Der amerikanische Präsident hat in den vergangenen Wochen mehrfach angekündigt, den Panamakanal «zurückzuholen». Seine Worte wecken böse Erinnerungen.
«Der Panamakanal ist unsere offene Tür zur Welt. Er bringt uns Touristen und ist das Schönste, was wir haben.» Die 28-jährige Panamaerin Ibethe Escobar schaut stolz auf den Kanal, der nur wenige Meter von ihrem Glacestand entfernt liegt. Lokomotiven ziehen gerade das fast 200 Meter lange Frachtschiff «Morning Catherine», ein Stahlmonster, das Autos transportiert, in die Pedro-Miguel-Schleusen, die zweitletzten Schleusen vor dem Pazifik. Escobar steht jeden Tag hier und verkauft Raspados – geraspeltes Eis, das sie mit Fruchtsirup und Kondensmilch tränkt – an Touristen und Panamaer, die hierherkommen, um den Kanal zu bestaunen.
Dass Präsident Trump angekündigt hat, den Panamakanal zurückzuholen, macht die Glaceverkäuferin wütend: «Der Kanal gehört uns, den Panamaern.» Angst, dass die Regierung Trump sich den Kanal mit Gewalt nehmen könnte, hat sie nicht. «Die USA sind doch ein zivilisiertes Land. Ein solches marschiert nicht einfach in ein friedliches Land ein und klaut, was ihm nicht gehört. Oder?»
Der amerikanische Einfluss
Jahrzehntelang gehörten der Kanal und die Kanalzone den USA. Möglich wurde das durch ein Tauschgeschäft: Die USA unterstützten Panamas Bestreben nach der Unabhängigkeit von Kolumbien und sicherten sich dafür die Kanalzone – einen Streifen Land von 16 Kilometer Breite und 80 Kilometer Länge, der vom Atlantik bis zum Pazifik führt – und das exklusive Recht, den Panamakanal zu bauen, zu verwalten und zu betreiben. So erklärt Panama am 3. November 1903 seine Unabhängigkeit, und Kolumbien, eingeschüchtert von der amerikanischen Marine vor seiner Küste, gibt klein bei. Kurz darauf beginnen die USA mithilfe von Tausenden von Arbeitern, den Kanal zu bauen. Dieser wird 1914, nach zehnjähriger Arbeit, fertig. Für die Kanalzone leisten die USA eine Einmalzahlung von 10 Millionen Dollar an die Regierung von Panama und 250 000 Dollar Miete pro Jahr.
Eine amerikanische Enklave mitten in Panama entsteht. Diskriminierung, Rassismus und das Gefühl, von den USA betrogen worden zu sein, lassen die Panamaer immer wieder gegen diese Fremdherrschaft im eigenen Land aufbegehren. 1964 kommt es zu Protesten und gewaltsamen Zusammenstössen, nachdem Panamaer versucht haben, ihre Flagge in der Kanalzone zu hissen. Nach einer Unterbrechung der diplomatischen Beziehungen zwischen Panama und den USA nehmen die beiden Länder neue Verhandlungen auf. 1977 unterzeichnen Jimmy Carter und der panamaische Staatschef Omar Torrijos schliesslich die Torrijos-Carter-Abkommen, zwei Verträge, wovon der erste der Neutralitätsvertrag ist. Darin wird festgehalten, dass die ständige Neutralität und Funktionsfähigkeit des Kanals gewahrt werden muss. Die USA sichern sich dabei das Recht, den Kanal wenn nötig militärisch zu schützen, sollte er oder die freie Durchfahrt für Schiffe aller Nationen in Gefahr sein. Der zweite Vertrag regelt, dass die USA den Kanal und die Kanalzone bis am 31. Dezember 1999 vollständig an Panama übergeben.
Es gibt nichts zu verhandeln
«Als die USA uns den Kanal übergaben, schrieb Jimmy Carter unserer damaligen Präsidentin Mireya Moscoso: ‹Der Kanal gehört euch.› Dass Präsident Trump unseren Kanal nun zurücknehmen will, ist schrecklich und beschämend», enerviert sich Aristides Royo. Der heute 84-Jährige war von 1978 bis 1982 Präsident von Panama. Zuvor war er im Verhandlungsteam für die Torrijos-Carter-Abkommen und Minister der Kanalbehörde. «Die Verhandlungen über den Kanal sind längst abgeschlossen. Der Panamakanal gehört uns», wiederholt Royo, was Panamas Präsident José Raúl Mulino auch dem amerikanischen Aussenminister Marco Rubio bei dessen Besuch Anfang Februar sagte.
