Donnerstag, Januar 30

Die Freilassung eines international gesuchten Libyers durch Italien bringt die Ministerpräsidentin in Rom in Bedrängnis. Diese reagiert jetzt.

Es war die Ministerpräsidentin höchstselbst, Giorgia Meloni, welche am späten Dienstagnachmittag die Bombe platzen liess. Gegen sie und einzelne ihrer Regierungskollegen werde ermittelt, sagte sie in einem Video, welches sie über ihren Facebook-Kanal ausspielen liess. Es gehe um mutmassliche Beihilfe zu einer Straftat und Begünstigung, erklärte Meloni und hielt ein entsprechendes Papier der Staatsanwaltschaft in die Kamera.

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Auslöser ist die Freilassung des vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC) gesuchten Chefs der libyschen Kriminalpolizei, Usama Almasri Najim, durch Italien. Dieser war vor einigen Tagen aufgrund eines Haftbefehls in Turin zunächst festgenommen, dann freigelassen und mit einer italienischen Regierungsmaschine nach Tripolis überführt worden. Das Gericht in Den Haag erklärte, über die Freilassung nicht informiert worden zu sein, und forderte deswegen von Italien eine Erklärung.

In dem Video erklärte Meloni, sie lasse sich nicht erpressen und einschüchtern. «Wir machen erhobenen Hauptes und ohne Angst weiter», sagte sie kämpferisch – nicht ohne en passant noch ein paar verbale Ohrfeigen gegen den involvierten Staatsanwalt und den Rechtsanwalt auszuteilen, welcher die Sache ins Rollen gebracht hat. Ziemlich unverblümt unterstellte sie den beiden politische Absichten.

Prozess höchst unwahrscheinlich

Kaum war das Video publiziert worden, meldete sich die Vereinigung der Richter und Staatsanwälte zu Wort und präzisierte, dass es sich, anders als von Meloni behauptet, nicht um einen Ermittlungsentscheid handle, sondern lediglich um eine nach geltendem Recht zwingende Information der verdächtigten Regierungsmitglieder. Ohnehin gilt es als höchst unwahrscheinlich, dass es in dem Fall je zu einem Prozess kommt. Dazu müsste das Parlament seine Zustimmung geben, was angesichts der Mehrheitsverhältnisse kaum wahrscheinlich ist.

Dass sich Meloni trotzdem dazu entschlossen hat, in die Offensive zu gehen, hat mit der aufgeheizten Stimmung zu tun. Zwischen Italiens Justiz und der Regierung fliegen die Fetzen. Anlässlich der feierlichen Eröffnung des Gerichtsjahres durch Justizminister Carlo Nordio vor wenigen Tagen haben zahlreiche Vertreter der Justiz den Saal verlassen – aus Protest gegen die grosse Justizreform der Regierung. Diese sieht unter anderem eine Trennung der Karrieren von Richtern und Staatsanwälten vor. Die Reformgegner befürchten, dass die Regierung damit das Justizwesen kontrollieren wolle.

Auch im Fall des Asylzentrums in Albanien ist es zu Spannungen zwischen den Staatsgewalten gekommen, nachdem ein Gericht in Rom zweimal die Unterbringung von Migranten in dem extraterritorialen Zentrum abgelehnt hatte. Die Migranten stammten nicht aus sogenannt «sicheren» Herkunftsländern, urteilte das Gericht, womit eine der Voraussetzungen für die Festsetzung in Albanien nicht gegeben sei. Die Definition, welche Länder als sicher gelten, stünde nicht den Gerichten zu, sondern der Politik, erwiderte darauf die Regierung. Am Donnerstag wird ein weiteres Urteil in dieser Angelegenheit erwartet, nachdem die Behörden am Dienstag zum dritten Mal Migranten nach Albanien geführt haben.

Ablenkung vom eigentlichen Fall

Die Liste der Kontroversen zwischen Justiz und Politik liesse sich beliebig verlängern – sie gehören zu den Konstanten der italienischen Politik seit Berlusconis Zeiten und werden vor allem von der Rechten kultiviert, die sich – wie jetzt Meloni – gerne als Opfer von Richtern und Staatsanwälten darstellen. Allerdings gibt es auch unter linken und liberalen Politikern Kreise, welche die Ansicht vertreten, dass Italiens Justiz allzu stark politisiert sei und grossen Reformbedarf aufweise.

Gemässigte Stimmen haben es derzeit allerdings schwer, sich Gehör zu verschaffen. Die Regierungschefin selbst hat mit ihrem Video-Auftritt Öl ins Feuer gegossen. Beobachter vermuten, dass Giorgia Meloni damit den eigentlichen Gegenstand der Aufregung, die Freilassung des Libyers, aus dem Blickfeld rücken will.

Tatsächlich stellen sich diesbezüglich einige Fragen. Usama Almasri Najim ist nicht irgendwer. Der Gerichtshof in Den Haag verdächtigt ihn, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Kriegsverbrechen begangen zu haben, «darunter Mord, Folter, Vergewaltigung und sexuelle Gewalt», wie das Gericht mitgeteilt hat.

Nach Medienberichten hat der mit dem Fall befasste Staatsanwalt in Rom die sofortige Freilassung des Mannes verfügt, weil das zuständige Justizministerium es unterlassen hatte, sich zu seiner Festnahme zu äussern, und damit auch nicht die Fortsetzung der Untersuchungshaft angeordnet hatte. Die Regierung stellt den Vorgang nun gewissermassen als Folge eines bürokratischen Lapsus dar.

Demgegenüber steht der Vorwurf im Raum, die Regierung habe auf die Freilassung des Mannes gedrängt, um die Kooperation mit den Libyern beim Kampf gegen die illegale Migration über das Mittelmeer nicht zu gefährden. Diese Version, wenn sie denn zutrifft, kann und will Giorgia Meloni aus Gründen der Staatsräson nicht bestätigen. Lieber schürt sie den Konflikt mit der Justiz weiter.

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