Mittwoch, Oktober 2

Die Schweizer Uhrenindustrie verkauft weniger als auch schon. Das muss nicht schlecht sein. Es ist ein guter Moment, um die Preispolitik zu überdenken, die Kundenorientierung zu stärken und auf nachhaltiges Wachstum zu setzen.

Nach drei Jahren des Höhenflugs sind die Schweizer Uhrenhersteller unsanft auf dem Boden der Realität gelandet. Die Nachfrage nach Luxusuhren, die durch die Pandemie stark gestiegen war, hat sich deutlich abgeschwächt – vor allem in China, aber auch in Teilen Europas und im Nahen Osten. Es gibt zwar auch stark wachsende Märkte wie Mexiko oder Indien, und die wichtigste Exportdestination, die USA, zeigt ebenfalls noch keine Ermüdungserscheinungen. Doch Tatsache ist: Die fetten Jahre sind vorbei.

So schwierig die derzeitige Situation sein mag – eine Krise ist es nicht. Eher eine Rückkehr zur Normalität. Denn was die Branche in den vergangenen drei Jahren erlebt hat, war schlicht aussergewöhnlich. Insofern dürfte die Abkühlung der Branche sogar eher nützen als schaden. Der allzu grosse Erfolg hat dazu geführt, dass so manche Uhrenmarke die Bodenhaftung verloren hat. Je früher dieser Kurs korrigiert wird, desto besser.

Verunsicherte Händler und volle Lager

Zunächst jedoch gilt es, die Abschwächung zu überstehen. Top-Marken wie Rolex oder Patek Philippe bemerken davon wenig. Für sie bedeutet weniger Nachfrage bis jetzt in erster Linie, dass die Wartelisten für ihre Uhren kürzer werden. Aber das Gros der Hersteller – in der Schweiz gibt es schätzungsweise 250 Marken – bekommt den Nachfragerückgang deutlich zu spüren.

Chefs von Uhrenfirmen berichten von Händlern, die im Frühling auf der Genfer Uhrenmesse Watches and Wonders noch euphorisch bestellt hatten und sich nun plötzlich weigern, diese Aufträge zu bestätigen. Der Grund: Ihre Lager sind voll, und solange das so bleibt, können sie keine neuen Uhren kaufen. So bleiben nun zunehmend auch die Uhrenhersteller selber auf ihren teuren und weniger teuren Uhren sitzen. Ihre Jahresziele erreichen die meisten bei weitem nicht.

Die Folgen sind bereits sichtbar: Viele Uhrenfirmen haben ihre Produktion heruntergefahren und die Ausgaben reduziert, etwa im Marketing oder beim Personal. Entlassungen im grossen Stil scheinen derzeit nicht im Raum zu stehen, aber es gibt andere Massnahmen, um die Personalkosten zu reduzieren: Temporärkräfte werden abgebaut und befristete Arbeitsverträge, die in der Uhrenindustrie verbreitet sind, kein weiteres Jahr verlängert.

Auch die Anträge auf Kurzarbeit nehmen im Uhrenbogen zwischen Genf und Hölstein zu, wobei es derzeit noch vor allem die Zulieferer sind, die auf dieses Instrument zurückgreifen. Die Zulieferer trifft ein Abschwung typischerweise am stärksten. Viele Uhrenmarken sind nämlich ihrerseits unzimperlich, wenn es darum geht, Aufträge bei ihren Lieferanten kurzfristig zu reduzieren oder zu stornieren.

Starker Franken als Bürde

Durch die wirtschaftliche Abkühlung rücken altbekannte Herausforderungen wie der starke Schweizerfranken plötzlich wieder in den Vordergrund. Jede Aufwertung des Frankens führt dazu, dass Schweizer Uhren im Ausland teurer werden. Wenn dies für die Kundschaft zum Problem wird, muss man auf andere Art an der Marge arbeiten.

Im Gegensatz zu Maschinenbauern oder Autozulieferern kann die Uhrenindustrie nicht einfach Teile der Produktion ins Ausland verlagern. Umgekehrt hat die Schweizer Uhrenbranche im oberen Preissegment wenig Konkurrenz. «Swiss made» ist und bleibt für viele Kunden das höchste Qualitätsversprechen.

Pandemie als Katalysator

Von 2021 bis 2023 stiessen hochwertige Uhren auf ein noch nie da gewesenes Interesse. Die Exporte der Schweizer stiegen um fast 20 Prozent. Die Unternehmen erzielten Rekordgewinne und erweiterten ihre Produktion. Laut dem Verband Convention patronale arbeiteten 2023 so viele Menschen in der Uhrenbranche wie noch nie seit der Quarzkrise der 1970er Jahre. Damals brach die Beschäftigung wegen der starken Konkurrenz aus Asien von etwa 90 000 Personen auf 30 000 ein. Mittlerweile liegt sie wieder bei über 65 000 Personen.

Auslöser des Nachfragebooms war die Corona-Pandemie: Mit einem Mal hatten die Menschen nicht nur viel Zeit, sondern auch mehr Geld zur Verfügung, das nicht für Reisen oder Restaurantbesuche ausgegeben werden konnte. Ein Teil dieser Mittel floss in Luxusgüter, darunter mechanische Uhren.

Hinzu kam, dass jüngere Generationen plötzlich Interesse an traditionellen Zeitmessern zeigten. Über Youtube-Videos lernten sie nicht nur, was mechanische Uhren von solchen mit Quarzantrieb unterscheidet, sondern sie eigneten sich auch Fachbegriffe wie Gangreserve, Guillochierung oder Genfer Streifen an. Viele, die vor der Pandemie noch die Zeit auf ihrem Handy ablasen, trugen nun voller Stolz eine «echte» Uhr am Handgelenk.

Zur neuen Liebhaberei gesellte sich Spekulation. Investoren, die mit Kryptowährungen reich geworden waren, entdeckten Uhren als alternative Kapitalanlage. Plattformen wie Chrono 24 oder Watchfinder machten es einfach, Uhren auf dem Sekundärmarkt zu handeln, und die Preise für besonders begehrte Modelle stiegen in astronomische Höhen. Für eine Nautilus 5711 von Patek Philippe beispielsweise, deren offizielles Preisschild bei 28 500 Franken lag, zahlte man auf dem Graumarkt mehr als das Dreifache, für eine Rolex Daytona aus Stahl – Ladenpreis: 14 400 Franken – ebenfalls.

Die Blase ist geplatzt

Die Kombination aus Pandemie, niedrigen Zinsen und wirtschaftlichem Optimismus war ein einmaliger Katalysator, der die Nachfrage in die Höhe trieb. Dass dieser Zustand nicht ewig anhalten würde, war klar.

Heute haben viele Menschen weniger Geld zur Verfügung. Und das Geld, das sie haben, geben sie lieber für persönliche Erlebnisse wie Reisen aus, anstatt in teure Luxusuhren zu investieren.

Dass eine Art Blase geplatzt ist, zeigt sich nirgends so deutlich wie auf dem Markt für Gebrauchtuhren. Für die oben erwähnten Modelle zahlt man auf den Secondhand-Plattformen zwar immer noch deutlich mehr als im Laden. Aber insgesamt hat sich das Preisniveau normalisiert.

Worauf es jetzt ankommt

Jetzt, da die Sonderkonjunktur vorüber ist, wird deutlich, worauf es in den nächsten Jahren ankommt. Die Uhrenbranche muss sich auf ihre Stärken besinnen: handwerkliche und industrielle Qualität, gepaart mit Tradition und Innovation.

In den vergangenen Jahren haben viele etablierte Marken ihre Geschichte gefeiert. Sie haben alte Modelle neu aufgelegt und frühere Meilensteine – wie die erste Uhr im All oder die erste Uhr im Marianengraben – zelebriert. Das ist sinnvoll, denn die eigene Geschichte kann einem niemand wegnehmen.

Doch Tradition allein genügt nicht; sie muss mit dem unermüdlichen – und nach aussen sichtbaren – Streben nach Spitzenleistungen verbunden sein. Es geht nicht nur darum, die Armbanduhren selbst weiterzuentwickeln. Wenn Omega offizieller Zeitmesser der Olympischen Spiele ist, strahlt dies eine Kompetenz aus, die weit über die Marke hinausgeht und der gesamten Schweizer Uhrenindustrie zugutekommt.

Gleichzeitig darf die Branche nicht zu elitär werden. Das Exportwachstum findet seit Jahren hauptsächlich im obersten Preissegment statt. Verkauft werden nicht mehr, sondern teurere Uhren. Die Zahl der exportierten Uhren lag 2023 um 18 Prozent unter dem Vor-Corona-Niveau. Ohne die Lancierung der erfolgreichen Moon-Swatch im unteren Preissegment im Frühling 2022 wäre dieser Trend noch ausgeprägter gewesen.

Die schwindenden Stückzahlen gefährden die industrielle Basis der Branche. Zulieferer, die auf die Herstellung von Gehäusen, Zifferblättern oder Werken spezialisiert sind, brauchen Quantitäten. Aber das ist nicht das einzige Problem: Wenn Schweizer Uhren für die breite Masse unerschwinglich werden, verliert die Branche den Zugang zu neuen Käuferschichten, die für zukünftiges Wachstum entscheidend sind. Besonders im mittleren Preissegment zwischen 1000 und 3000 Franken, das lange Zeit ein wichtiger Einstiegsbereich für junge Käufer war, zeigen sich seit längerem Schwächen.

Wichtig ist auch, wie die Hersteller mit ihren hohen Lagerbeständen umgehen. Wer zulässt, dass unverkaufte Uhren im grossen Stil bei inoffiziellen Händlern landen, riskiert, das Image seiner Marke nachhaltig zu schädigen. Uhren sind keine Modeartikel, die man für eine Saison kauft. Ein Kunde, der sieht, dass sein vor kurzem gekauftes Modell plötzlich zum halben Preis erhältlich ist, wird sich gut überlegen, je wieder bei dieser Marke zu kaufen.

Wachsamkeit ist ebenfalls gefragt. Auch wenn die Schweizer Uhrenindustrie die erste grosse Smartwatch-Welle gut überstanden hat, darf sie nicht selbstzufrieden werden. Smartwatches gelten mittlerweile als Gebrauchsgegenstände, während mechanische Uhren mehr denn je als Statussymbole und Schmuck betrachtet werden. Doch der technologische Wandel schreitet voran, und der Kampf um das Handgelenk ist noch lange nicht entschieden.

Die Erfolgsgeschichte kann weitergehen

Wenn die Uhrenmarken nun die richtigen strategischen Entscheidungen treffen und ihre Kunden wieder spüren lassen, dass höchste Produktqualität und exzellenter Service oberste Priorität haben, kann die Branche ihre Erfolgsgeschichte fortsetzen. Die Bedingungen dafür sind günstig: Seit der Erfindung des Mobiltelefons, das die klassische Armbanduhr als alltägliches Zeitmessinstrument weitgehend abgelöst hat, war das Interesse an traditionellen Uhren noch nie so gross wie heute.

Exit mobile version