Royo gibt zudem zu bedenken, dass Panama seit der Übernahme des Kanals zusätzliche, grössere Schleusen für die Neo-Panamax-Schiffe gebaut und damit den Verkehr verdoppelt habe. Die 5 Milliarden Dollar, die für den Bau nötig waren, seien dabei nicht von den USA gekommen, sondern aus Panamas Staatskasse. Ob Trump nun diese Schleusen auch zurücknehmen wolle, fragt sich der frühere Präsident. Auch Trumps Behauptung, dass China den Panamakanal betreibe, sei schlichtweg falsch.
Dabei stimmt jedoch, dass zwei der fünf Häfen an der Pazifik- und der Atlantikseite des Kanals von der Hongkonger Firma CK Hutchison Holdings betrieben werden. Hongkong wird seit dem Ende der britischen Kolonialherrschaft 1997 von China kontrolliert. Das 2020 in Kraft getretene chinesische Sicherheitsgesetz gibt der Volksrepublik das Recht, den Hongkonger Unternehmen Befehle zu erteilen. Die Hafenbetreiber hätten jedoch rein gar nichts zu sagen, wenn es um die freie Durchfahrt im Kanal gehe, sagt Royo. «In den Häfen werden lediglich die Container und Ware abgefertigt. Wer durch den Kanal fahren darf, bestimmt einzig und allein die Kanalbehörde.»
Laut dem Neutralitätsvertrag müssen Schiffe aller Nationen in Zeiten des Friedens und des Kriegs freie Durchfahrt durch den Kanal haben. «Würden die Hafenbetreiber versuchen, sich da einzumischen, dann würden sie den Vertrag verletzen, und die Regierung Panamas müsste einschreiten, doch bisher ist das nie vorgekommen», sagt Royo, der zu bedenken gibt, dass Hutchinson die Häfen seit 1997, als die USA noch die Kontrolle über den Kanal hatten, betreibt.
Hutchinson führt zudem Häfen in 24 Ländern der Welt, so auch in diversen europäischen Staaten, Australien, dem Nahen Osten und Asien. Viele Schiffe laufen auch gar nie in einen der Häfen an der Atlantik- oder der Pazifikküste ein, sondern fahren direkt durch den Kanal. Dabei muss jedes Schiff einen Lotsen der Kanalbehörde an Bord haben. Royo sagt, nicht die Neutralität des Kanals und die freie Durchfahrt seien gefährdet, wie das Präsident Trump in seinen Aussagen impliziere, sondern die guten Beziehungen, die die USA und Panama seit der Kanalübergabe miteinander aufgebaut hätten. «Trump könnte jederzeit mit seinen Truppen hier einmarschieren und den Kanal übernehmen. Er würde damit unseren Vertrag brechen, aber hindern könnten wir ihn nicht, denn wir haben keine Armee. Ich frage mich jedoch: Geht man so mit Freunden um?»
Geldsegen und Korruption
Alfonso Montan findet es hingegen eine gute Idee, dass Präsident Trump den Kanal wieder unter amerikanische Kontrolle bringen will. Der Panamaer verkauft an der Strasse neben den Pedro-Miguel-Schleusen Empanadas, Teigtaschen mit saftiger Füllung. «Obwohl ich hier von morgens bis abends Empanadas verkaufe, komme ich kaum über die Runden, wie so viele in Panama. Irgendjemand verdient unglaublich viel Geld mit dem Kanal, aber ich und die meisten Panamaer sehen nichts von diesem Reichtum», sagt er.
Beim Besuch von Aussenminister Rubio wehten als Zeichen des Protests Tausende von panamaischen Flaggen in der Stadt, grosse Trump-Puppen wurden verbrannt, und aufgebrachte Demonstranten hielten Spruchbänder hoch, auf denen stand: «Mein Land. Meine Souveränität. Mein Kanal.» Montan aber blieb den Protesten fern. «Wieso soll ich für etwas kämpfen, was andere reich macht?», fragt er, und ein Taxifahrer, der anhält, um eine Empanada zu kaufen, wirft ein: «Sollen die Amerikaner den Panamakanal doch zurücknehmen! Als sie die Kanalzone regierten, waren all diese Strassen wunderbar, jetzt sind sie voller Dreck und Schlaglöcher, weil die, die uns regieren und den Kanal kontrollieren, korrupt sind und das Geld in ihren Taschen verschwindet.»
