Donnerstag, Mai 1

Der Herzchirurg Paul Vogt spricht von einem Desaster an der Herzklinik. Nun will die Spitalführung die Vergangenheit durchleuchten. Zahlen des Bundes deuten tatsächlich auf Qualitätsmängel hin.

Eine Affäre am Zürcher Unispital kocht wieder hoch, die eigentlich schon beendet schien. Ein ehemaliger Chefarzt spricht plötzlich von einem «Desaster» an der Klinik für Herzchirurgie, er werde zu den Toten nicht schweigen. Am Mittwoch hat die Spitalführung nun versprochen, eine externe Task-Force mit internationalen Spezialisten einzusetzen. Sie soll unabhängig alle Todesfälle an der Klinik zwischen 2016 und 2020 untersuchen, um den Vorwürfen auf den Grund zu gehen.

Der Ursprung des Konflikts liegt vier Jahre zurück. Im Frühling 2020, mitten in der Pandemie, wurde harte Kritik am damaligen Chefarzt der Herzchirurgie laut. Ein Whistleblower warf Francesco Maisano vor, dass dieser mit dem Einsatz von selbst entwickelten Implantaten das Wohl von Patienten gefährdet habe. Er habe die Implantate testen und sich persönlich bereichern wollen. Zudem habe er wissenschaftliche Berichte geschönt, Komplikationen verschwiegen und Interessenkonflikte unterschlagen.

Das Spital liess die Anschuldigungen durch die Anwaltskanzlei Walder Wyss untersuchen. Die Anwälte kamen zwar zu dem Schluss, dass die Vorwürfe in Bezug auf die wissenschaftlichen Berichte und die Interessenkonflikte zuträfen. Maisano habe aber nicht das Patientenwohl gefährdet. Der Bericht entlastete ihn also vom Hauptvorwurf.

Im Mai 2020 machten dann die Tamedia-Zeitungen den Fall publik. Sie stellten infrage, dass die Vorfälle gründlich genug untersucht worden seien.

Im Zuge der Affäre verliess der Spitalratspräsident Martin Waser das Unispital, und das Spital trennte sich «im gegenseitigen Einvernehmen» auch von Maisano auf Ende Februar 2021. Und schliesslich ging im letzten Oktober auch der CEO Gregor Zünd. Mit den Problemen der Herzklinik habe das aber nichts zu tun, liess er verlauten.

«Unethisches und kriminelles Verhalten»

Die alte Führungsriege war jedenfalls weg, und allmählich schien in der Herzchirurgie wieder Ruhe eingekehrt zu sein – bis sich vor drei Wochen Paul Vogt in Szene setzte. Der renommierte Herzchirurg hatte 2021 Maisanos Posten übernommen. Der damals 64-Jährige hatte bis zu seiner Pensionierung die Aufgabe, die Situation in der Herzchirurgie wieder zu stabilisieren. Vogt verhehlte nie, dass er von der Arbeit seines Vorgängers nicht allzu viel hielt. So deutlich wie vor drei Wochen ist er aber noch nie geworden.

Als Bühne für seinen Angriff auf die Unispitalführung wählte er einen Gerichtsprozesses. Vogt stand selbst als Beschuldigter vor Gericht. Dabei ging es um eine Herzoperation am Unispital, an welcher er beteiligt war, und um den Vorwurf der Urkundenfälschung. Am Ende wurde er vollumfänglich freigesprochen. Spannender als der eigentliche Prozess war Vogts Aussage zur Maisano-Affäre.

Die Verhältnisse in der Herzchirurgie des Zürcher Universitätsspitals seien zwischen 2016 und 2020 ein «Desaster» gewesen, sagte er. Er habe in den Wochen nach seinem Arbeitsbeginn lange «Listen mit toten Patienten» durchgesehen, die ihn stutzig gemacht hätten. Er sprach von nicht zugelassenen Implantaten, von «unethischem und kriminellem Verhalten» unter der Ärzteschaft. Durch seinen eigenen Einsatz von Juli 2021 bis November 2022 hätten viele Patienten überlebt, die sonst gestorben wären.

Er habe gleich nach seinem Stellenantritt auch die Spitalleitung über die Probleme informiert. Die Behauptung, es seien keine Patienten zu Schaden gekommen, sei unhaltbar. Trotzdem bleibe das Unispital bis heute bei dieser Aussage.

«Wir können die Vergangenheit nicht ruhen lassen»

Das Unispital selbst schien von Vogts Attacke überrumpelt. Auf Anfrage der NZZ gab sich die Kommunikationsabteilung schmallippig. Das Spital habe alle gemeldeten Fälle durch eine externe Anwaltskanzlei untersuchen lassen. Diese habe erfahrene Herzchirurgen als unabhängige Experten beigezogen. Die Untersuchung habe ergeben, dass keine Gefährdung von Patienten vorgelegen habe. Zum selben Ergebnis sei auch die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gelangt. Diese hat die gemeldeten Fälle ebenfalls untersucht.

