Mittwoch, November 27

Bei der 1:4-Niederlage offenbaren die Münchner grosse Schwächen in der Defensive. Der Sportdirektor Max Eberl verteidigt den Trainer – und attackiert verbal einen Journalisten.

Manche Gesetze sind ungeschrieben. Doch das bedeutet nicht, dass sie keine Wirkungen entfalten können, ja manche von ihnen sind umso mächtiger, da sich ihre Logik jedem sofort erschliesst. Im FC Bayern lautet eine dieser ungeschriebenen Regeln: «Ein Spiel zu verlieren, ist ein Drama. Zwei Spiele zu verlieren, ist ein Skandal. Bei drei Spielen geht der Trainer über die Wupper.»

So jedenfalls hat es Bayerns ehemaliger Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge einst im Interview mit der NZZ erklärt, und man kann festhalten, dass diese Leitsätze von ihrer Aktualität nichts eingebüsst haben. Die Luft in München ist gerade dünn, weswegen sich manche Experten Gedanken machen über die Zukunft des jungen Trainers Vincent Kompany.

Der Anlass für Diskussionen ist gegeben: 1:4 verloren die Münchner am Mittwoch in der Champions League beim FC Barcelona – gegen die Mannschaft des ehemaligen Bayern-Trainers Hansi Flick, der mit seiner stocknüchternen Art auch die spanische Metropole in Verzückung versetzt.

Nur ein Sieg aus den letzten fünf Spielen

Eine Niederlage mit drei Toren Unterschied: Das ist für Münchner Verhältnisse mehr als beachtlich. Und das blosse Resultat gewinnt an Gewicht, wenn man bedenkt, wie die letzten Wochen verlaufen sind: Von fünf Partien hat der FC Bayern nur eine gewinnen können, am vergangenen Wochenende gegen Stuttgart, immerhin ein Spitzenspiel. Aber gegen zwei andere Spitzenteams der Bundesliga, gegen Frankfurt und den Meister Leverkusen, reichte es nur zu einem Remis. Dazu kommt die Niederlage in der Champions League bei Aston Villa: Eigentlich müsste in München Weltuntergangsstimmung herrschen.

Noch ist dies nicht der Fall. Und das hat mit der Art und Weise zu tun, wie der Trainer Kompany bisher aufgetreten ist. Nach einem Spiel sagte er einen bemerkenswerten Satz: «Wir müssen lernen.» Die ständige Verbesserung, das Arbeiten am Detail: Das ist die Signatur des Belgiers, der während vieler Jahre der ausführende Arm des Trainers Josep Guardiola bei Manchester City gewesen war.

Nur: Kompany verbringt mit der Bayern-Mannschaft immerhin schon etwas mehr als drei Monate. Die Prozesse, die er angestossen hat, müssten eigentlich zu wirken beginnen. Wie in jenen Spielen, in denen die Bayern ein begeistertes Publikum von den Sitzen rissen: beim 9:2 gegen Dinamo Zagreb oder jüngst beim 4:0 gegen Stuttgart. Punktuell klappt es also, aber noch nicht dauerhaft.

Es ist eben doch eine besondere Situation. Und vielleicht ist sie vergleichbar mit derjenigen im Jahr 2009, als die Bayern den Coach Louis van Gaal engagiert hatten, mit der klaren Losung, dass er die Spielkultur gravierend verändern soll. Auch damals starteten die Münchner gut, sie gerieten dann aber ausser Tritt und über die Zukunft des Trainers wurde schon diskutiert. Dann gab der Aussenverteidiger Philipp Lahm ein bemerkenswertes Interview – und stützte in diesem den Kurs des Trainers gegenüber der Vereinsführung.

Heute ist es ein Veteran, auf dessen breite Schultern sich Kompany stützen kann: Thomas Müller. Gegen Frankfurt, beim 3:3, mochte er sich nicht über den späten Ausgleich mokieren. Stattdessen fabulierte er, was für ein Genuss es sei, den Gegner in dessen eigener Hälfte «einzuschnüren». Methode über Resultat: Das hat es für den FC Bayern lange nicht gegeben.

Nun ist der FC Barcelona eben nicht Eintracht Frankfurt, mögen die Hessen auch über einen ausnehmend begabten Stürmer wie Omar Marmoush verfügen. Dennoch dürfte der Münchner Kollaps in Barcelona bei dem einen oder anderen zu Skepsis gegenüber Kompanys risikoreicher Methode geführt haben, der seinen Hang zur fast bedingungslosen Offensive damit rechtfertigt, dass dies seinem Charakter entspreche.

Wirklich neu sind die Probleme nicht. Die Bayern attackieren den Gegner früh, sie rücken dafür weit auf, es ist ein intensives Spiel und erfordert maximale Aufmerksamkeit in jedem Augenblick. Denn wenn der Gegner den Ball gewinnt, sind rasante Konter garantiert. Genau dies gelang Barcelona wie allen anderen Mannschaften, gegen die die Bayern Mühe bekundeten. Und es zeigte sich einmal mehr, dass das Innenverteidiger-Duo mit Kim Min-jae und Dayot Upamecano unsicher ist, wenn der Druck gross ist.

Ein solches Problem wäre kleiner, hätten die Bayern einen Goalie, der seinen Vorderleuten Vertrauen einflösst. Genau das war Manuel Neuer über mehr als ein Jahrzehnt. Doch wer den Torhüter, der noch im Sommer an der EM brilliert hatte, heute sieht, der muss die Frage stellen, wie lange die Bayern mit einem Neuer in dieser Verfassung noch planen wollen.

Auch wenn man ihm keine grossen Fehler ankreiden kann: Es sind eben Bälle dabei, die er in besseren Zeiten pariert hätte. Dazu zeigt er in manchen Situationen eine Arroganz, die seiner Reputation nicht mehr angemessen ist. Auch in Barcelona vertändelte er den Ball im Strafraum, gegen Lamine Yamal. Dass es zu keinem Gegentor kam, war pures Glück.

Eberl hatte sich gegen Flick entschieden

Die Stimmung bei den Bayern ist jedenfalls trübe. Joshua Kimmich urteilte hart: «Es ist teilweise Harakiri, was wir gemacht haben.» Unterdessen versuchte der Sportdirektor Max Eberl, der den Trainer Kompany für die Bundesliga entdeckt hat, die Situation zu entschärfen – und vergriff sich dabei im Ton. Als ihm ein Journalist darlegte, in welchen Augenblicken die Abwehr ungenügend agiert habe, empfahl er diesem, «einen Trainerschein» zu machen, dann könnte der Mann zeigen, dass er es besser kann.

Gelassenheit in einer solchen Situation, getragen von der Überzeugung, die richtige Entscheidung bei der Trainersuche getroffen zu haben, tönt jedenfalls anders. Nicht wenige erinnerten am Mittwochabend daran, dass Max Eberl sich gegen Hansi Flick entschieden habe, der gegen eine angemessene Offerte der Münchner wohl nichts einzuwenden gehabt hätte.

Als interessant erscheint auch die Einlassung von Thomas Müller – weil der Angreifer mit seinen 35 Jahren so etwas wie der Seismograf dieses Klubs ist. Von dem Genuss, den Müller noch gegen Frankfurt empfand, ist wenig geblieben. Vielmehr erklärte er nach der Niederlage, dass noch viel Arbeit vor den Münchnern liege. In diesem Augenblick klang er fast wie sein Trainer.

Exit mobile version