Mittwoch, Oktober 9


Nahrungsergänzungsmittel

Die Darmgesundheit hat in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit erhalten. Neu im Fokus der Wissenschaft: Postbiotika. Was es damit auf sich hat.

Der Markt mit Nahrungsergänzungsmitteln boomt. Kapseln, Pulver, Pillen und Tropfen verlocken mit der Versprechung, den Körper mit dem zu versorgen, was mit der Ernährung im stressigen Alltag zu kurz kommen könnte. Gemäss dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit schluckt in der Schweiz jeder Dritte die vermeintlichen Alleskönner für die Extraportion Vitamine, Mineralstoffe – oder seit 10 Jahren zur Pflege des Darms. Die deutsche Autorin und Ärztin Giulia Enders rief mit dem Weltbestseller «Darm mit Charme» ein lange unpopuläres Thema ins Bewusstsein gesundheitsbewusster Menschen.

Ursprünglich konzipiert für Menschen mit Darmbeschwerden, zielen die Macher von pro- und präbiotischen Produkten wie Bifidus-Drinks oder LC1-Joghurts, Kapseln oder Pulver in hübschen Dosen darauf ab, auch Menschen ohne entsprechendes Leiden dafür zu gewinnen, indem sie vorbeugende Wirkungen versprechen.

Nun will noch ein weiterer Akteur eine wichtige Rolle bei der Erhaltung eines gesunden Darms spielen: Postbiotika. Braucht unser Darm wirklich diese Unterstützung von aussen? Prof. Thierry Hennet, Leiter des Instituts für Physiologie der Universität Zürich, klärt auf.

Eine unausgewogene Ernährung und Stress sind schlecht für den Darm

«Der Darm und insbesondere der Dickdarm, in dem sich die meisten Mikroben befinden, ist der am stärksten bevölkerte Raum auf der Erde», erklärt Hennet. Das Mikrobiom – früher eher bekannt als Darmflora – ist die Gesamtheit aller Mikroorganismen wie Bakterien, Pilze oder Viren, die in unserem Verdauungstrakt leben. Manche sind nützlicher für die Gesundheit, andere weniger.

Sie können etwa die Verdauung unterstützen, eine Rolle bei der Herstellung von Vitaminen und Hormonen spielen und die Darmbarriere stärken, um das Eindringen von Krankheitserregern in den Körper zu verhindern. Je vielfältiger das Mikrobiom zusammengesetzt ist, desto robuster und widerstandsfähiger ist es. Es ist aber auch ein empfindliches Ökosystem, dessen Gleichgewicht etwa eine unausgewogene Ernährung stören kann.

Bisher im Fokus: Präbiotika und Probiotika

Ein grosser Player im Mikrobiom sind die Probiotika. Das sind lebensfähige Mikroorganismen – meist Bakterien, zum Teil auch Hefepilze –, die das Gleichgewicht der Darmflora positiv beeinflussen, schreibt die Forschungsanstalt Agroscope. Auch die Immunabwehr werde «wahrscheinlich» durch probiotische Bakterienstämme verbessert.

Die Qualität von Probiotika in Form von Kapseln oder Tropfen, häufig ohne Rezept erhältlich, wird von diversen Ernährungsfachleute jedoch angezweifelt. Denn dafür, dass solch oral verabreichte Probiotika gesundheitsfördernde Wirkungen vermitteln, gebe es kaum Belege, sagt der Leiter des Instituts für Physiologie.

Schaden tun probiotische Nahrungsergänzungsmittel allerdings auch nicht – zumindest wenn sie nicht regelmässig in grossen Mengen eingenommen werden. Denn nur durch übermässigen Konsum könne die Zusammensetzung der Darmmikrobiota deutlich und dauerhaft verändert werden, so der Experte. Probiotische Produkte müssen also nicht gegessen werden – wenn man sich damit besser fühlt, kann man es aber weiterhin tun.

Eine weitere positive Nachricht für die sogenannten «Supplementer»: Durch die Einnahme von Präbiotika als Nahrungsmittelzusatz könnte «die Ansiedlung der Probiotika im Darm zusätzlich verbessert werden», meint Hennet. Präbiotika sind unverdauliche Pflanzenfasern (Ballaststoffe), die als «Nahrung» für Probiotika dienen und deren Vermehrung fördern. Es bleibe jedoch auch hier die Frage, ob solche Ergänzungen zu einer signifikanten Wirkung führen.

Und was kann nun Postbiotika?

Neben den bereits bekannten Probiotika und Präbiotika hat nun die Erforschung des neuesten Mitgliedes begonnen: Postbiotika. Dies sind weder lebendige Bakterien wie Probiotika, noch dienen sie diesen wie Präbiotika als Nahrung. Postbiotika bestünden «aus nicht lebenden Mikroorganismen und deren gesundheitsfördernden Stoffwechselprodukten», wie das deutsche Bundeszentrum für Ernährung schreibt. Vereinfacht formuliert: Probiotika vergären ihre Nahrung, also die Präbiotika, wodurch das Darmbakterienprodukt Postbiotika entsteht.

Hersteller werben auch hier mit einer Vielzahl angeblich positiver Effekte, darunter der Regulierung des Appetits, reinerer Haut, der Reduktion von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einer positiven Beeinflussung des Cholesterinspiegels oder als Geheimwaffe bei Heuschnupfen.

Forschung steckt noch in den Kinderschuhen

Obwohl es eine zunehmende Menge an Forschung dazu gibt, betonen Fachleute auf diversen Plattformen, dass dieses Wissensgebiet noch in der Entwicklungsphase steckt. Einige in den letzten Jahren durchgeführte Studien deuten darauf hin, dass Postbiotika gegen das Reizdarmsyndrom, Magen-Darm-Beschwerden und Verstopfung helfen könnten. Doch dabei handelt es sich meist noch um kleine Studien mit einer Teilnehmenden-Anzahl von kaum mehr als hundert Menschen.

«Einige Postbiotika, zum Beispiel das Vitamin B12 oder Folsäure, sind für die Gesundheit unerlässlich», bestätigt der Leiter des Instituts für Physiologie. Solche Vitamine sollten in der Tat ergänzt werden, wenn bei jemandem das Risiko bestehe, niedrige Werte zu haben, wie etwa zu Beginn einer Schwangerschaft. Auch andere Darmbakterienprodukte, wie etwa kurzkettige Fettsäuren, spielten eine wichtige Rolle für die Aufrechterhaltung einer gesunden Darmphysiologie, so Hennet.

Auf die Frage, ob Postbiotika nun auch von gesunden Menschen mit einer ausgewogenen Ernährung über Nahrungsergänzungsmittel einnehmen sollten, antwortet der Experte jedoch heute bereits entschieden mit einem Nein. Die Regel ist einfach wie bekannt: Eine abwechslungsreiche Ernährung unterstützt ein gesundes Darmmikrobiom.

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