lange mit diesem Gedanken – nun könnte sie angesichts der Serie von Niederlagen versucht sein, diesen drastischen Weg zu Ende zu gehen.

In letzter Zeit haben sich die Anzeichen dafür gehäuft: Mehrere iranische Politiker haben in den vergangenen Monaten laut darüber nachgedacht, die iranische Nukleardoktrin anzupassen. Jüngst hat Iran Tausende neue Zentrifugen in Betrieb genommen und so die Produktionsrate von hoch angereichertem Uran laut Angaben der Internationalen Atomenergieagentur vervielfacht.

Heute verfügt Iran über rund 200 Kilogramm Uran mit einem Anreicherungsgrad von 60 Prozent. Daraus liesse sich theoretisch innerhalb von rund einer Woche waffenfähiges Uran für mehrere Atombomben herstellen. Zwar würde der Bau eines atomaren Sprengkopfs wohl mehrere Monate in Anspruch nehmen – das nötige Fachwissen dürfte allerdings durchaus vorhanden sein. Auch die amerikanischen Geheimdienste sind zunehmend besorgt, dass Iran bald mit der Produktion von Atombomben beginnen könnte.

Gleichzeitig ginge Teheran ein existenzielles Risiko ein, sollte es seine nuklearen Ambitionen in die Tat umsetzen. Israel ist gewillt, dies um jeden Preis zu verhindern – und steht in den Startlöchern. Am vergangenen Donnerstag teilte die israelische Luftwaffe mit, dass sie sich für Angriffe auf das iranische Atomprogramm bereithalte und vorbereite. Nach dem Sturz Asads haben israelische Kampfjets vorsorglich die verlassenen Flugabwehrstellungen der syrischen Armee pulverisiert und damit die Flugstrecke nach Iran weitgehend freigeräumt.

Schon nach dem iranischen Raketenangriff vom 1. Oktober hatten mehrere israelische Politiker dafür plädiert, nun die Gelegenheit zu ergreifen und das iranische Atomprogramm zu zerstören. Experten zweifeln allerdings daran, dass die israelische Luftwaffe eine solch komplexe und aufwendige Operation im Alleingang durchführen könnte – im Idealfall erhielte sie dafür militärische Unterstützung aus den USA.

Trump: Dealmaker oder Kriegstreiber?

Genau dieses Szenario, das unter Joe Biden noch ausgeschlossen war, könnte nun Realität werden. Wie das «Wall Street Journal» berichtet, erwägen Donald Trump und sein Team präventive Luftangriffe auf Iran, um es vom Bau der Atombombe abzuhalten. So seien manche Trump-Berater überzeugt, dass die bisherige Strategie mit Sanktionen und wirtschaftlichem Druck nicht ausreiche, um Teheran einzudämmen.

Allerdings ist das Risiko, dass eine solche Aktion scheitert oder nicht den gewünschten Effekt erzielt, relativ gross. Die iranischen Nuklearanlagen sind im ganzen Land verteilt. Die wichtigsten Einrichtungen zur Anreicherung von Uran befinden sich entweder tief unter dem Boden oder im Inneren eines Berges. Im schlimmsten Fall würde ein solcher Angriff die nuklearen Pläne Teherans noch zusätzlich beschleunigen und zu einem verheerenden Raketenkrieg im Nahen Osten führen.

Gleichzeitig ist klar, dass sich Trump lieber als Friedensbringer denn als Kriegstreiber präsentiert. Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass er zunächst mit Drohungen, der Verlegung von Flugzeugträgern und neuen Sanktionen Druck aufbaut, um Iran zum Einlenken zu bringen. Möglicherweise könnte er gar ein neues Nuklearabkommen nach seinem Gusto anpeilen. Einem guten Deal war Trump noch nie abgeneigt.

Auch Irans Präsident Masud Pezeshkian, der im Juli als sogenannter «Reformer» überraschend gewählt wurde, hat immer wieder Irans Bereitschaft zu Verhandlungen betont und versucht, sein Land auf der internationalen Bühne zu rehabilitieren.

Doch in den Teheraner Machtzirkeln ist der von Hardlinern umringte Khamenei tonangebend, der weiterhin den persischen Grossmachtphantasien anhängt. Zudem würde Trump von den Iranern wohl verlangen, die hegemonialen und nuklearen Ambitionen zu beerdigen. Teheran müsste seine eigene Schwäche eingestehen – das wäre eine Todsünde in der nahöstlichen Hackordnung, wo in erster Linie die Stärke zählt.

Israelische Anschubhilfe für einen iranischen Umsturz?

Letztlich könnte Iran auch versuchen, in der nuklearen Ambiguität zu verharren und weiterhin die hypothetische Atombombe als Schreckgespenst einzusetzen. Doch auch in diesem Szenario müsste Iran damit rechnen, dass Israel früher oder später versuchen würde, diesem Spiel ein Ende zu setzen.

Die israelische Führung ist in den vergangenen Monaten offensichtlich zur Einsicht gelangt, dass sich das Machtgefüge im Nahen Osten am besten mit militärischen Mitteln verschieben lässt. Manche gehen in Israel auch davon aus, dass sich mit Angriffen auf iranische Regierungseinrichtungen ein Umsturz des Teheraner Regimes zumindest anschieben liesse. Es ist wohl kein Zufall, dass sich Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu jüngst zum dritten Mal innert wenigen Monaten in einer Videoansprache direkt an das iranische Volk richtete und sagte: «Eines Tages wird Iran frei sein.»

Der greise Ayatollah dürfte derzeit schlaflose Nächte verbringen. Er steht vor schwierigen Entscheidungen – keine wird ihm Ruhe und Sicherheit garantieren.

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