Donnerstag, Oktober 31

Mehr als einhundert Todesopfer wurden bisher geborgen. Fast die Hälfte davon in der Region Valencia. Während viele Menschen noch als vermisst gelten, beschuldigen sich die Politiker für das Versagen gegenseitig.

Auch am zweiten Tag nach den verheerenden Überschwemmungen in Spanien bietet sich in der Region Valencia ein dantesker Anblick. Aufgetürmte Autos in den Strassen, vom Schlamm zerstörte Möbel, die die verzweifelten Bewohner aus dem Haus schafften. Mehr als 100 000 Menschen haben eine schwere Nacht ohne Strom und fliessend Wasser hinter sich. Dabei befürchtet man, dass unter den Massen von Schlamm, die auf einem Radius von hundert Kilometer die Gegend im Südwesten von Valencia verwüstet haben, noch viele weitere Vermisste begraben sind.

Die Zahl der Todesfälle ist bis Donnerstag auf 102 gestiegen, was die Überschwemmungen zur schwersten Naturkatastrophe in Spaniens Geschichte macht. Besonders betroffen war der kleine Ort Paigorda, wo 40 Menschen ums Leben kamen, darunter sechs Bewohner eines Altenheims, das stark überflutet wurde.

Warnungen auf Handys kamen zu spät

Nun steht die Frage im Raum, warum die Katastrophe solch ein Ausmass annahm. Der spanische Wetterdienst Aemet warnte bereits am Sonntag vor starkem Regen und erhöhte die Alarmstufe am Dienstagmorgen auf rot. Doch die Zivilschutzwarnung auf Handys erreichte die Bevölkerung erst am Dienstagabend um 20 Uhr 15. Da waren viele Orte bereits überschwemmt und Menschen ums Leben gekommen.

Der valencianische Regionalpräsident Carlos Mazón hatte am Dienstag um 13 Uhr noch ein Treffen mit Vertretern der Tourismusbranche. Bei einem kurzen Auftritt vor der Presse sagte er, man erwarte, dass der Sturm bis 18 Uhr abflauen und ins Landesinnere Richtung Cuenca weiterziehen würde. Diese Stellungnahme hat Mazón inzwischen von seinem X-Account gelöscht. Mit seinem regionalen Krisenkomitee setzte sich Mazón erst um 17 Uhr zur Sitzung zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten.

Am Tag nach der Katastrophe gibt Mazón der Zentralregierung des Sozialisten Pedro Sánchez die Schuld. Madrid hätte den nationalen Notstand ausrufen müssen, dann wäre alles schneller gegangen. Die regionale Warnmeldung müsse gewissen protokollarischen Vorgaben entsprechen und sei zeitaufwendiger, so der Politiker des konservativen Partido Popular.

Das Innenministerium weist die Vorwürfe zurück. In solchen Situationen sei es die Aufgabe der regionalen Behörden, den Zivilschutzalarm auszulösen. Man habe ganz bewusst vermieden, den in Valencia regierenden Konservativen das Krisenmanagement zu entziehen, weil man davon ausgegangen sei, dass Mazón die Situation unter Kontrolle habe, hiess es aus Madrid.

Krisenbehörde wurde vor der Katastrophe abgeschafft

Mazón muss sich aber einen Vorwurf gefallen lassen: kurz nach seiner Wahl zum valencianischen Regionalpräsidenten im Sommer letzten Jahres schaffte er das regionale Krisenkomitee «Unidad Valenciana de Emergencias»» ab, weil er dieses als überflüssigen und teuren Posten befand.

Gerade in der Küstenregion Valencia wäre es aber wichtig gewesen, eine solche Behörde beizubehalten, um gegen die Wetterphänomene, die regelmässig Spaniens Mittelmeerküste heimsuchen, gerüstet zu sein. Die «gota fría», wie die wiederkehrenden Sturzfluten in Spanien genannt werden, treten immer im Herbst auf, wenn die Ausläufer der Tiefs über dem Atlantik auf die warme Luft im Mittelmeer treffen und es an der Küste dann zu heftigen Regenfällen kommt.

Tatsächlich hätten möglicherweise Menschenleben geschützt werden können. Doch ohne rechtzeitige Warnung gingen die Menschen am Dienstagmorgen im betroffenen Gebiet wie gewohnt zur Arbeit, die Kinder zur Schule, und in den Altenheimen lief der Alltag weiter.

Doch es gab einige Ausnahmen. Das Ford-Autowerk schloss seine Tore und die Universität von Valencia schickte alle Studenten und Professoren schon am Vormittag nach Hause. «Die Überschwemmungen kann man nicht vermeiden, das Risiko, dabei zu Tode zu kommen aber schon», sagt Félix Garcia, Professor an der Polytechnischen Universität von Valencia.

Obwohl die Innenstadt von Valencia vom Unwetter verschont blieb, herrscht unter den Bewohnern Unmut. Die gesamte Gegend südwestlich der Metropole wurde verwüstet. «Schon um 12 Uhr war uns am Dienstag klar, dass eine Katastrophe kommen würde, weil die Stauseen und die Flussbetten im Hinterland bereits überflutet waren», erzählt die Valencianerin Pepa Simó Roig im Gespräch.

Am ersten von drei offiziellen Trauertagen gingen die Menschen am Donnerstag mit Blumen ins Justizviertel Valencias. Die Behörden haben dort direkt gegenüber der Stadt der Künste und Wissenschaften eine provisorische Leichenhalle errichtet. Um den anreisenden Familienangehörigen zur Identifizierung der Opfer den Zugang zu erleichtern, blieben die meisten Geschäfte geschlossen.

Es wird einige Zeit dauern, bis in der betroffenen Region wieder Normalität herrscht. Die Regionalregierung plant, 250 Millionen Euro für Soforthilfen bereitzustellen, und auch die Zentralregierung sowie die Europäische Union haben Unterstützung zugesagt. Zuvor wird jedoch der Streit um die politische Verantwortung in die nächste Runde gehen.

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