Freitag, Oktober 4

Viele Bangalen werfen Indien vor, dass es das autokratische Regime der Premierministerin bis zum Schluss unterstützt habe und nun den Volksaufstand als islamistisch darstelle. Selbst für die Monsunfluten wird Delhi verantwortlich gemacht.

Einen Monat nach dem Sturz von Bangladeshs Premierministerin Sheikh Hasina und ihrer Flucht nach Indien steht es schlecht um das Verhältnis der beiden Nachbarn. Dhakas Beziehungen zu Delhi seien an einem Tiefpunkt, sagte der bangalische Interimsregierungschef Mohammed Yunus am Donnerstag in einem Interview mit der indischen Nachrichtenagentur PTI. Wenn Indien Hasina weiter Asyl gewähren wolle, müsse es dafür sorgen, dass sie sich nicht mit öffentlichen Äusserungen in die Politik einmische.

Die 76-Jährige war überstürzt nach Indien geflohen, als sich am 5. August ein Protestmarsch ihrem Amtssitz in Dhaka näherte. Die Regierungschefin und ihre Awami League hatten in den Jahren zuvor enge Beziehungen zu Indiens Premierminister Narendra Modi unterhalten. Die Studenten, welche die Proteste angeführt haben, und die oppositionelle Bangladesh Nationalist Party (BNP) halten Indien nun vor, Hasina trotz ihrer autokratischen Politik gestützt zu haben.

Yunus, der nach Hasinas Sturz die Leitung der Interimsregierung übernommen hat, sagte, Bangladesh werde zu gegebenem Zeitpunkt die Auslieferung von Hasina beantragen, um sie für ihre Verbrechen vor Gericht zu stellen. Es sei eine «unfreundliche Geste», dass Indien zulasse, dass sie sich aus dem Exil äussere. Hasina hatte zuvor gefordert, dass all jene identifiziert und bestraft würden, die während der Studentenproteste «Terrorakte» begangen hätten.

Yunus mahnte zudem, dass Indien von dem Narrativ wegkommen müsse, dass nur Hasina für Stabilität in Bangladesh sorgen könne. Es sei falsch, zu behaupten, dass die BNP und alle anderen Parteien ausser der Awami League islamistisch seien, sagte der Friedensnobelpreisträger.

Indien hat Sheikh Hasina schon einmal Asyl gewährt

Indiens Beziehungen zu der Awami League reichen weit zurück. Schon im Unabhängigkeitskrieg 1971, in dem sich Bangladesh von Pakistan abgespalten hat, hat Indien die Freiheitskämpfer unter der Führung von Hasinas Vater Sheikh Mujibur Rahman unterstützt. Als Rahman 1975 von unzufriedenen Offizieren gestürzt und ermordet wurde, gewährte Indien seiner Tochter Zuflucht. Sie hat dies Indien nicht vergessen, als sie 1996 und dann erneut 2009 an die Macht gelangte.

Als Premierministerin ging Sheikh Hasina energisch gegen indische Separatistengruppen vor, die im unzugänglichen Grenzgebiet ihre Rückzugslager hatten. Auch kooperierte Hasina mit Delhi bei der Nutzung der Wasserressourcen und erlaubte dem grossen Nachbarn, die Verkehrswege durch Bangladesh in den sonst schwer erreichbaren Nordosten Indiens zu nutzen. Indische Firmen erhielten während ihrer Regierungszeit zudem lukrative Verträge in Bangladesh.

Viele Bangalen halten Indien vor, beide Augen zugedrückt zu haben, als Hasinas Awami League die Wahlen 2014, 2019 und im Januar dieses Jahres zu ihren Gunsten manipuliert habe. Delhi habe Hasina auch dann noch unterstützt, als der autoritäre, repressive Charakter ihrer Regierung längst unübersehbar war. Die Wut über das brutale Vorgehen von Polizei, Armee und regierungsnahen Schlägertrupps, das Ende Juli und Anfang August mehr als 400 Menschen das Leben kostete, richtet sich daher auch gegen den grossen Nachbarn.

Indien ist besorgt über die Angriffe auf Hindus

In Indien dagegen wurde mit Sorge verfolgt, dass sich diese Wut in den Tagen nach Hasinas Sturz auch gegen die hinduistische Minderheit in Bangladesh richtete. Die Hindus, die rund acht Prozent der Bevölkerung ausmachen, wurden verdächtigt, die Awami League unterstützt zu haben. Bei Angriffen von Mobs wurden zahlreiche Geschäfte, Wohnungen und Tempel von Hindus verwüstet. Indiens Premierminister Modi äusserte wiederholt seine Besorgnis über die Angriffe.

In Bangladesh wurde aber beklagt, dass Hindu-nationalistische Medien aus dem Umfeld von Modis Bharatiya Janata Party (BJP) die Angriffe bewusst übertrieben und Falschnachrichten dazu verbreitet hätten. Die Studentenproteste seien als antiindische Bewegung unter Führung der Islamisten dargestellt worden, kritisierte der «Daily Star». Auch hätten die indischen Medien oft verschwiegen, dass sich die Studenten auch für die Hindus eingesetzt hätten.

Tatsächlich hatten sich nach den ersten Angriffen rasch Freiwillige versammelt, um den Schutz der Tempel und der anderen hinduistischen Einrichtungen sicherzustellen. Viele bangalische Kommentatoren erinnerten zudem daran, dass Modis Hindu-nationalistische Regierung selbst die muslimische Minderheit in Indien seit Jahren ausgrenze und diskriminiere. Erst im Frühjahr hatte Modi während des Wahlkampfs die Muslime als Infiltratoren bezeichnet.

Das Misstrauen gegenüber dem Nachbarn ist gross

Wie aufgeheizt die Stimmung ist, zeigte sich auch bei den jüngsten Monsunüberschwemmungen. Als der Gumti-Fluss nach heftigen Regenfällen in Indien über die Ufer trat und auch grosse Gebiete in Bangladesh überflutete, wurde dort der Verdacht laut, die Inder hätten bewusst einen Damm am Oberlauf des Flusses geöffnet und so die Flut jenseits der Grenze ausgelöst. Trotz einem Dementi aus Delhi hielt sich das Gerücht in den sozialen Netzwerken.

Das Verhältnis dürfte auf längere Zeit angespannt bleiben. Modi hatte sich zwar Anfang August beeilt, mit Yunus zu telefonieren, nachdem dieser zum Interimsregierungschef ernannt worden war. Es war aber unübersehbar, dass Modi nicht begeistert war über den Verlust seiner langjährigen Verbündeten. Dass Delhi sich vor allem dafür aussprach, in Bangladesh rasch wieder Ruhe und Ordnung herzustellen, kam dort bei der prodemokratischen Protestbewegung nicht gut an.

Auch in den indischen Medien gibt es Stimmen, die Indiens Politik kritisch bewerten. So schrieb der Journalist Kanak Mani Dixit im Wochenmagazin «Frontline», statt die Studentenproteste als islamistische Anti-Hindu-Bewegung darzustellen, sollte die Regierung lieber in sich gehen und ihre Regionalpolitik hinterfragen. Andere Kommentatoren mahnten, es sei ein Fehler gewesen, allein auf Hasina und ihre Awami League zu setzen. Statt eine Beziehung von Staat zu Staat zu pflegen, habe Delhi sich so von einer Partei abhängig gemacht.

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