Das Spital blieb also bei der bekannten Position. Zumindest vorläufig. Denn inzwischen haben die Verantwortlichen wohl realisiert, dass sich die Vorwürfe nicht so leicht vom Tisch wischen lassen. Die Aussage eines angesehenen Chefarztes hat Gewicht. Und der drohende Reputationsschaden ist beträchtlich.

Am Mittwoch hat das Spital also zu einem Mediengespräch eingeladen. Anwesend: der Spitalratspräsident André Zemp, die CEO Monika Jänicke und der neue Chefarzt der Herzchirurgie, Omer Dzemali.

Zemp sagte gleich zu Beginn, dass das Vertrauen der Bevölkerung ins Spital zentral sei. Doch dieses sei durch die zurückliegenden Ereignisse beschädigt worden. «Wir können deshalb die Vergangenheit nicht ruhen lassen.» Sie hätten zwar bereits diverse Untersuchungen durchgeführt und Massnahmen ergriffen. Heute stehe die Herzchirurgie auf einem soliden Fundament. «Aber wir gefährden unsere Glaubwürdigkeit, wenn wir diesen Vorwürfen nicht nachgehen und aus allfälligen Fehlern lernen.» Es gehe dabei nicht nur um die Reputation, es stehe schliesslich auch der Vorwurf im Raum, dass das Wohl der Patienten gefährdet gewesen sei.

Deshalb hat sich die Spitalführung entschlossen, eine Task-Force ins Leben zu rufen. Diese soll besetzt sein mit medizinischen Experten und Juristen aus dem Ausland. Sie sollen sämtliche Todesfälle in der Herzchirurgie im Zeitraum von 2016 bis 2020 nochmals eingehend prüfen – und zwar unabhängig. Das Unispital bestimmt über die Besetzung der Task-Force, man werde die Experten aber absolut frei arbeiten lassen, bekräftigte die CEO Jänicke.

Die Frage, ob auch jene Fälle untersucht würden, in denen es Komplikationen mit den umstrittenen Implantaten gegeben habe, verneinte Zemp. Der Fokus liege auf den Todesfällen. Dzemali ergänzte dann, dass man den Fokus gegebenenfalls auch öffnen werde. Sollte die Task-Force zu dem Schluss kommen, dass sie weitere Fälle begutachten wolle, dann werde das Unispital dem selbstverständlich nicht im Weg stehen und die nötigen Daten zur Verfügung stellen.

BAG-Daten zeigen Qualitätsprobleme auf

Bis wann der Bericht der Expertengruppe vorliegt und ob dieser der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, ist noch nicht bekannt. Eine Veröffentlichung dürfte aber im Interesse des Spitals liegen. Einerseits sind die Vorwürfe gewichtig, andererseits drohen dem Spital auch handfeste wirtschaftliche Nachteile, wenn das Image leidet.

Die anderen Herzkliniken profitierten von den Problemen am Unispital

Zahl der Herzoperationen an Zürcher Herzkliniken

1

Francesco Maisano wird Chefarzt am Unispital

2

Erster Medienbericht über Qualitätsprobleme an Herzklinik des Unispitals

3

Maisano gerät öffentlich in die Kritik

So hat das Spital durch die Maisano-Affäre viele Patienten an die beiden anderen herzchirurgischen Zentren in Zürich verloren: die Klinik Hirslanden und das Stadtspital. Das zeigen Zahlen des Bundes. Diese liegen nur bis 2022 vor. Laut Dzemali haben die Fallzahlen am Unispital inzwischen aber wieder deutlich zugenommen.

Und auch die Behandlungsqualität wurde nach dem Weggang von Maisano gesteigert. Dies sagen sowohl Vogt als auch Dzemali. Zumindest für die Phase unter dem Chefarzt Vogt belegen dies auch Zahlen des Bundesamts für Gesundheit – die Daten für 2023 wurden vom BAG noch nicht veröffentlicht.

Der Bericht über die «Qualitätsindikatoren der Schweizer Akutspitäler» zeigt aber auch auf, dass es in der Herzklinik in den Jahren 2016 bis 2020 anscheinend Qualitätsmängel gab. In den Berichten des BAG für diese Jahre wird detailliert für alle Eingriffe aufgelistet, ob die Mortalität höher war, als man aufgrund des Risikoprofils der Patienten hätte erwarten müssen. Die Herzchirurgie des Unispitals schnitt diesbezüglich schlecht ab. Im Zeitraum von 2016 bis 2020 starben in allen Operationskategorien mehr Patienten als erwartbar.

Dass es besser gegangen wäre, zeigt ein Vergleich mit dem Berner Inselspital, das ebenfalls eine universitäre Klinik ist und ähnlich viele Herzoperationen durchführt. Die Berner liegen in der gleichen Zeitspanne bei fast allen Eingriffen unter der erwarteten Mortalitätsrate, und dies zum Teil deutlich.

Warum das Unispital in jener Zeit so viel schlechter abschnitt, muss nun der Bericht der Expertengruppe aufzeigen.

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