Der Tod des Präsidenten zwingt die Führung in Teheran, rasch Neuwahlen zu organisieren. Das Regime will handlungsfähig bleiben – denn schon bald könnte eine viel wichtigere Position zu besetzen sein.

Der Tod von Präsident Ebrahim Raisi hat das iranische Regime in eine heikle Lage gebracht. Die Legitimität des Systems befindet sich an einem Tiefpunkt, wie die extrem niedrige Beteiligung bei den Wahlen des Parlaments und des Expertenrats Anfang Mai gezeigt hat. Zudem ist Iran gerade erst einem offenen Krieg mit Israel entgangen, auch könnte der greise Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei jederzeit sterben. Für die Führung um den 85-Jährigen ist es daher dringend, rasch die Vakanz an der Spitze der Regierung zu füllen.

Nach dem Absturz von Raisis Helikopter am Sonntag setzte Khamenei sogleich Raisis Vize Mohammed Mokhber als Interimspräsidenten ein. Aussenminister Hossein Amir-Abdollahian, der ebenfalls bei dem Unglück ums Leben gekommen war, wurde durch seinen Vize Ali Bagheri-Kani ersetzt. Die Präsidentenwahl wurde für den 28. Juni angesetzt. Während die Trauerfeiern am Dienstag anliefen, kam zudem der Expertenrat zusammen, um einen neuen Vorsitzenden zu wählen. Der Posten war seit der Wahl Anfang Mai frei.

Das Gremium aus 88 Geistlichen, das im Fall des Todes von Khamenei einen Nachfolger bestimmen muss, schritt zur Wahl, obwohl nach dem Tod von Raisi sein Sitz im Expertenrat vakant ist. Auch der Sitz des bei dem Helikopterabsturz ebenfalls verunglückten Freitagspredigers von Tabriz, Mohammed Ali Al-e Hashem, ist unbesetzt. Das Vorgehen zeigt, wie wichtig es der Führung ist, sicherzustellen, dass der Expertenrat im Falle des Todes von Khamenei handlungsfähig ist.

Ein 93-Jähriger übernimmt die Führung im Expertenrat

Der 85-Jährige ist seit Jahren gesundheitlich angeschlagen und hat keinen Nachfolger oder Stellvertreter ernannt. Bei der Wahl seines Nachfolgers wird der Leitung des Expertenrats eine Schlüsselrolle zukommen. Das Gremium wählte am Dienstag den 93-jährigen Geistlichen Movahedi Kermani zum Vorsitzenden. Der greise Ayatollah ist ein konservativer Hardliner und löst den vier Jahre älteren Ahmad Jannati ab, der während acht Jahren den Vorsitz innehatte.

Der 63-jährige Raisi war von vielen Beobachtern als möglicher Nachfolger Khameneis gehandelt worden. Seine Wahl zum Präsidenten 2021 war als Schritt gedeutet worden, ihn zum künftigen Revolutionsführer aufzubauen. Zuvor hatte Khamenei ihm bereits die Leitung der Justiz sowie die Führung der mächtigen Stiftung des Mausoleums von Imam Reza in ihrer gemeinsamen Heimatstadt Mashhad übertragen. Dort soll Raisi am Donnerstag auch beigesetzt werden.

Allerdings gab es nie eine offizielle Bestätigung, dass Raisi tatsächlich Khameneis Favorit war. Er schätzte Raisi wohl, weil er loyal, linientreu und skrupellos war. Auch sprach aus seiner Sicht für Raisi, dass er keine eigene Machtbasis hatte und ihm daher nicht gefährlich werden konnte. Allerdings war Raisi als Präsident ineffektiv, schwach und wenig präsent in der Öffentlichkeit. Im Volk war Raisi, der seit den achtziger Jahren als Staatsanwalt und Richter an der Hinrichtung Tausender politischer Gefangener beteiligt gewesen war, zudem höchst unbeliebt.

Raisi besass kein Charisma und keine religiöse Autorität

Sein Theologiestudium hatte Raisi nach der Revolution 1979 in jungen Jahren abgebrochen, um sich einer Karriere in der Justiz zu widmen. Echte religiöse Autorität besass er daher nicht. Auch war er ein schwacher Redner ohne persönliches Charisma. Raisi sei ein leeres Gefäss gewesen, ohne Basis oder politische Vision, urteilte denn auch der iranische Politikexperte Esfandyar Batmanghelidj. In einem politischen System, in dem Legitimität und Qualifikationen keine Rolle mehr spielten, werde es nicht schwierig sein, einen Ersatz zu finden.

