Mittwoch, Februar 12

Die Bilder von zwei Nationalräten, die im Bundeshaus mit einem Polizisten rangen, sorgten im letzten Sommer für Aufregung. Nun hat die Immunitätskommission entschieden – zugunsten der beiden Politiker.

In der Sommersession kam es im Bundeshaus zu einem Aufsehen erregenden Zwischenfall: Während des Besuchs des ukrainischen Parlamentspräsidenten lieferte sich SVP-Nationalrat Thomas Aeschi ein Handgemenge mit dem Sicherheitsdienst. Aeschi und sein Parteikollege Michael Graber wollten nicht akzeptieren, dass die Treppe wegen des Besuchs aus Sicherheitsgründen kurzzeitig gesperrt wurde. Mit körperlichem Einsatz versuchten sie sich den Weg freizukämpfen, wobei Aeschi von einem Polizisten zu Boden gerissen wurde.

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Rasch verbreiteten sich die Bilder des Vorfalls über Social Media. Die Bundesanwaltschaft leitete gegen Aeschi und Graber eine Voruntersuchung wegen Hinderung an einer Amtshandlung ein. Doch sie kann nur ermitteln, wenn die parlamentarische Immunität von Aeschi und von Graber aufgehoben wird. Jetzt hat die Immunitätskommission des Nationalrates entschieden, dass die beiden Nationalräte ihre Immunität behalten sollen. Die Entscheide fielen mit je vier zu drei Stimmen bei zwei Enthaltungen.

Kommission befasste sich zweimal mit dem Fall

Die Kommission hatte sich mit dem Fall schwer getan. Bereits im letzten Herbst hatten sie sich ein erstes Mal damit befasst, den Entscheid jedoch hinausgeschoben. Sie wollte den Ablauf des kleinen Tumultes genauer untersuchen und verlangte deshalb eine Einschätzung der Verwaltungsdelegation. Das sechsköpfige Gremium, dem je drei Mitglieder des National- und des Ständerates angehören, ist unter anderem für die Verwaltung der Räumlichkeiten und den Zugang zum Parlamentsgebäude zuständig. Diese sei der Ansicht, dass das für den Anlass gewählte Sicherheitskonzept verhältnismässig und die Kommunikation darüber ausreichend war, teilte die Immunitätskommission am Mittwoch mit.

Die beiden Politiker, Thomas Aeschi und Michael Graber, sagten gegenüber der Immunitätskommission schon im November aus. Aeschi machte damals geltend, dass er direkt körperlich angegangen worden sei, ohne davor auf das Durchgangsverbot hingewiesen worden zu sein. Und Graber erklärte, das Verbot sei auch im Vorfeld nicht kommuniziert worden. Auch die Immunitätskommission kommt nun zum Schluss, dass im konkreten Fall Zweifel bestehen, ob die konkreten Anweisungen für die betroffenen Personen im entscheidenden Moment unmissverständlich waren. Gemäss ständiger Praxis der zuständigen Kommissionen sei die Immunität nicht aufzuheben, wenn sich die Strafbarkeit des Verhaltens als zweifelhaft oder als nicht gegeben erweise.

Verdacht der Privilegierung schwingt mit

Die parlamentarische Immunität gibt regelmässig Anlass zu Diskussionen. Mitglieder des Parlaments sind wegen ihres Amtes vor Strafverfolgung besser geschützt. Sie können nicht automatisch von der Justiz verfolgt werden, wenn es sich um eine Straftat handelt, die «in unmittelbarem Zusammenhang mit der amtlichen Stellung oder Tätigkeit» steht. In solchen Fällen müssen die zuständigen Gremien beider Räte zustimmen, damit die Strafjustiz tätig werden kann. Im Nationalrat ist dies die Immunitätskommission, im Ständerat die Rechtskommission.

Solche Garantien sollen die Funktionsfähigkeit des Parlaments gewährleisten. Denn wenn Ratsmitglieder wegen jeder Lappalie im Wahlkampf oder auf Youtube einen juristischen Kleinkrieg führen müssten, wäre es um die parlamentarische Effizienz wohl bald noch schlechter bestellt, als es ohnehin schon der Fall ist. Immer schwingt aber auch der Verdacht mit, dass es gar nicht um den Schutz der parlamentarischen Arbeit geht, sondern um die Privilegierung einer politischen Elite. Die Entscheide der Immunitätskommission werden deshalb oft mit besonderem Interesse verfolgt.

Auffällig ist im vorliegenden Fall aber, wie knapp der Entscheid ausfiel. Dies ist umso bemerkenswerter, als vier der insgesamt neun Mitglieder wie Aeschi und Graber der SVP angehören – eine Folge der Grösse der Fraktion. Der Entscheid der Immunitätskommission ist allerdings noch nicht definitiv. Nun ist die Rechtskommission des Ständerates am Zug. Stimmt sie für die Aufhebung der Immunität, kommt der Fall erneut in die Immunitätskommission. Falls diese ihren heutigen Entscheid bestätigt, behalten Aeschi und Graber ihre Immunität definitiv. Falls sie sich dann den Ständeräten anschliesst, würde sie aufgehoben. Doch das ist unwahrscheinlich.

Eine Prozesslawine für Jean Ziegler

Denn es gibt generell nur wenige Fälle, bei denen das Parlament die Strafverfolgung gegen eines seiner Mitglieder zuliess: Vor dreissig Jahren hatte der SP-Nationalrat Jean Ziegler mit einem Buch für Empörung gesorgt, in welchem er die Schweiz als gigantische Geldwaschanlage für Diktatoren und Mafiaorganisationen beschrieb. Es hagelte Strafanzeigen und Proteste. Schliesslich wurde entschieden, Zieglers Buchpublikation falle nicht unter die Immunität – der Weg für ein Strafverfahren war frei. Für Ziegler hatte dies eine Prozesslawine zur Folge.

Aufgehoben wurde die relative Immunität in den letzten Jahren allerdings nur ein einziges Mal. Betroffen war der frühere SVP-Nationalrat Christian Miesch. Er wurde verdächtigt, er habe sich für eine Interpellation zugunsten kasachischer Interessen entschädigen lassen, womit Bestechung im Raum stand. Miesch erklärte damals, ihm seien lediglich Spesen vergütet worden. Tatsächlich wurde das Strafverfahren später eingestellt. Der Fall zeigt eine weitere Besonderheit in Bezug auf die Immunität: Es geht beim Entscheid über Aufhebung nicht darum, ob ein Straftatbestand wirklich erfüllt ist.

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