Mittwoch, Januar 15

Wenn sie ihren Job gut macht, setzt das bei der UBS Milliarden an Kapital für künftiges Wachstum frei – und qualifiziert sie für höhere Weihen. Wie Beatriz Martin Jimenez die Altlasten der Credit Suisse beseitigt.

Grau, eckig, kühl. Das UBS-Gebäude nahe der Liverpool-Street-Station in London würden Architekturkritiker wohl als neobrutalistisch bezeichnen. Und es ist gut möglich, dass irgendwo in diesem massigen Würfel Beatriz Martin Jimenez gerade lacht.

Die 51-jährige Madrilenin lacht gerne und oft auch so, wie es nur Spanierinnen können: laut, heiser, herzlich. Es klingt in der gedeckten Atmosphäre des Londoner Büros wohltuend, zumal Martins momentan wichtigster Job ein ernster ist: Sie räumt für die UBS die Altlasten aus der staatlich verordneten Übernahme der gescheiterten Credit Suisse auf.

Martin arbeitet die meiste Zeit in London, wo sie mit Mann und Tochter lebt, ist aber auch viel in Zürich, New York und Asien. Das hat auch damit zu tun, dass sie bei der UBS derzeit vier Hüte aufhat. Sie ist CEO Grossbritannien, präsidiert die Emea-Region (Europa, Naher Osten, Afrika), sie zeichnet im Konzern für den Bereich Nachhaltigkeit und Impact verantwortlich.

Und sie leitet seit vergangenem Jahr den Bereich Non-Core and Legacy (NCL), auf Deutsch: Nicht-Kerngeschäft und Altlasten. Das ist der Job, der ihr auch einen Sitz in der Geschäftsleitung der nunmehr einzigen Schweizer Grossbank eingebracht hat.

Bei dieser sorgen neben dem CEO Sergio Ermotti in der Regel nur die beiden Co-Chefs der weltweiten Vermögensverwaltung, Iqbal Khan und Rob Karofsky, und die Schweiz-Chefin Sabine Keller-Busse mit ihren Resultaten oder Abbauplänen für Schlagzeilen.

Doch im ersten Quartal 2024 hat sich NCL ins Scheinwerferlicht der Finanzanalysten gerückt. Unter der Führung von Martin trug die Einheit, die 2000 Mitarbeiter beschäftigt, einen bedeutenden Betrag zu einem über Erwarten guten Konzernergebnis bei.

Die risikogewichteten Aktiven in NCL wurden um 16 auf 58 Milliarden Dollar reduziert, die Kosten um 26 Prozent auf 0,8 Milliarden Dollar gedrückt und Erträge von 1 Milliarde Dollar erzielt durch den beschleunigten Verkauf von Altlasten.

In den beiden Vorquartalen fuhr Martins Team die risikogewichteten Aktiven bereits um je 6 Milliarden zurück.

Was diese Zahlen bedeuten? Im Wesentlichen, dass die UBS davon profitiert, dass Martin zackig aufräumt mit dem CS-Erbe. Zackig auch im Vergleich mit anderen Banken, die in der Vergangenheit Altlasten abbauen mussten. Zackiger auch als damals, als die UBS selbst nach ihrer Rettung durch den Bund ihr Risikoprofil massiv entschärfen musste.

Wie Beatriz Martin dabei vorgeht? Eigentlich ziemlich strukturiert und unaufgeregt, wie sie im Gespräch erklärt. Schliesslich hat sie das Ganze schon einmal ähnlich durchgespielt. Martin war 2012 zur UBS gestossen, unter anderem mit der Aufgabe, das risikoträchtige Investment-Banking-Geschäft zu schrumpfen.

Eine Black Box voller Risiken

Martin legt zunächst Wert auf die Feststellung, dass NCL keine Bad Bank sei. Die Einheit ist also keine Ansammlung von problembehafteten oder gar notleidenden Anlagen, welche dringend abgestossen werden müssen. «Es sind einfach Vermögenswerte, welche wir nicht als strategisch für die langfristige Zukunft der UBS betrachten», erklärt Martin.

