Stellenweise hält man die Luft an vor Anspannung. Aber die Regisseurin Alauda Ruiz de Azúa liefert keinen Thriller und auch kein Gerichtsdrama. Sondern die einnehmende Studie eines Traumas.

Eine trostlose Küche in Grau, alles ist blitzblank gewischt. Die Frau steht regungslos gegen einen Tisch gelehnt. Ihre Lippen presst sie zusammen, ihr Blick fällt ins Leere. Man spürt, dass sie sich zusammenreissen muss, um nicht zu weinen oder zu schreien. Die Kamera filmt aus einigen Metern Entfernung, keine Bewegung, keine Musik. In der Stille spürt man eine Gewalt, über die lange nicht gesprochen wurde.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Miren ist der Name dieser Frau. Sie war dreissig Jahre mit Iñigo verheiratet. Die beiden haben zwei erwachsene Söhne, Aitor und Jon. Sie hat ihn verlassen und wegen Vergewaltigung angezeigt. Er hat sie gegen ihren Willen zu Sex gezwungen, ist in sie eingedrungen, während sie schlief, hat ihr Schmerzen zugefügt – und wenn sie sich verweigerte, hat er sie mit Ablehnung bestraft.

Jahrelang hat sie nichts gesagt, weil sie sich vor der Reaktion ihres Mannes fürchtete und weil sie sich schämte. Was dieser sich aus dieser Beziehung lösende Schritt für sie und ihre Familie bedeutet, zeigt die spanische Miniserie «Querer» von Alauda Ruiz de Azúa in vier Episoden, die sich über mehrere Jahre von der Anzeige bis zum Nachgang des Urteilsspruchs spannen.

Auch der Täter ist ein Opfer

Die Handlung entfaltet sich entlang moralischer Konflikte und des psychologischen Drucks, wobei alle vier Protagonisten ernst genommen werden. Es gibt kein Schwarz und Weiss, sämtliche Figuren sind zugleich Opfer, selbst der Täter. «Querer» ist kein Gerichtsdrama und kein Thriller, auch wenn man stellenweise die Luft anhält vor Anspannung, vielmehr ist es die Studie eines Traumas und von dessen schwieriger Überwindung.

Was diese Serie über weite Strecken stark macht, ist, dass hier einmal nicht alles ausgesprochen wird. Stattdessen zählt, was sich zwischen dem Gesagten offenbart, etwa in einer Umarmung oder der Pause vor einer Antwort. Insbesondere die dritte Episode, die in langen Sequenzen die Aussagen der Familienmitglieder vor Gericht zeigt, besticht durch ein durchkomponiertes Ballett aus Blicken und Wörtern.

Nur ganz selten drängen sich die Inszenierung oder die freudianische Unterfütterung auf, etwa wenn Jon eine Panikattacke bekommt, als er Sex im alten Bett seiner Eltern hat. Meist aber ist alles viel subtiler und ambivalenter. Lange statische Einstellungen erzeugen ein Engegefühl und zeigen die Normalisierung einer Unterdrückung. Normalisierung ist ein seltsames Wort, wenn es um eine Vergewaltigung geht, aber genau das ist der Punkt.

Abgründe des Patriarchats

Erzählt wird nämlich von diversen Verhaltensmustern innerhalb der Familie, die von der Verwendung bestimmter Vokabeln in der Beschreibung Mirens («hysterisch», «verrückt», «instabil») über Machtspiele mit Geld bis zum alltäglichen Umgang reichen. Eigentlich ist es dann nur folgerichtig, dass sich dieses Verhalten bis ins Schlafzimmer fortsetzt.

Unaufgeregt legt die Serie die Abgründe des Patriarchats und des Machismo offen, und zwar nicht mit dem moralischen Zeigefinger, sondern in subtil gezeigten Verhaltensmustern sämtlicher Figuren. Vor allem Aitor, der ältere Sohn, durchläuft eine ganz erstaunliche Entwicklung. Hält er zunächst bedingungslos zu seinem Vater, erkennt er nach und nach dessen Aggressionsverhalten an sich selbst.

So fühlt auch er sich von einem harmlosen Scherz seiner Partnerin in seiner Männlichkeit angegriffen, woraufhin er bei der Heimfahrt das Auto beschleunigt, um ihr Angst einzujagen. Er ist kein Vergewaltiger, aber er spürt den Vergewaltiger in sich. Er antwortet auf das Toxische in sich mit Zärtlichkeit, eine bewegende Wandlung.

Es ist eine Krankheit

Miren hätte es auch leichter haben können, wenn sie ihren Mann einfach verlassen hätte, ohne ihn anzuzeigen. Dass sie diese Bürde auf sich nimmt und so zunächst von einem ihrer Söhne und von Freunden der Familie geächtet wird, ist der schwierigste Schritt auf dem Weg zu einer Erkenntnis für fast alle Beteiligten.

Diese Erkenntnis ist nicht leicht zu benennen, sie hängt wohl mit dem Eingestehen einer Krankheit zusammen. Die Krankheit falscher Vorstellungen von Beziehung und Männlichkeit, die Krankheit als gesellschaftlich geduldetes Ungleichgewicht, die Krankheit im Verschweigen einer anhaltenden Brutalität.

«Querer» bietet kein Heilmittel, er hält der Normalität einen Spiegel vor, der zeigt, wie diese in ihrem Selbstverständnis erschüttert wird. Das hat nicht viel zu tun mit dem, was man heute sonst so unter einer Serie versteht. Kein Wunder, dass die Arbeit auf Filmfestivals am Stück gezeigt wurde, sie funktioniert eher wie ein langer Spielfilm und ist vielschichtiger als viele der dieses Jahr im Kino gezeigten Bilder von Beziehungen und Familien.

Bei Arte.

Exit mobile version