Anfangs hagelte es Verrisse. Die Zürcher Politik wollte nichts mit dem ZFF zu tun haben. Sperrfeuer kam auch aus Locarno, wo man die Konkurrenz fürchtete. Heute ist das Festival voll etabliert. Ein Rückblick des ehemaligen Präsidenten.

Als der Anruf aus dem Stadthaus kam, rechneten die Initianten mit vielem, nur mit dem nicht, was dann folgte: Die Stadtregierung, hiess es, wäre froh, wenn Zürich aus dem Namen des geplanten Filmfestivals gestrichen würde. Sie möchte jeden Anschein vermeiden, dass sie dieses überflüssige Projekt unterstützen würde. Karl Spoerri und Nadja Schildknecht konnten sich keinen Reim auf diese Intervention machen.

Was zeigte, dass sie mit der Filmbranche wenig vertraut waren, in deren Deutungsterritorien sie unvermeidlich gerieten. Karl Spoerri war Inhaber einer Agentur und hatte fast beiläufig das experimentelle Festival Onedotzero nach Zürich geholt. Auf den Geschmack gekommen, wollte er ein grosses, an ein breites Publikum gerichtetes Festival organisieren. Er spannte mit Nadja Schildknecht zusammen, die nach einer Karriere in der Modebranche im PR-Bereich tätig war und schon bei Onedotzero mitgewirkt hatte.

Ablehnung war garantiert

Die Unvertrautheit der Initianten mit den personellen Verflechtungen der Branche – so wirkte der damalige Kulturchef der Stadt Zürich in einem Beratungsgremium des Festivals von Locarno mit –, die Unvertrautheit auch mit den Präferenzen und Denkverboten der Filmszene sollte sich zunächst als Nachteil erweisen. Wer es verpasst hatte, vor der Lancierung eines neuen Filmfestivals den Segen der Branche einzuholen, wer im ersten Programmheft keck schrieb, eine «frische Brise in die Schweizer Festivalbranche» tragen zu wollen, dem war Ablehnung garantiert.

Vor und nach dem 1. Zurich Film Festival (ZFF), das vom 5. bis zum 9. Oktober 2005 im Kino Plaza im Kreis 4 stattfand, hagelte es Verrisse. Sperrfeuer kam unter anderem aus Locarno, das die neue Konkurrenz im urbanen Zentrum der Schweiz fürchtete. Exponenten der Solothurner Filmtage wiederum störten sich an der programmatischen Unverkrampftheit des ZFF, das erklärte hatte, auch Produktionen aus Hollywood mitsamt den Stars seien an der Limmat willkommen.

Dies widersprach der politischen Grundhaltung der 1968er, deren Baby Solothurn war, und den daraus abgeleiteten inhaltlichen Standards, die den anstrengenden gesellschaftskritischen Schweizer Film favorisierten. So bemängelte der «Tages-Anzeiger» den «fehlenden Willen zum filmisch Ausserordentlichen» und vermisste die «harte Konfrontation mit der wirtschaftlichen und sozialen Realität», während die NZZ das Programm als «Gemischtwarenladen» abqualifizierte und maliziös berichtete, die am meisten gestellte Frage am Festival sei gewesen: «Gibt’s ein zweites?»

Hollywood als Geschäftsmodell

Die fehlende Vernetzung mit dem Filmkuchen erwies sich aber auch als Vorteil, weil sie eine Unabhängigkeit bei der Programmgestaltung ermöglichte. Für Spoerri und Schildknecht waren Unterhaltung und Substanz keine Gegensatzpaare, die sich ausschlossen.

Sie liessen sich in ihrer Überzeugung nicht beirren, dass ein breites, filmaffines Publikum gutes Hollywood-Kino schätzte. Darauf beruhte ihr Geschäftsmodell. Das Festival verfügte nämlich neben Sponsorengeldern nur über die Einnahmen aus den Eintritten. Gelang es nicht, die Säle zu füllen, würde das Vorhaben rasch scheitern.

Von Jahr zu Jahr nahm die Zahl der Eintritte zu, dank einem Programm, das zunehmend Filme wie «Roma», «Green Book» oder «Im Westen nichts Neues» zeigte, die später bei den Oscars ausgezeichnet wurden. Zudem sorgten die immer häufiger anreisenden Hollywood-Stars wie Sylvester Stallone, Sharon Stone oder Zendaya für Glamour, was die Medien dankbar aufgriffen, allerdings bei der Birkenstock-Fraktion des Kulturbetriebs auf Kritik stiess.

Der Erfolg entwickelt seine eigene Schwerkraft: Die Stadt Zürich änderte nach den ersten Ausgaben ihre Haltung und begann das ZFF zu unterstützen. In den Medien nahmen die negativen Stimmen ab. Viele Schweizer Filmschaffende realisierten, dass das ZFF mit der Dichte an angereisten Fachjournalisten das beste Schaufenster darstellte, um eigene Produktionen zu lancieren. Filme wie «Sennentuntschi» oder «Wolkenbruch» profitierten davon.

Pleite und Polanski

Was als unwillkommene Aussenseiterveranstaltung begonnen hatte, spielte sich innert weniger Jahre ins Herz der Stadt, sinnbildlich ausgedrückt durch den Marsch vom Kreis 4 über einige Zwischenetappen auf den Sechseläutenplatz, wo sich seit 2011 das Festivalzentrum befindet. Auf diesem Erfolgsweg hiess es aber auch, einige Rückschläge und Krisen zu überstehen. Nach drei Durchführungen war das Festival faktisch pleite.

Zudem erschütterte 2009 die Affäre um den weltbekannten Regisseur Roman Polanski das Festival. Dieser sollte einen Preis erhalten, wurde aber bei der Einreise am Flughafen verhaftet, weil er in den siebziger Jahren in L.A. eine Minderjährige missbraucht hatte. Der Fall machte globale Schlagzeilen und hatte die paradoxe Wirkung, das noch junge Festival auf einen Schlag weltweit bekannt zu machen.

Im Jahr 2016 leiteten Karl Spoerri und Nadja Schildknecht den Verkauf des ZFF an die NZZ ein, der 2019 abgeschlossen wurde. Als Direktor wirkt seither Christian Jungen, der ehemalige Filmredaktor und Kulturchef der «NZZ am Sonntag». Ihm ist es gelungen, das Programm qualitativ weiterzuentwickeln. Zudem leitete er mit der Übernahme der Kinosäle im ehemaligen «Kosmos» unter dem Namen «Frame» eine mutige Ausweitung der Geschäftstätigkeit ein.

Deutlich über 100 000 Besucherinnen und Besucher zählt das ZFF mittlerweile, was wichtig ist, weil sich das Festival nach wie vor zu rund 90 Prozent selbst finanzieren muss. Dies demonstriert der stark auf Subventionen ausgerichteten Filmszene, dass Privatinitiative auch in der Kultur funktionieren kann. Es ist aber ein Erfolg, der immer wieder hart erkämpft werden muss.

Felix E. Müller war Präsident des Zurich Film Festival und erster Chefredaktor der «NZZ am Sonntag». Am 8. Juli stellt er im «Frame» sein Buch «Hollywood an der Limmat. Die Erfolgsgeschichte des Zurich Film Festival» vor.

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