Samstag, Januar 4

Laut Israels Armee wurde das Kamal-Adwan-Spital von der Hamas genutzt – die Soldaten haben über 240 Terrorverdächtige festgenommen. Ein israelischer «Erfolg» ist die Operation dennoch nicht.

Im nördlichen Gazastreifen gibt es kein einziges funktionsfähiges Spital mehr, nachdem die Kamal-Adwan-Klinik am Wochenende den Betrieb eingestellt hat. Das Spital in Beit Lahia war die letzte Anlaufstelle für Verwundete und Kranke im Norden des umkämpften Küstenstreifens, wo die Lebensbedingungen Tag für Tag unerträglicher werden. Zuvor hatten die israelischen Streitkräfte (IDF) am Freitag eine Militäroperation im Kamal-Adwan-Spital und im umliegenden Gebiet gestartet.

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Laut Israels Armee handelte es sich bei dem Spital um eine «Hamas-Hochburg», von der aus militärische Aktivitäten ausgeführt worden waren. Die IDF ordneten darauf die Evakuierung an. Mitarbeiter, Ärzte und Patienten wurden in das sogenannte Indonesische Spital gebracht, das allerdings ebenfalls vor wenigen Tagen bei einer IDF-Operation stark beschädigt wurde. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die am Montag Hilfsgüter in das Indonesische Spital brachte und zehn Patienten in kritischem Zustand evakuierte, ist die Klinik nicht mehr funktionsfähig.

Bei den Kämpfen in und um die Kamal-Adwan-Klinik wurden nach Angaben der israelischen Armee 19 Palästinenser getötet, wobei es sich bei allen um Terroristen gehandelt habe. Das von der Hamas kontrollierte palästinensische Gesundheitsministerium spricht hingegen von 50 Toten. Laut der WHO befanden sich unter den Getöteten ausserdem fünf Spitalmitarbeiter. Die israelische Armee bestreitet derweil, dass Zivilisten getötet wurden.

Die IDF verhafteten nach eigenen Angaben über 240 Terrorverdächtige – unter anderem auch den Spitaldirektor, der verdächtigt wird, ein Mitglied der Hamas zu sein. Nach dem Abschluss der Operation am Samstag sprach Israels Militär von «einer der grössten Operationen, um Terroristen festzunehmen, die seit Beginn des Kriegs durchgeführt wurden».

Israels Sisyphusarbeit

Ob der Angriff auf das Spital wirklich als israelischer Erfolg verbucht werden kann, ist jedoch fraglich. In Beit Hanun, Jabalia und Beit Lahia –den drei grossen Orten in Nordgaza – laufen derzeit weitere Militäroperationen der israelischen Armee. Nach wie vor kämpfen dort offenbar Terroristen der Hamas. Selbst nach über 14 Monaten Krieg hat Israel das Gebiet nicht unter Kontrolle – obwohl die Armee bereits im Januar verkündet hatte, dort die Hamas «besiegt» zu haben.

Das Gegenteil ist der Fall. Am Sonntagnachmittag wurden fünf Raketen aus dem nördlichen Gazastreifen auf Israel abgefeuert, von denen zwei abgefangen wurden. Die restlichen Geschosse gingen auf unbewohnte Gebiete nieder. Israels Armee verrichtet im nördlichen Gazastreifen offenbar eine Sisyphusarbeit: Die laufende Grossoffensive in dem Gebiet hatte im Oktober begonnen und eine Schneise der Zerstörung hinterlassen, die sogar für den derzeitigen Gaza-Krieg ungewöhnlich ist. Trotzdem hält sich die Hamas hartnäckig.

Die Leidtragenden sind die Menschen im Gazastreifen, für die der Krieg eine Katastrophe bedeutet. Bis zu 15 000 Palästinenser leben nach Angaben der Uno und der amerikanischen Regierung noch in den Gebieten nördlich der Stadt Gaza, wo kaum Hilfslieferungen ankommen und nun keinerlei medizinische Versorgung mehr gewährleistet werden kann. Doch auch im restlichen Gazastreifen ist das Leid schier unerträglich. 90 Prozent der 2,2 Millionen Einwohner wurden im Krieg vertrieben und leben nun in Zelten. Selbst in der sogenannten humanitäre Zone im Süden des Küstenstreifens kommt es immer wieder zu Angriffen – und jetzt kommt noch die Winterkälte hinzu.

Offenbar sechs erfrorene Kleinkinder

Im Gazastreifen sind vergangene Woche laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sechs Kleinkinder an Unterkühlung gestorben. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben nicht. Auch der Fernsehsender CNN und die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen berichteten vor wenigen Tagen von erfrorenen Kleinkindern. Darunter war offenbar auch der drei Wochen alte Jomaa al-Batran. Dessen Vater sagte der Nachrichtenagentur AP, der Kopf seines Sohnes sei am Sonntagmorgen «kalt wie Eis» gewesen. Er habe erfolglos versucht, das Kleinkind in einer Decke warmzuhalten.

Derzeit fallen die Temperaturen im Gazastreifen regelmässig auf unter zehn Grad in der Nacht, und es herrschen starke Winde und Regen. Hunderttausende müssen diese garstigen Bedingungen in notdürftig gebauten Zelten aushalten. Laut Angaben der Uno müssen mindestens eine Million Menschen die Wintermonate ohne angemessene Unterkunft verbringen.

Besonders im Norden des Gazastreifens ist die humanitäre Lage seit Monaten desolat. Laut dem Welternährungsprogramm wurden seit Beginn der israelischen Grossoffensive im nördlichen Gazastreifen am 6. Oktober bis Ende Dezember nur drei von 101 beantragten Hilfslieferungen in das Gebiet bewilligt. Die Stadt Beit Hanun war demnach während 75 Tagen komplett von Hilfslieferungen abgeschnitten.

Mit dem Angriff auf das Kamal-Adwan-Spital haben nun Tausende Menschen keinerlei Zugang mehr zu gesundheitlicher Versorgung. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen teilte am Montag auf Anfrage mit, dass der Angriff auf die Kamal-Adwan-Klinik einem Muster von wiederholten Attacken der israelischen Truppen auf die Gesundheitsinfrastruktur ähnele. Die israelische Armee verweist ihrerseits stets darauf, dass sich die Hamas in diesen Gesundheitseinrichtungen verschanze.

Das Gesundheitssystem im Gazastreifen steht deshalb seit Monaten kurz vor dem Kollaps. Besserung ist nicht in Sicht. Am Montag meldete die WHO, dass es auch bei zwei weiteren Spitälern in der Stadt Gaza zu israelischen Angriffen gekommen sei.

Exit mobile version