Eine brutale Gewalttat gegen eine Frau – aufgezeichnet auf Video – und die Schaffhauser Polizei, die nicht richtig ermitteln wolle. Der Beitrag der «Rundschau» sorgte für Entsetzen. Nun kommen Zweifel an der Darstellung der Tatnacht auf.
Die Bilder schockierten letzte Woche die Zuschauer des Schweizer Fernsehens. Die Sendung «Rundschau» zeigte in einem Beitrag Videoaufnahmen schwerer körperlicher Gewalt gegen eine Frau in der Privatwohnung eines Schaffhauser Anwaltes. Im Beitrag, der online verfügbar ist, sieht man, wie die Frau geschubst, gewürgt und geschlagen wird. Ein grossgewachsener Mann hebt sie hoch und lässt sie geradewegs auf den Kopf fallen – die beiden anderen Männer stehen daneben. Einer von ihnen ist der Anwalt selbst, der die Gewalttat mit seinem Handy filmt – zusätzlich zur Überwachungskamera im Zimmer.
Schwere Vorwürfe erhob das «Schweizer Fernsehen» nicht nur gegen die Männer, sondern auch gegen die Schaffhauser Polizei und Staatsanwaltschaft. Die Strafverfolgungsbehörden, heisst es im Beitrag, seien lange untätig geblieben und hätten Sorgfalt vermissen lassen. Beweismittel hätten die Behörden nicht oder zu spät beschlagnahmt, und den Hinweisen auf eine Vergewaltigung sei niemand nachgegangen.
Der Bericht der «Rundschau» wurde von anderen Medien aufgegriffen und führte zu einer Empörungswelle in den sozialen Netzwerken. Diese mündete am letzten Samstag in eine Protestkundgebung von etwa 500 Personen vor der Schaffhauser Polizeiwache.
Warum wurde Fabienne W. verprügelt?
An der Echtheit der Videoaufnahmen oder daran, dass in dieser Nacht vor drei Jahren in einer Schaffhauser Altstadtwohnung eine schwere körperliche Gewalttat passiert ist, zweifelt niemand. Die Sache hat einen anderen Haken: Inzwischen existieren zwei Versionen davon, was in jener Nacht vor drei Jahren wirklich passiert ist.
So hatte die «Rundschau» berichtet, dass «Fabienne W.», wie sie in den Medien genannt wird, unter einem Vorwand in die Wohnung des Anwaltes eingeladen worden sei. Die wahre Absicht sei aber gewesen, die Frau davon abzubringen, einen Freund des Anwaltes wegen einer Vergewaltigung, die Wochen zuvor stattgefunden haben soll, bei der Polizei zu melden. Der Beitrag in der «Rundschau» postuliert sinngemäss, dass die Frau mit dem Ziel verprügelt wurde, sie einzuschüchtern und von einer Anzeige abzubringen.
Gut eine Woche nach der Ausstrahlung des «Rundschau»-Beitrages publizierte die Schaffhauser «AZ» nun einen mehrseitigen Bericht, der eine andere Version der Ereignisse schildert.
Offenbar hatte der Reporter der Zeitung Zugang zu den kompletten polizeilichen Ermittlungsakten. Auch das Video, das in der Tatnacht von Überwachungskameras in der Wohnung des besagten Anwalts aufgezeichnet worden war, soll der Redaktion in ungeschnittener Länge vorliegen. In der Folge beschreibt der Reporter den Ablauf der Tatnacht, wie sie in dem Video zu sehen sei.
Schläge, weil sie nicht nach Hause wollte
Demnach sei der anfangs friedliche Abend zunehmend aus dem Ruder gelaufen. Gäste und Gastgeber waren zunehmend berauscht gewesen von Alkohol- und Kokainkonsum. Als sich die Party nach 5 Uhr morgens langsam auflöste, kehrte gemäss «AZ»-Darstellung Fabienne W. zurück in die Wohnung, was insbesondere dem Anwalt missfiel, der offenbar seine Ruhe wollte.
Der Nachbar des Anwalts, ein Mann mit Kampfsportfähigkeiten, hat laut Bericht der «AZ» versucht, Fabienne W. rauszuwerfen. Als sie sich körperlich zur Wehr gesetzt und mit einem Glas nach dem «Rausschmeisser» geworfen habe, sei die Situation eskaliert. Der Vorgang hat schliesslich zu den schockierenden Videoausschnitten geführt, die von der «Rundschau» im Beitrag ausgestrahlt wurden. Erst ist in dem Video zu sehen, wie die drei Männer – unter ihnen der Anwalt – Fabienne W. in das angrenzende Schlafzimmer bringen. Nach ein paar Minuten erscheint die Gruppe wieder – mit der übel zugerichteten Fabienne W., die nun Handschellen trägt.
Bestrafung wegen zerstörten Fernsehers
Zu hören ist gemäss «AZ» aber auch, wie der Anwalt die Anwesenden dazu anstachelt, Fabienne W. für den Sachschaden, den sie angerichtet hat, mit Gewalt zu bestrafen. Sie soll neben dem Glas den Fernseher zerstört haben. Danach sieht man, wie der Kampfsportler die Frau würgt und mit Tritten und Schlägen traktiert. Das von der Zeitung publizierte Transkript zeigt ausserdem, dass derselbe Mann nur Stunden davor Fabienne W. Avancen machte, auf die sie nicht einging.
Offen bleibt die Frage nach der Verantwortlichkeit der Strafverfolgungsbehörden, denen auch die Anwältin von Fabienne W. grobe Ermittlungsfehler vorwirft. Die Redaktion kündigt an, in einem zweiten Artikel, der nächste Woche publiziert werden soll, auf die möglichen Verfehlungen der Strafverfolgungsbehörden einzugehen. Das Motiv hinter der Gewalttat, schreibt die Zeitung, sei ungeklärt.
Regierung will externe Untersuchung
Das von der «AZ» publizierte Transkript gibt allerdings Hinweise darauf, wie die Gewaltspirale an diesem Abend in Gang gesetzt wurde. Einen randalierenden Partygast könnte man auch loswerden, indem man die Polizei ruft. Doch die zugedröhnte Männerrunde hat sich für die Anwendung schwerster Gewalt gegen eine körperlich weit unterlegene Frau entschieden.
Inzwischen hat auch die Schaffhauser Regierung angekündigt, eine Untersuchung des Vorfalls durch einen externen Strafrechtsexperten vornehmen zu lassen. Allerdings erkennten die beiden verantwortlichen Regierungsräte, soweit ins Bild gesetzt, keine «relevanten Fehler in der Verfahrensführung» und «keine Rechtsverweigerung».