Als die UBS am 19. März 2023 die Credit Suisse notfallmässig rettete, übernahm sie im Prinzip eine Black Box. Für eine vertiefte Prüfung der Bücher der Konkurrentin war naturgemäss keine Zeit geblieben. Also musste die UBS Annahmen über die Werte und die Risiken treffen, die in der Credit Suisse steckten. Kein triviales Unterfangen, zumal die CS an ihrer Risikokultur gescheitert war. Auch vor diesem Hintergrund beharrte die UBS-Führung in einer Übergangsphase darauf, dass der Staat die Deckung eines Teils der möglichen Verluste aus dieser Übernahme garantiert.

«Als klar war, dass die Credit Suisse unter grossem Stress steht, haben wir uns darauf vorbereitet, dass die UBS in irgendeiner Weise Teil einer Lösung für die CS sein könnte», sagt Martin, die bis im Frühling 2023 Group Treasurer, also oberste Kassenwartin der Grossbank war.

Konkret machte sie sich Gedanken über die Liquiditäts- und Kapitalausstattung der UBS und überlegte, wie diese sich ändern würde, wenn die Credit Suisse Teil der Bank würde. Doch erst nach der Ankündigung der Übernahme durfte ein sogenanntes Clean Team mit Spezialisten aus den Gruppenfunktionen und aus einzelnen UBS-Geschäftseinheiten die Vermögenswerte sichten.

Allgemein haben die Mitglieder solcher Teams Zugriff auf sensitive beziehungsweise vertrauliche Daten (in diesem Fall der CS), dürfen diese aber nicht offen mit ihrem Arbeitgeber (UBS) teilen.

Wie komplex sind die einzelnen Geschäfte? Wie lange sind die Laufzeiten? Wer ist die Gegenpartei? Welche Art von Risiko ist damit verbunden?

Erst nachdem solche Fragen beantwortet worden waren, ging es ans Aussortieren. In den Bereichen globale Vermögensverwaltung, Privat- und Firmenkundengeschäft und vor allem im Investment Banking musste das Clean Team entscheiden, welche Geschäfte die UBS abstossen wollte und welche behalten.

Diese Empfehlungen wurden durch das Management überprüft, um sicherzustellen, dass sie zur bestehenden Strategie und zum Risikoappetit der UBS passten. Alles andere landete im Topf Non-Core and Legacy: Es waren 100 Milliarden Dollar an unerwünschten Vermögenswerten. «Am Anfang war das Wichtigste an unserer Arbeit, diesen Perimeter festzulegen», erklärt Martin.

Vereinfacht gesagt, standen dabei vor allem Investment-Banking-Aktivitäten der Credit Suisse auf dem Prüfstand. Während die UBS ein weniger kapitalintensives Geschäftsmodell verfolgt, stellte die CS schneller ihre eigene Bilanz den Kunden zum Hebeln von deren Geschäften zur Verfügung. Sie setzte auch in grösserem Umfang auf Kreditvergabe, und ihre Derivate-Portfolios waren komplexer als jene der UBS.

Hat das Clean Team der UBS in der Credit-Suisse-Black-Box auch Dinge entdeckt, die es entsetzt haben? «Nein», sagt Martin, «wir haben nie Positionen gesehen, die schockierend waren.»

Ein unlösbares Personalproblem

Dieses Jahr nun hat Non-Core and Legacy den Ausstieg aus verschiedenen Geschäften vollzogen, welche die UBS nicht als relevant für ihre Zukunft ansah. So gelang beispielsweise der Ausstieg aus dem Bereich Verbriefte Produkte; die Investmentgesellschaft Apollo übernahm von der UBS ein Portfolio mit einem Volumen von 8 Milliarden Dollar.

«Meine Kolleginnen und Kollegen sind hochmotiviert, weil sie sehen, dass sie mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag zum Erfolg der UBS und zum künftigen Wachstum der Bank leisten», sagt Martin. Doch die Arbeit in NCL hat auch Nachteile.

Zum einen ist der Beitrag nur indirekt sichtbar: Indem Martins Team Vermögenspositionen abbaut und die risikogewichteten Aktiven reduziert, setzt es innerhalb der Bank Kapital frei. Dieses kann die UBS in den Kerngebieten wie der Vermögensverwaltung einsetzen und damit zukünftiges Ertragswachstum finanzieren.

Zum andern stellt sich ein grosses persönliches Problem für die NCL-Mitarbeiter. Wenn alle CS-Altlasten abgebaut sind, braucht es auch keine Non-Core-and-Legacy-Abteilung. Mit anderen Worten: Je schneller und gründlicher sie arbeiten, desto eher haben sie keinen Job mehr.

