In einer neuen Dokumentation wird das Stiff-Person-Syndrom thematisiert, an dem die kanadische Pop-Sängerin erkrankt ist. Der Film «I Am: Céline Dion» schwankt dabei zwischen mythischer Passionsgeschichte und fast pornografischer Direktheit.

Aus dem verhärmten Gesicht liest man Verzweiflung. Man möchte fast nicht hinschauen, wenn Céline Dion von ihrem Leiden spricht. Die kanadische Diva, die sich früher fit und fröhlich in der Eleganz der Haute Couture präsentierte, steckt jetzt in einer mönchischen Bluse. Aus dem schräg sitzenden Stehkragen ragt ihr schmaler Schädel. Unter falbem Haar bilden schwere Backen, die geschwollene Nase und die feuchten Augen die Physiognomie des Elends.

Verdient Unglück nicht eine gewisse Diskretion, mag sich fragen, wer die kanadische Sängerin sieht, von deren Erkrankung die 100-minütige Amazon-Dokumentation «I Am: Céline Dion» handelt. Und fast schämt man sich hinzuschauen, wenn der Star mit bisweilen schluchzender Stimme sein Schicksal rekapituliert. Manchmal nehmen sich ihre Aussagen über das Leiden, das sie lange zu vertuschen versucht habe, auch wie ein Geständnis oder eine Beichte aus: Als sei sie der Öffentlichkeit etwas schuldig geblieben.

Gestern und heute

Die Pop-Sängerin leidet seit einigen Jahren am Stiff-Person-Syndrom (SPS) – einer seltenen neurologischen Störung, die zu Krämpfen in der Muskulatur und in den Sehnen führt. Schon früh im Film ist Céline Dion zuckend und stöhnend erstmals in einem Anfall von SPS zu sehen, der Uneingeweihte an Epilepsie denken lässt. Für die Sängerin bringt das Syndrom speziell auch das Problem mit sich, dass sie ihre Stimme oft nicht mehr kontrollieren kann. In expressiven Momenten lauert stets die Gefahr klanglicher Brüche und intonatorischer Ausrutscher.

Die seltene Krankheit, zu deren Bekämpfung es noch kein wirkungsvolles Medikament gibt, hat deshalb dazu geführt, dass Céline Dion, die im Film gleichwohl ständig Pillen schluckt, sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat. Tourneen wurden abgesagt; neue Alben sind nicht mehr erschienen. Mit «I Am: Céline Dion» aber will sich die 56-jährige Sängerin offenbar in Erinnerung rufen.

Zunächst nimmt sich der Film zurückhaltend aus. Er variiert die Aktualität des Lebens mit der Chronologie einer Karriere. Céline Dion spricht über ihr Vorleben fast wie eine stolze Mutter über ihre Tochter. Gleichzeitig lobt sie ihre eigene Mutter, die für sie und dreizehn Geschwister zu sorgen hatte. Tatsächlich sorgt das dokumentarische Material aus der Kindheit für ein paar anrührende Bilder aus Dions bescheidener Herkunft.

Konzertmitschnitte von einst zeigen sie noch als ranken, hochgewachsenen Star – gleichsam als einen einzigen, singenden Muskel. Céline Dions Musikalität erweist sich tatsächlich als ebenso physisches wie expressives Vermögen. Dank kräftigen Stimmbändern und geschärftem Gehör meisterte sie grösste Intervalle in höchsten Registern.

Die Kanadierin, die 1988 mit «Ne partez pas sans moi» für die Schweiz den Grand Prix Eurovision de la Chanson gewann, investierte ihre vokale Virtuosität dabei immer wieder in Power-Balladen. In Songs wie «The Power of Love» oder im «Titanic»-Titelsong «My Heart Will Go On» kamen die gleichsam sportlichen Qualitäten ihres Singens besonders gut zum Ausdruck. Umso mehr ist die fehlende Fitness auch eine künstlerische Katastrophe.

Leidende Stars

Biografische Dokumentationen gehören heute fix in die Promotion von Pop-Karrieren. Die Stars stellen sich vor laufende Kameras, um den Fans Einblicke in ihre Privatsphäre zu gewähren. Man kann davon ausgehen, dass sie das Drehbuch dabei zumeist bestimmen oder zumindest beeinflussen können. Das Dokumentarische ist durchaus inszeniert.

I Am: Celine Dion - Official Trailer | Prime Video

Umso erstaunlicher, dass sich die Stars, von der Öffentlichkeit gefeiert und beneidet, immer wieder als leidende, vom Schicksal gebeutelte Menschen in Szene setzen. Das mag zunächst daran liegen, dass mit dem Erfolg tatsächlich immer auch der Erfolgsdruck und die Angst vor Misserfolg zunehmen. Vielleicht versuchen sie die Bindung der Fans zu festigen, indem sie deren Mitgefühl forcieren. Es gibt überdies strukturell-filmische Gründe: Die Dokumentationen selbst sollen von einer Dramatik profitieren, die sich im Spannungsfeld von Aufstieg und Fall, Triumph und Scheitern aufbaut.

So thematisierte Lady Gaga in einem entsprechend exhibitionistischen Dokumentarfilm vor Jahren schon ihre chronischen Schmerzen. Britney Spears schilderte den Kampf gegen ihren Vater; und Robbie Williams zeigte sich jüngst als Opfer von Süchten und Depressionen. In «I Am: Céline Dion» aber werden die Qualen der Sängerin in geradezu grotesker Weise überhöht und ausgeweidet. Der Leidensweg des Pop-Stars erinnert so einerseits an die Passionsgeschichte von Heiligen. Andrerseits muss sich die Regisseurin Irene Taylor den Vorwurf gefallen lassen, in einschlägigen Passagen auf eine Art Leidens-Pornografie gesetzt zu haben.

Céline Dion verspricht ihrem Publikum, hart an einem Comeback zu arbeiten. Aber wer den Film gesehen hat, wird daran zweifeln. Dem bedingungslosen Willen zu körperlicher und insbesondere vokaler Arbeit, von der die Genesung abzuhängen scheint, steht die Macht einer Krankheit gegenüber, deren erschreckende Symptomatik in Nahaufnahme demonstriert wird.

Gnadenlose Nähe

An Céline Dions Krankheit ist so wenig zu zweifeln wie an der Tragik ihres jetzigen Lebens. Die Regisseurin Irene Taylor aber hebt die Krankheit in die Sphären der Sensation. Gegen Ende des Films wird eine schwere SPS-Attacke von Kamera und Mikrofon in allen Details demonstriert. So sind aus unmittelbarer Nähe das schmerzverzerrte Gesicht, die spastischen Verrenkungen einer delirierenden Frau zu sehen, die Bewusstsein und Souveränität ganz an ihre Therapeuten verloren zu haben scheint.

«Man schämt sich nachher immer so», wird Céline Dion später sagen, in kuschliges Frottee gewickelt wie ein Baby. «Man gibt nicht gerne die Kontrolle ab.» Der Film aber opfert Scham und Würde der Sängerin der voyeuristischen Lust der Öffentlichkeit.

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