«Korruption ist ein Problem in Panama. Der Kanal jedoch gehört zu den transparentesten Geschäften unseres Landes», widerspricht Edwin Cabrera, emeritierter Professor für Politik, ehemaliger Kongressabgeordneter und gefragter Politik-Kommentator. Viele Leute wüssten einfach nicht, dass sie von den Kanaleinnahmen profitierten. Zum Beispiel in Form von Subventionen für Propangas, Metro- und Bustickets. Auch fliesst ein Teil der Einnahmen in Stipendien oder wird für den Bau und Unterhalt von Spitälern, Strassen oder Schulen verwendet. Dass Präsident Trump nun diese wichtige Einnahmequelle gefährde und Drohungen ausspreche, erfülle ihn mit Wut und Ekel, sagt Cabrera. Dabei gehe es Trump wohl nicht um Panama, sondern sein kleines Land sei gefangen im Handelskrieg zwischen den USA und China.
In Cabrera wecken Trumps Drohungen schlechte Erinnerungen. «Als die US-Armee 1989 in unser Land einmarschierte, war ich hier, hörte die Bomben und sah die Toten.» Cabrera war damals Teil der Führung der politischen Opposition, und der Militärdiktator Noriega hatte damit gedroht, sie alle umzubringen, falls die USA einmarschierten. Beim Einmarsch der amerikanischen Soldaten wurde Noriega abgesetzt, und Cabrera überlebte, trotzdem sagt er heute: «Ich will so etwas nicht noch einmal erleben.» Für ihn ist der Kanal Teil der nationalen Identität und eine wichtige Stütze der Wirtschaft. Kurz: ein nationaler Schatz, den kein Staatschef einer anderen Nation antasten dürfe.
Freie Durchfahrt ist gesichert
Rund 14 000 Schiffe passieren jährlich den Panamakanal, dieses wichtige Nadelöhr der Weltwirtschaft. Ungefähr fünf Prozent des Welthandels werden heute durch den Kanal abgewickelt, zwei Drittel aller Schiffe, die den Kanal passieren, kommen aus den USA oder gehen dahin. Auch ein grosser Teil des Handels zwischen der Ost- und der Westküste Amerikas wird durch den Panamakanal abgewickelt, weil die Seefahrt günstiger ist als Transporte über Land. Die Torrijos-Carter-Abkommen haben bezüglich der Durchfahrtsgebühren für den Panamakanal jedoch noch etwas festgehalten: Alle Nationen müssen gleich behandelt werden. Trotzdem bezeichnet Präsident Trump die Gebühren, die amerikanische Handelsschiffe und Schiffe der US-Marine für die Durchfahrt bezahlen, als «lächerlich» und «stark überhöht».
«Der Kanal ist offen für alle. Dabei behandeln wir Schiffe aller Nationen, die durch den Kanal fahren, nach denselben Kriterien – so wie das im Abkommen steht», kommentiert Jaime Rojani Präsident Trumps Behauptung. Der Panamaer, der seit fast dreissig Jahren für die Kanalbehörde arbeitet, steht neben der Miraflores-Schleuse und beobachtet ein Frachtschiff, das darin langsam Richtung Pazifik sinkt.
Die Preise für die Kanaldurchfahrt werden laut Rojani und der Kanalbehörde nach Anzahl Containern oder bei Massengutfrachtern nach Warenwert berechnet. So zahlt ein Containerschiff, das 5000 Container geladen hat, um die 400 000 Dollar Transitgebühren, eines mit bis zu 15 000 Containern entrichtet eine Gebühr von beinahe 800 000 Dollar. Bei Frachtern beläuft sich die Transitgebühr auf ein Prozent des Warenwerts. Würden die Schiffe statt durch den Kanal um das Kap Hoorn, den südlichsten Punkt Südamerikas, fahren, wären sie ungefähr zwei Wochen länger unterwegs und würden etwa zehn Mal so hohe Kosten verursachen.
Rojani betont zudem, dass Kriegsschiffe einen verschwindend kleinen Teil der gesamten Durchfahrten ausmachten. Die Transitkosten für Kriegsschiffe und U-Boote würden nach Verdrängungstonnage berechnet, und die Preise für sie lägen weit tiefer als bei kommerziellen Schiffen. In den letzten 26 Jahren haben die USA laut Kanalbehörde für ihre Kriegsschiffe 25 Millionen Dollar Transitgebühren bezahlt, also weniger als eine Million Dollar pro Jahr. «Das ist verschwindend wenig, auf die gesamten Transitgebühren gerechnet», sagt der Vertreter der Kanalbehörde.
5 Milliarden Dollar spülte der Kanal im vergangenen Jahr in die Kassen der Kanalbehörde, knapp die Hälfte davon floss in den Staatshaushalt. Die Wasserstrasse erwirtschaftet damit sechs Prozent des Bruttoinlandprodukts, wobei auch ein Grossteil des Dienstleistungssektors des Landes an ihr hängt. «Der Kanal funktioniert heute besser als je zuvor. Ich bin stolz darauf, dass er zu hundert Prozent von Panamaern geführt wird», sagt Rojani, der hofft, dass das auch weiterhin so bleiben wird.