In der Backstube von Sarah Gerber wird immer noch mit Holz gefeuert. Um das Überleben zu sichern, muss die Betreiberin auf Spenden setzen.

Nach dem Jahreswechsel kann Sarah Gerber endlich aufatmen: Sie ist froh, dass 2024 nun der Geschichte angehört. Es war kein gutes Jahr, gar nicht. Und je länger es dauerte, desto düsterer wurden die Aussichten für Gerber und ihren «Holzofebeck» in der Winterthurer Altstadt.

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Dabei hatte das abgelaufene Jahr für sie so vielversprechend begonnen.

Im März 2024 übernimmt Gerber mit ihrem Mann die Bäckerei, die ihre Grosseltern 1968 im Zentrum von Winterthur eröffnet haben. Das Ehepaar war aus dem Toggenburg zugezogen – mit nichts als seinem handwerklichen Können. Über die Jahrzehnte hinweg bauten sich die beiden ihren Ruf auf.

Nach 56 Jahren droht die Geschichte der Bäcker-Dynastie Gerber jedoch ein jähes Ende zu nehmen. Die Verkäufe kommen einfach nicht auf Touren. Dringend notwendige Investitionen sind teurer als geplant. Das traditionsreiche Unternehmen steht vor dem Aus. Für Sarah Gerber und ihren Mann sind es bange Monate.

Erst jetzt, am ersten Arbeitstag des neuen Jahres, kann Gerber neue Zuversicht schöpfen. Ein Spendenaufruf hat die Wende gebracht. Sie sagt: Wenn es so weitergehe, dann komme man vermutlich noch einmal mit einem blauen Auge davon. Dass sich ihr «Holzofebeck» aus dieser Krise befreien liess, ist für Gerber «ein richtiges Weihnachtswunder».

Eine Exklusivität wird zur Belastung

Der «Holzofebeck» in der Winterthurer Marktgasse ist weithin bekannt für seine Spezialitäten, die noch heute von Hand und im Ofen von damals hergestellt werden: «Das braucht besonderes Können», erklärt die Bäckerin Gerber. Beim Holzofen gilt es schon als eigene Wissenschaft, die Temperatur einigermassen stabil zu halten und so eine kontinuierliche Qualität zu erreichen.

Das erfordert ein gutes Gespür, Geduld und viel Erfahrung. Begreiflich, dass in der Zwischenzeit fast alle Bäckereien auf elektrische Öfen umgestellt haben: Diese sind einfacher zu handhaben und liefern konstantere Resultate. Aber der Geschmack, den das Brot im Holzofen annehme, sagt Gerber – der sei einfach unvergleichlich.

Sie fühle sich höchsten Qualitätsansprüchen verpflichtet. Deshalb halte sie am traditionellen Handwerk fest.

Als sie den Familienbetrieb im Frühling 2024 übernimmt, hat der «Holzofebeck» die letzte Backstube in ganz Winterthur, in der noch mit Holzscheiten gefeuert wird. Doch genau diese Exklusivität droht Sarah Gerber und ihrem Mann zum Verhängnis zu werden: Der Ofen ist alt und muss dringend renoviert werden. Ebenso die Kühlvitrine.

Es ist ein Spiel gegen die Zeit. Doch das Spiel läuft schon zu lange. Gerber sagt: «Ich bin seit 2018 im Betrieb. Schon damals, als ich noch in Ausbildung war, hiess es: Da muss bald etwas gemacht werden.» Aber es fehlte das Geld – und man hatte Glück, dass alles immer funktionierte.

Unangenehme Erinnerungen an die Zeit der Pandemie

Und dann kam auch noch Corona. Es ist eine Zeit, über die Sarah Gerber nicht gern spricht.

Denn bevor sie die Bäckerei übernahm, gehörte der Betrieb ihrem Vater. Während der Pandemie benutzte er das Schaufenster des Ladens dazu, seine Kritik an den Covid-19-Massnahmen zu äussern. Auf einer Website, die mit dem Geschäft nichts zu tun hat, publizierte er Videos, die vom Zürcher Obergericht später als antisemitisch taxiert werden. Er wird zu einer Geldstrafe von 3000 Franken verurteilt.

Als Sarah Gerber die Bäckerei in dritter Generation übernimmt, ist die Pandemie zwar längst vorbei, ihr Vater arbeitet nur noch an einem oder zwei Tagen in der Bäckerei. Trotzdem hält der Unmut an, den viele der Familie und dem Betrieb entgegenbringen. Die Geschäfte gehen nicht gut. Der Frühling ist verregnet, das schade auch ihrer Branche. Auch andere Geschäfte verzeichnen weniger Kundschaft.

«Bevor wir anfingen, haben wir uns bei der Planung an früheren Zahlen orientiert», sagt sie. Doch schon bald muss sie feststellen: Die Absätze sind tiefer als erwartet. Sie muss ihren Geschäftsplan korrigieren, Personal abbauen. Für sie und ihren Mann ist es der Anfang einer ungewissen Zeit.

«Viele Male den Tränen nah»

Den Tipp mit dem Spendenaufruf habe sie schliesslich von einem Bekannten bekommen, sagt Gerber. «Es war unsere letzte Chance.» Auf einer Onlineplattform macht Gerber ihre Situation öffentlich, erklärt, dass ihre Personalplanung zunächst «zu grosszügig» gewesen sei und bittet Stammkunden und Freunde um Unterstützung.

«Es ist mir nicht leicht gefallen, um Hilfe zu bitten. Aber es war das Richtige», sagt Gerber. In den vergangenen zwei Wochen sind 12 000 Franken zusammengekommen. Damit sei der «Holzofebeck» zwar noch nicht definitiv gerettet, aber bis zum Jahresende konnten Gerbers allen Verpflichtungen nachkommen.

Dass ihr Laden offensichtlich so vielen Winterthurerinnen und Winterthurern am Herzen liegt, berühre sie, sagt Gerber: «Ich war viele Male den Tränen nah, so sehr hat mich die Anteilnahme dieser Menschen berührt.»

Neben den finanziellen Aspekten seien die Spenden auch eine Motivation für sie, die handwerkliche Qualität ihrer Produkte weiter zu verbessern und fleissig am Ruf ihres Unternehmens zu arbeiten – wie einst ihre Grosseltern.

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