Freitag, März 14

Die Krise der transatlantischen Beziehungen und der russische Neoimperialismus verlangen nach einer europäischen Antwort. Die EU allein kann sie nicht geben.

Europa – nicht die EU – hat in den vergangenen drei Jahren gleich zwei Schläge erlitten. Den ersten im Februar 2022, als Russland mit voller Wucht in die Ukraine einfiel. Seither ist klar: Der russische Nachbar ist für Europa ein strategischer Gegner und eine direkte Bedrohung für Osteuropa.

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Den zweiten Schlag versetzte der amerikanische Vizepräsident J. D. Vance drei Jahre später: An der Sicherheitskonferenz in München im Februar sagte er, Europa werde von innen, nicht von aussen bedroht. Der Verlust der Meinungsfreiheit, nicht Russland oder China, sei die akute Gefahr für die europäischen Demokratien. Wenig später machte Trump klar, dass er die Europäer bei den Verhandlungen mit Russland nicht dabeihaben wollte. Nun war offensichtlich: Der politische Westen existiert nicht mehr – jedenfalls nicht mehr auf die Weise wie vor Trumps zweiter Amtszeit.

Die von Russland ausgehende Gefahr und die Abkoppelung Amerikas bilden zusammen eine historische Zäsur, die in ihrer Tragweite wahrscheinlich mit dem Fall der Mauer 1989 verglichen werden kann. Und wie damals muss sich Europa neu aufstellen. Nur sollte es diesmal schneller gehen. Denn nicht Freiheit und politische Spielräume sind gewachsen wie nach 1989, sondern Ungewissheit und Bedrohung.

Die EU eignet sich schlecht, um mit dieser neuen Lage umzugehen. Sie hat sich seit 1989 als Projekt verstanden, das durch Erweiterung, Marktausdehnung, Regulierung und Transferzahlung Frieden und Wohlstand im Innern sichert. Den Schutz vor möglichen Bedrohungen, von denen es wenige gab, überliess man den Amerikanern. Dafür kaufte man ihnen Waffen ab und unterstützte sie bei ihren Interventionen in Afghanistan und (nicht einstimmig) im Irak.

Nach dem strategischen Doppelknall liegt die Hoffnung auf einer Neubegründung des politischen Europa. Es ist zugleich mehr und weniger als die EU. Diese Allianz oder vorerst Koalition gründet nicht auf einem Plan (wie die Europäische Politische Gemeinschaft), sondern ist quasi spontan aus der Not geboren. Sie wird geschmiedet von den führenden Politikern Europas, die auf die neue Lage reagieren.

Ein franko-britischer Startschuss

Das Startsignal gaben Präsident Emmanuel Macron und Premierminister Keir Starmer mit zwei Konferenzen in Paris Mitte Februar und einem dritten Treffen in London Anfang März.

Gemeinsam wurde nach einer Antwort auf die Neupositionierung Washingtons gegenüber der Ukraine gesucht: Wäre Europa in der Lage, der Ukraine nach einem Waffenstillstand Sicherheitsgarantien zu geben und eine Schutztruppe aufzustellen? Dabei wurde sorgfältig vermieden, den Gesprächen einen antiamerikanischen Anstrich zu geben. Denn auf absehbare Zeit sind die Ukraine und das übrige Europa auf ein Minimum an amerikanischer Kooperation angewiesen.

Teilnehmer waren ausgewählte EU-Staaten, Störenfriede wie Ungarn oder die Slowakei mit ihrer prorussischen Agenda wurden nicht eingeladen. Es geht bei diesen Treffen nicht um Vollzähligkeit, sondern um Beschlussfähigkeit und die Vereinbarkeit der Interessen. Deshalb waren auch Länder wie Kanada, Norwegen, die Türkei dabei und ebenso die Spitzen der Nato und der EU.

Diese Vergemeinschaftung ist auch nicht gegen die EU gerichtet. Brüssel spielt dabei vielmehr eine wichtige Rolle. Das zeigte sich dann beim vierten Krisentreffen, einem regulären Gipfel des Rats der Staats- und Regierungschefs der EU Anfang März in Brüssel. Die zuvor gefundene Verständigung gab dem Treffen jenen Schwung, der mögliche Quertreibereien aus Budapest verhinderte.

Der Gipfel zeigt auch, weshalb die EU für eine europäische Verteidigungsallianz, und sei es vorerst bloss in Gestalt einer Koalition der Willigen, unentbehrlich ist. Sie kann die Organisation und Finanzierung der Aufrüstung der europäischen Armeen koordinieren, indem sie

  • den Mitgliedstaaten mehr Spielraum für die Verschuldung beim Kauf von Rüstungsgütern gibt
  • Darlehen für die Aufrüstung zur Verfügung stellt
  • die gemeinsame Beschaffung organisiert und so Kosten und Typenvielfalt der Waffensysteme reduziert
  • Mittel umschichtet, etwa aus dem Kohäsionsfonds, und via Europäische Investitionsbank privates Kapital mobilisiert.

Ein Komitee, das mit verteilten Rollen handelt

Die EU, vertreten durch die Kommission, ist also Teil dieser Koalition. Wer aber führt sie an? Es liegt auf der Hand, dass es keine einzelne Führungsmacht geben kann. Die Koalition ist eine Mächtegruppe, die Initiativen ergreift und koordiniert und je nach Fall weitere Verbündete sucht. Zum Kern gehören zwingend Frankreich, Deutschland, Grossbritannien, Polen und Italien. Sie bilden das «Komitee».

Emmanuel Macron und Frankreich spielen nur schon deshalb eine wichtige Rolle, weil das politische Europa «französischer» wird. Anders als etwa Deutschland pflegt Frankreich seit je eine strategische Kultur. Es denkt in Kategorien der Macht. In Paris lange gehegte Ideen haben an Zustimmung gewonnen: allen voran das Konzept der strategischen Autonomie. Aber auch das Europa der «variablen Geometrie» gewinnt an Plausibilität, wonach um einen hoch integrierten Kern sich überlappende Kreise von Ländern angebunden werden. Das ist notwendig, um handlungsfähig zu sein. Doch Frankreich hat ein Problem: leere Kassen.

Da kommen Friedrich Merz und Deutschland ins Spiel: Nach Einschätzung vieler Beobachter stehen wir vor einem deutsch-französischen Frühling. Anders als sein Vorgänger will Merz die Beziehung mit Frankreich weiter entwickeln. Auch er denkt strategisch und hat sich deshalb zu einem Tabubruch entschieden: Verschuldung im grossen Stil zum Zweck der Aufrüstung. In welchem Umfang Merz dieses Projekt umsetzen kann, steht noch nicht fest. Dass Deutschland, die grosse Wirtschaftsmacht in der Mitte Europas, sich seiner strategischen Bedeutung bewusst wird, ist wahrscheinlich.

Neben Frankreich ist Grossbritannien die zweite Atommacht Europas. Keir Starmer hat seit seinem Amtsantritt eine Annäherung an die EU betrieben und engagiert sich an vorderster Front für eine koordinierte Antwort auf die doppelte Herausforderung durch Putin und Trump. Wie Macron tut er alles, um den Draht nach Washington nicht abreissen zu lassen. Als Nicht-EU-Land fällt es Grossbritannien leichter, auch mögliche Koalitionäre ausserhalb des Staatenverbundes einzubinden: Kanada, die Türkei, Norwegen – vielleicht die Schweiz. Von grossem Nutzen für alle ist jedenfalls die fähige britische Diplomatie mit ihren weltweiten Verbindungen.

Welche Rolle kommt Polen und Italien zu? Seit sich Polen unter Donald Tusk aus dem EU-skeptischen Visegrad-Klub mit Ungarn, Tschechien und der Slowakei gelöst hat, spielt Warschau eine wichtige Rolle bei der Verteidigung Europas. Es ist die führende Militärmacht in Osteuropa und hat zur Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks (zusammen mit Deutschland und Frankreich) beigetragen. «Weimar» ist im Grund ein Nukleus der neuen Koalition der Willigen, die manchmal als «Weimar Plus» bezeichnet wird.

Bleibt Italien. Giorgia Meloni verhielt sich nach ihren Flirts mit Trump und Elon Musk auffällig still in den vergangenen Wochen. Sie zeigte zuerst Vorbehalte gegen Starmers Koalition der Willigen, nahm aber an dem Treffen in London teil. Sie unterstützt auch die EU-Initiativen zur Aufrüstung, äusserte aber Bedenken über die damit verbundene Schuldenlast. Aktiv wirbt sie für eine Wiederannäherung der Europäer an die USA und möchte dabei die Rolle der Brückenbauerin spielen. Zu diesem Zweck hat sie einen EU-USA-Gipfel vorgeschlagen. Washington scheint daran wenig Interesse zu haben.

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