Tatsächlich war Raisi ein Funktionär, der seine Macht in erster Linie seinem Amt verdankte. Unersetzbar war er nicht. Auch die meisten anderen Funktionsträger sind heute Produkte des Regimes, deren Macht sich aus ihrer Position im Regime ableitet. Die Geistlichen und Politiker der ersten Generation nach der Revolution 1979, die aufgrund ihrer religiösen Autorität oder ihres Charismas eine eigene Machtbasis hatten, sind längst tot oder aus der Politik gedrängt.

Unmittelbar nach dem Tod von Raisi gingen die Spekulationen los, wer zur Präsidentschaftswahl Ende Juni antreten könnte. Als mögliche Kandidaten wurden der konservative frühere Teheraner Bürgermeister und Parlamentspräsident Mohammed Bagher Ghalibaf und der ehemalige Atomunterhändler Said Jalili genannt. Auch eine Kandidatur des früheren Aussenministers Mohammed Javad Zarif oder des langjährigen Parlamentspräsidenten Ali Larijani wäre denkbar.

Khamenei wird kaum Moderate zur Wahl zulassen

Allerdings erscheint es unwahrscheinlich, dass Khamenei Moderate oder gar Reformer zur Wahl zulässt. Bei den letzten Wahlen hatte der für die Prüfung der Kandidaten zuständige Wächterrat alle Politiker disqualifiziert, die nicht auf der Linie von Khamenei waren. Selbst der moderate frühere Präsident Hassan Rohani durfte nicht zur Wahl des Expertenrats antreten. Die Folge war, dass die meisten Wähler den Urnen fernblieben. In Teheran soll die Wahlbeteiligung bei der zweiten Runde am 10. Mai bei lediglich 8 Prozent gelegen haben.

Ohne echte Alternativen auf dem Stimmzettel dürfte auch bei der Präsidentenwahl ein Grossteil der Iranerinnen und Iraner zu Hause bleiben. Eine Mobilisierung der Wähler in nur fünf Wochen ist ohnehin schwierig. Eine niedrige Wahlbeteiligung wäre zwar schlecht für die Legitimität des künftigen Präsidenten. Allerdings scheint Khamenei nicht länger an einer regen Beteiligung interessiert zu sein. Vielmehr will er sicherstellen, dass kein unerwünschter Kandidat gewählt wird.

So dürften die Hardliner die Wahl weitgehend unter sich ausmachen. Ein Richtungsentscheid wird die Wahl daher nicht sein. Der Forscher Hamidreza Azizi von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin erwartet, dass sich durch Raisis Tod der Machtkampf unter Hardlinern noch weiter verstärken werde. Der Tod des Präsidenten sei aber kein entscheidender Schlag für das System und werde die strategische Ausrichtung der Islamischen Republik kaum beeinflussen.

Khameneis Nachfolger könnte aus der Obskurität kommen

Tatsächlich hinterlässt Raisis Tod kein echtes Führungsvakuum, da im System der Islamischen Republik die wahre Macht beim Revolutionsführer liegt. Auch die Folgen von Raisis Tod für die Nachfolge Khameneis sollten nicht überschätzt werden. Es war stets Spekulation, dass er Khameneis favorisierter Nachfolger sei. Viele Beobachter tippten eher auf Khameneis 55-jährigen Sohn Mojtaba, der enge Verbindungen zu den Revolutionswächtern hat. Die mächtige Truppe dürfte grossen Einfluss auf die Nachfolge haben.

Doch auch dies ist reine Mutmassung. Eine Weitergabe der Macht an Khameneis Sohn wäre heikel, da dies nach einem Rückfall in die dynastische Erbfolge der Schah-Monarchie aussähe. Am Ende könnte ein ganz anderer Geistlicher das Rennen machen. In den religiösen Stiftungen, in den theologischen Seminaren, im Justizapparat und unter den Freitagspredigern gibt es noch viele geistliche Funktionäre von der Eignung Raisis.

Der mächtige Freitagsprediger von Mashhad (und Raisis Schwiegervater), Ayatollah Ahmad Alamolhoda, oder der konservative Hardliner Ahmad Khatami aus Teheran etwa wären mögliche Kandidaten. Auch Khamenei selbst sei vor seiner Wahl zum Revolutionsführer 1989 kein Favorit für den Posten gewesen, merkte der Iran-Experte Farzan Sabet an. Es sei daher durchaus denkbar, dass nach seinem Tod ein relativ obskurer Nachfolger erwählt werden könnte.

Exit mobile version