Der bekannteste Häftling der Schweiz ist aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Er sass wegen einer Prügelattacke hinter Gittern.

Wäre nicht Brian Keller involviert gewesen, der bekannteste Häftling der Schweiz, es hätte wohl kaum jemand über den Vorfall berichtet. Ein Angriff mit Fäusten, überraschend und gezielt, der Anfang Mai in Albisrieden stattgefunden hat. Eine Prügelattacke als Eskalation eines Streits zwischen zwei Alpha-Männern.

Doch eben: Brian Keller war involviert. Er, der seit 2013 unter medialer Beobachtung steht, seit er in einem SRF-Dokumentarfilm über jugendliche Straftäter unter dem Pseudonym «Carlos» berühmt wurde.

Keller ist es, der seinen Widersacher mit Fäusten traktiert und daraufhin in Untersuchungshaft landet. Nun wird er, wie die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft mitteilt, wieder freigelassen. Es ist die jüngste Wendung in der Geschichte eines «Systemsprengers», der lange um seine Freiheit kämpfte, nur um sie nach wenigen Monaten durch seine Prügelattacke wieder zu verlieren.

«Jetzt beginnt das Leben»

Keller, der selbst die Nennung seines Klarnamens wünscht, ist mittlerweile 28. Einen Gutteil seines Lebens hat er in Konflikt mit den Behörden verbracht. Schon als 11- und 12-Jähriger landet er in geschlossenen Einrichtungen und Erwachsenengefängnissen. Mit 15 begeht er eine schwere Gewalttat, einen Messerangriff. Es folgen strenge Einzelhaft, mehrere Suizidversuche und eine tagelange Zwangsfixierung in der Psychiatrie.

Danach eine Odyssee aus Gefängnisaufenthalten, während denen es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit Aufsehern und massiver Sachbeschädigung kommt. Sie endet – zumindest scheinbar – im vergangenen Herbst, als das Bezirksgericht Dielsdorf Kellers Freilassung verfügt und den Zürcher Justizvollzug rügt: Brian Keller, so der Richter, sei zeitweise unmenschlichen und unrechtmässigen Haftbedingungen ausgesetzt gewesen.

Siebeneinhalb Jahre war Keller zu diesem Zeitpunkt in Haft, sechs davon ohne rechtskräftiges Urteil. Diverse Verfahren gegen ihn laufen aktuell noch, die meisten wegen Gewaltvorfällen hinter Gittern. Erstinstanzlich wurde Keller dafür bereits mehrfach verurteilt. Seine Strafen dürfte er durch seine Zeit in Sicherheits- und Untersuchungshaft jedoch abgesessen haben.

Die Freilassung im vergangenen November war ein Medienereignis, wie jede Wendung in diesem Fall. Ein Heer aus Anwälten, PR-Beratern und Unterstützern – unter ihnen auch ein Künstlerkollektiv – hatte lange auf diesen Moment hingearbeitet. Keller selbst sagte: «Jetzt beginnt das Leben.»

Fünf Monate später sass er wieder in Untersuchungshaft.

Ein Streit unter Tiktokern

Hintergrund war ein Streit in den sozialen Netzwerken. Auf der Videoplattform Tiktok hatte Keller sich eine Auseinandersetzung mit einem Influencer namens «Skorp808» geliefert. Die beiden bedrohten sich per Video mit Messern, beschimpften sich gegenseitig. Atemlos berichtete die Boulevardpresse über nächtliche Besuche und Verfolgungsjagden durch die Stadt.

Was genau zwischen den beiden alles vorgefallen ist, bleibt jedoch unklar. Es ist Gegenstand mehrerer laufender Verfahren.

Klar ist dagegen, was auf einem Video vom 2. Mai zu sehen ist: Keller, wie er seinen Kontrahenten niederprügelt. Danach soll er sich selbst der Polizei gestellt haben. Wenig später wurde auch «Skorp808», der mehrfach vorbestraft ist und sieben Jahre hinter Gittern sass, in Untersuchungshaft gesetzt. Gegen beide eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren.

Nun folgt also die erneute Freilassung. Wie die Oberstaatsanwaltschaft schreibt erfolgt diese auf Antrag der Verteidigung. Kellers Anwälte haben den Behörden offenbar ein umfangreiches Konzept eingereicht, das nun seine Rückkehr in die Freiheit ermöglicht. Es beinhalte «verschiedene Ersatzmassnahmen, mit welchen der Wiederholungsgefahr für neue Straftaten begegnet werden soll».

So muss Keller sich etwa in psychologische Therapie begeben und im Alltag von einem Sozialpädagogen begleiten lassen. Auch ein Kontakt- und Rayonverbot zu seinem Kontrahenten wurde veranlasst.

Das seien «sinnvolle und vertretbare Auflagen», schreibt die Staatsanwaltschaft. Basierend darauf habe sie bei Zürcher Zwangsmassnahmengericht Keller Entlassung beantragt. Der Antrag wurde am Dienstag genehmigt, gleichentags wurde Keller auf freien Fuss gesetzt.

Ungewisse Zukunft

Die Geschichte ist damit jedoch, wie so oft im Fall Brian Keller, noch lange nicht ausgestanden. Das Strafverfahren gegen ihn läuft weiter, unter anderem wegen des Verdachts auf Körperverletzung.

Auch die Wirkung der Auflagen ist alles andere als gewiss. So war etwa eine sozialpädagogische Begleitung schon bei der letzten Freilassung im Herbst versprochen worden, bleib aber offensichtlich ohne unmittelbaren Erfolg.

Die Staatsanwaltschaft schreibt denn auch, dass die zuständigen Betreuer verpflichtete seien, ihr allfällige Verstösse gegen die Auflagen zu melden. Keller hat nun erneut die Chance, sich in Freiheit zu bewähren. Wie er selbst über seine Entlassung denkt, ist nicht bekannt. Seine Familie teilt auf Anfrage mit, dass weder er noch seine Anwälte sich zum jetzigen Zeitpunkt äussern werden.

Exit mobile version