Bundeskanzler Olaf Scholz will, dass spätestens Ende März ein neuer Bundestag gewählt wird. Der Opposition ist das viel zu spät. Die wichtigsten Fragen und Antworten auf dem Weg zu Neuwahlen.
Nach knapp drei Jahren ist das in Deutschland «Ampel» genannte Regierungsbündnis aus SPD, Grünen und FDP zu Ende. Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte am Mittwochabend im Zusammenhang mit der Entlassung von Finanzminister Christian Lindner an, am 15. Januar im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen. Neuwahlen könnten dann im März kommenden Jahres stattfinden. Die Opposition kritisiert den Zeitplan und drängt auf eine vorgezogene Vertrauensfrage – noch in dieser oder in der kommenden Woche.
Hat Deutschland zurzeit keine Regierung mehr?
Doch. Allerdings kommen SPD und Grüne ohne die 91 FDP-Abgeordneten nur noch auf 324 Sitze im Deutschen Bundestag und verfügen damit über keine absolute Mehrheit mehr. Die Bundesregierung kann deswegen nur noch im Rahmen bestehender Gesetze handeln. Dennoch plant der Bundeskanzler, bis Weihnachten noch mehrere Gesetzesvorhaben zu den Themen Haushalt, Rente und Asyl zur Abstimmung zu bringen. Dies allerdings könnte nur gelingen, wenn Abgeordnete der Opposition mit SPD und Grünen stimmen.
Der Oppositionsführer und CDU-Chef Friedrich Merz hat bereits ausgeschlossen, in eine formelle Koalition unter Kanzler Scholz einzutreten. Ob CDU und CSU der amtierenden Minderheitsregierung zu fallweisen Mehrheiten verhelfen würden, dürfte vom Einzelfall und von der Kompromissbereitschaft der Regierungskoalition abhängen. Scholz hat angekündigt, mit Merz zu sprechen. Die Weigerung von Scholz, die Vertrauensfrage vorzuziehen, dürfte eine Kooperation indes erschweren bis unmöglich machen.
Die FDP hat wiederum erklärt, Steuerentlastungen im Bundestag mitzutragen, falls die Regierungskoalition keine neuen Belastungen in einen Gesetzesentwurf aufnehme. Am Donnerstag drängte aber auch FDP-Chef Lindner auf schnelle Neuwahlen. Niemand in einer Demokratie dürfe Angst vor den Wählern haben, sagte Lindner. Er beschuldigte den Bundeskanzler, bewusst den Bruch der Koalition herbeigeführt zu haben, indem er ihn ultimativ zur Aussetzung der Schuldenbremse aufgefordert habe.
Wer übernimmt die früheren FDP-Ministerien?
Für das Amt des Finanzministers hat Kanzler Scholz seinen Vertrauten Jörg Kukies dem Bundespräsidenten zur Ernennung vorgeschlagen. Kukies war bis anhin Staatssekretär im Kanzleramt und wirtschaftspolitischer Berater von Scholz. Auf Bitten des Kanzlers bleibt auch der Verkehrsminister Volker Wissing im Amt. Dieser erklärte am Donnerstag seinen Austritt aus der FDP. Wissing übernimmt auch das Justizministerium des bisherigen Ministers Marco Buschmann. Der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir wiederum übernimmt in Personalunion das Forschungsministerium von Bettina Stark-Watzinger.
Geht Deutschland ohne Haushalt 2025 das Geld aus?
Bis zuletzt konnte sich die Koalition nicht auf einen Bundeshaushalt für das kommende Jahr einigen. Zu unterschiedlich waren die Vorstellungen. Gelingt es Rot-Grün nicht, bis Ende Jahr einen regulären Haushalt im Parlament zu verabschieden, greift Artikel 111 des Grundgesetzes. Dieser regelt die sogenannte vorläufige Haushaltsführung des Bundes – und ermächtigt die Regierung, alle Ausgaben zu leisten, die nötig sind, um gesetzlich bestehenden Verpflichtungen nachzukommen. Darüber hinausgehende Ausgaben sind nicht möglich.
Was geschieht, wenn Olaf Scholz die Vertrauensfrage verliert?
Scholz kann die Frage, ob er noch das Vertrauen einer Mehrheit des Parlaments geniesst, mit einer Sachfrage verknüpfen. Er muss es aber nicht. Verliert er die Abstimmung, dann ist der Weg zu Neuwahlen frei. Artikel 68 des deutschen Grundgesetzes regelt die Abfolge der Schritte genau. Der Bundeskanzler bittet den Bundespräsidenten nach verlorener Vertrauensfrage darum, den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist allerdings nicht gezwungen, dieser Bitte zu entsprechen. Angesichts des Mangels an Alternativen wird er das Parlament aber wohl auflösen. Dafür hat er 21 Tage Zeit. Dann muss gemäss Artikel 39 des Grundgesetzes binnen 60 Tagen gewählt werden. Bis zur Anlobung einer neuen Regierung bleiben der Bundeskanzler und seine Regierung geschäftsführend im Amt.
Muss der Kanzler die Vertrauensfrage stellen?
Nein. Theoretisch könnten der Bundeskanzler und seine Regierung auch bis zum Ende der regulären Legislaturperiode im Herbst 2025 im Amt bleiben. Eine verlorene Vertrauensfrage ist allerdings die Voraussetzung dafür, dass es zu Neuwahlen kommt. Anders als in anderen Ländern kann sich der Deutsche Bundestag nicht selbst auflösen.
Haben Scholz und die SPD Aussichten, auch die nächste Bundesregierung zu stellen?
Ausweislich jüngster Umfragen ist das unwahrscheinlich. Die Kanzlerpartei rangiert gemäss einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Insa vom 5. 11. mit 15,5 Prozent nur an dritter Stelle hinter CDU/CSU (32 Prozent) und AfD (18 Prozent). Andere Institute kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Nach derzeitigem Stand am wahrscheinlichsten ist deshalb eine unionsgeführte Bundesregierung unter einem Bundeskanzler Friedrich Merz.
Rechnerisch kämen AfD und SPD als Koalitionspartner infrage, aber auch die Grünen, da 16 Prozent der Stimmen auf Parteien entfallen, die an der 5-Prozent-Hürde scheitern. Eine Mehrheit der Sitze wäre deshalb Stand jetzt im Bündnis mit allen genannten Parteien gegeben. Politisch wurde eine Koalition mit der Rechtspartei allerdings seitens der Union stets ausgeschlossen. Viel deutet deshalb auf die Wiederauflage einer grossen Koalition mit den Sozialdemokraten oder ein Bündnis mit den Grünen (10,5 Prozent) hin. Die Liberalen müssen mit 4,5 Prozent wie die Partei Die Linke (3,5 Prozent) um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen.