Brendan McDermid / Reuters
Die Behörden arbeiten mit Hochdruck daran, mehr über das Motiv des 20-jährigen Täters zu erfahren. Noch gibt es keine schlüssigen Erklärungen. Das bereitet den Boden für Verschwörungstheorien.
Wieso nur schiesst ein 20-Jähriger auf Donald Trump, den bald offiziellen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner? Trump hat persönliche Feinde und vor allem auch politische. Doch gehört ein junger Mann dazu, der südlich von Pittsburgh im Gliedstaat Pennsylvania in einem eher besseren Viertel aufgewachsen ist? Thomas Matthew Crooks war, soweit bekannt, kein politischer Fanatiker.
Je länger die Behörden nichts Gesichertes zum Tatmotiv sagen können, desto mehr Raum bleibt für Spekulationen. Diese machen als Verschwörungstheorien im Internet dutzendfach die Runde. Die NZZ hat Fotos und Posts unter anderem auf der Plattform X und Tiktok gesichtet und ausgewertet.
Es ist nicht erstaunlich, dass sich in den Reihen der Republikaner Politiker finden, die hier kräftig mitmischen. In einem Teil der Partei haben sich Verschwörungserzählungen längst etabliert – wie jene zum Beispiel, dass Hillary Clinton Kopf eines Kinderpornorings sei. Das ist komplett erfunden. Doch es wird in gewissen Kreisen für genauso wahr gehalten wie die Erzählung, dass Donald Trump 2020 die Wahl gewonnen habe und nicht Biden, eine Lüge, die vielfach widerlegt wurde.
«Alternative Fakten» nennt Donald Trump die grossen und kleinen Lügen, die er seit Jahren verbreitet. Er bedient damit eine Klientel, die den Glauben an die amerikanischen Institutionen verloren hat. Allerdings muss hier festgehalten werden: Die republikanische Führung inklusive Trump hat auf das Attentat gemässigt, gar versöhnlich reagiert. Führende Demokraten sowie Republikaner zeigen sich darin einig, dass politische Gewalt in den USA keinen Platz habe.
Zwei Verschwörungstheorien dominieren:
Die Regierung Biden und der demokratisch kontrollierte «Deep State» stecken hinter dem Attentat
Es sind die bereits bekannten Hardliner mit extremen Ansichten, die Verschwörungserzählungen weiterverbreiten oder befeuern. Zu ihnen gehört die Senatorin Marsha Blackburn aus Tennessee, strenggläubig, eine ausgesprochen treue Trump-Unterstützerin und grosse Skeptikerin gegenüber den «demokratischen» Medien. Auf X hat sie über eine Million Follower. Wenige Stunden nach dem Attentat schrieb sie diese zwei Zeilen: «Vor wenigen Tagen sagte Biden: Es ist an der Zeit, Trump ins Visier zu nehmen. Heute hat ein gegen Trump gerichteter Mordversuch stattgefunden.» Der Tweet wurde von knapp einer Viertel Million Personen gesehen und 5000 Mal geteilt.
Just days ago, Biden said “It’s time to put Trump in a bullseye.”
Today, there was an assassination attempt against President Trump.
— Sen. Marsha Blackburn (@MarshaBlackburn) July 13, 2024
Ein Abgeordneter des Repräsentantenhauses, Mike Collins, schreibt auf X so deutlich, dass es keinen Platz für Missverständnisse gibt: «Joe Biden sent the orders», Biden habe den Auftrag erteilt. Dieser Post wurde in der Zwischenzeit von 16 Millionen Personen gesehen und tausendfach geteilt. Mit ihm, so hat die «Washington Post» nachgezählt, machen rund dreissig Parlamentsmitglieder direkt Präsident Biden, die Demokratische Partei oder die «linksgerichteten» Medienvertreter dafür verantwortlich, dass die Schüsse fielen.
Auch der Abgeordnete J. D. Vance, der am Montag von Trump zum Vizepräsidenten ausgewählt wurde, sieht im versuchten Attentat keinen «isolierten Einzelfall», wie er auf X schrieb. Die zentrale Prämisse der Biden-Kampagne sei es, dass Präsident Trump ein autoritärer Faschist sei und, koste es, was es wolle, gestoppt werden solle. «Diese Rhetorik führte direkt zum gegen Präsident Trump gerichteten Mordversuch.»
Today is not just some isolated incident.
The central premise of the Biden campaign is that President Donald Trump is an authoritarian fascist who must be stopped at all costs.
That rhetoric led directly to President Trump’s attempted assassination.
— J.D. Vance (@JDVance1) July 14, 2024
Amerikas Chefverschwörungstheoretiker Alex Jones mit seinem Portal «Infowars» verbreitet fleissig die These, dass nicht nur Biden, sondern der gesamte demokratisch kontrollierte «Deep State» – eine geheime Elite, die im Hintergrund die Welt regiere – hinter dem Mordversuch stecke. Dieser sei eine Operation unter «falscher Flagge». Weitere Versuche, Trump zu beseitigen, würden folgen. Dem mehrfach verurteilten Radiomacher folgt auch Marjorie Taylor Greene, die Hardlinerin aus Georgia. Auch sie findet klare Worte zum Attentat und schreibt auf X: «Die Demokraten und die Medien sind für jeden heute vergossenen Tropfen Blut verantwortlich.»
Donald Trump hat das Attentat selbst geplant, alles ist eine Inszenierung
Die zweite Verschwörungstheorie, die tausendfach geteilt wird, ist weniger klar einer Partei zuzuordnen. Hier geht es darum, dass Trump, um seine Wahl zu sichern, den Mordversuch inszeniert habe. Denn schliesslich, so wird aus Posts auf X ersichtlich, halte sich Trump für ein Opfer. Alle seien gegen ihn: die Medien, der «Deep State» und damit die Justiz. Mit der grossen Show sei er nun tatsächlich ein Opfer, eines, das überlebt habe. Das soll seinen Heldenstatus festigen und ihm Wählerstimmen bringen.
Es gibt einzelne Stimmen aus dem Umfeld der Demokraten, die mit dieser Verschwörungserzählung sympathisieren. Einer von ihnen ist Steven Woodrow, der in Colorado für die Demokraten politisiert. Auf X schrieb er, dass Sympathie für den «Teufel» das Letzte sei, was Amerika brauche. Nach vielen Hassnachrichten als Reaktion auf seinen Post hat er sein Profil gelöscht. Auch der politische Berater des Linkedin-Mitgründers und demokratischen Grossspenders Reid Hoffman soll in einer E-Mail spekuliert haben, dass Trump das Ganze inszeniert haben könnte, um die Gunst der Wähler zu gewinnen. Er hat sich später dafür entschuldigt.
Hinweise auf eine Inszenierung finde, so wird im Netz suggeriert, wer folgende Fragen zu beantworten versuche: Wieso ist die Pose von Trump so unnatürlich? Wieso wirken die Menschen nicht panischer? Wie konnte sich der Täter auf das nahe Dach schleichen?
Inzwischen kursieren im Netz Bilder von Trump, die ihn lachend zeigen. Das sind Fälschungen. Auch manipulierte Bilder von einem lachenden Secret-Service-Agenten zirkulieren. Sie sollen angeblich den Beweis dafür liefern, dass Trump und seine Personenschützer unter einer Decke steckten. Analysen haben ergeben, dass rund 45 Prozent der Profile, die die These einer Inszenierung verbreiten, Fake-Profile sind. Der Verschwörungsmythos wird also hauptsächlich von Bots weiterverbreitet. Der Hashtag #StagedShooting mit verlinktem Inhalt wurde gemäss Schätzungen von über 500 Millionen Menschen gesehen.
Links Donald Trump nach dem versuchten Attentat, rechts eine Fotomontage.
Nur auf dem manipulierten Bild rechts lachen die Secret-Service-Agenten. Dieses und andere manipulierte Bilder kursieren im Netz. Sie sollen der These Vorschub leisten, Trump habe den Mordversuch lediglich inszeniert.
Abgesehen von den beiden dominanten Verschwörungstheorien im Netz macht eine Vielzahl weiterer Erklärungsversuche die Runde: Die Chinesen steckten hinter dem Attentatsversuch oder die Antifa. Muss man diese Mythen ernst nehmen? Schliesslich ist das Internet ein Ort, wo jeder seine Theorien absondern kann, egal, wie abstrus sie sind. Was gesagt werden kann: Die wilden Spekulationen sind Ausdruck von Verunsicherung. Das Bedürfnis der Bevölkerung, bald mehr über die Motive des Täters zu erfahren, scheint riesig. Ob das FBI bald zufriedenstellende Antworten liefern kann, ist die andere Frage.