Rund 95 Prozent der NCL-Einheit stellen ehemalige Angestellte der Credit Suisse. Mit dem Transfer ganzer Geschäftsbereiche in den Bereich Nicht-Kerngeschäft und Altlasten wurden nicht nur Vermögenswerte übertragen, sondern auch der ganze Apparat, der das Investment Banking unterstützt: Rechtseinheiten, IT-Systeme sowie die damit verbundenen Stellen.

Das heisst, mit jedem substanziellen Abbau von CS-Altlasten wird auch die Infrastruktur abgewickelt und die Kostenbasis der UBS substanziell reduziert.

«Unser Job geht weit über reines Risikomanagement und das Verkaufen von Vermögenswerten hinaus», erklärt Martin. Der Fortschritt der Arbeiten ihres Teams wird denn auch an Kosteneinsparungen gemessen. Der Grund dafür ist einfach: Je länger NCL mit dem Aufräumen wartet, umso länger muss die UBS zwei Investment-Banking-Einheiten parallel betreiben.

Darum ist die Fusion der Stammhäuser UBS AG und Credit Suisse AG, welche Ende Mai abgeschlossen wurde, ein wichtiger Meilenstein für Martin. Seither können ihre Mitarbeiter Vermögenswerte von CS-Kunden einfach in die UBS-Systeme verschieben und die CS-Infrastruktur systematisch verlassen und danach schliessen.

Martin erklärt das sehr sachlich. Doch wie motiviert man Mitarbeiter, die sich letztlich selber abschaffen? Mit «offener und regelmässiger Kommunikation», lautet ihre Antwort. Das bedeutet, dass sie von Anfang an die Erwartungen klar formuliert hat: dass die Bank langfristig nicht garantieren könne, dass jeder Mitarbeiter auch in Zukunft eine Aufgabe haben werde.

Martin erklärte ihnen, dass die Bank versuche, den NCL-Beschäftigten dabei zu helfen, nach Möglichkeit künftig Aufgaben in anderen Bereichen des Unternehmens zu finden. Es werden auch Gespräche geführt über die beruflichen Präferenzen der Mitarbeiter, um herauszufinden, welche Möglichkeiten es gibt, wenn NCL seine verschiedenen Abbauarbeiten abgeschlossen hat.

«Meiner Meinung nach können professionelle Mitarbeiter mit jeder Nachricht umgehen, solange sie klar ist und solange wir uns ihren Fragen stellen und ihnen helfen, die Situation zu verstehen», sagt Martin in der toughen Art, die vielen Spanierinnen ebenso eigen ist.

Sie kann von sich auch sagen, dass die Führung von NCL sie nie gestresst habe. «Ich schaue die Dinge an und versuche sie in Teile zu zerlegen, mit denen wir klarkommen.» So beschreibt Martin ihr Vorgehen und schiebt nach: «Wenn wir weitergehen, sehen wir Dinge, die wir nicht vorhergesehen haben. So ist das Leben eben.» Man sei sehr gut darin, sich an alle Situationen anzupassen und diese zu managen.

Heikle Frage nach der Ermotti-Nachfolge

Von einer ersten Begegnung mit Beatriz Martin Jimenez bleibt der Eindruck, dass die UBS mit ihr derzeit die richtige Person am richtigen Ort hat. Qualifiziert sie sich damit auch für höhere Weihen in der Grossbank?

Eine Bedingung für das Gespräch mit Martin war, dass sie keine Fragen zur Nachfolge von Sergio Ermotti als UBS-Chef beantworten würde. Eine Annäherung ist es trotzdem wert:

Was war ihre Reaktion, als sie die Führung von NCL angeboten bekam? «Oh, ich wollte den Job unbedingt machen!»

Macht sie jeden Job, wenn sie die Bank darum bittet? «Ja, die Verantwortung für Nachhaltigkeit und Impact etwa habe ich sofort angenommen, weil ich eine neugierige und lernwillige Person bin.»

Würde sie einen Chefposten in der weltweiten Vermögensverwaltung annehmen (der sie dann definitiv für höhere Weihen in der Bank qualifizieren würde)? Martin lacht schallend.

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