Samstag, September 28

Haben die Zürcher Sozialdemokraten ein Antisemitismus-Problem? Fälle aus jüngster Vergangenheit werfen Fragen auf.

Anfang September tritt in der Roten Fabrik ein propalästinensischer Redner auf, der wegen zweifelhafter Positionen zum Krieg in Gaza aufgefallen ist. Er referiert über «die Geschichte der immensen Gewalt des zionistischen Siedlerkolonialismus Israels». Am selben Wochenende werden auf dem Gelände der Roten Fabrik T-Shirts gedruckt, auf denen zu lesen ist: «There Is Only One Solution – Intifada Revolution».

Rasch werden Antisemitismusvorwürfe laut, und weil die Rote Fabrik von der Stadt Zürich üppig subventioniert wird, diskutiert nun die städtische Politik darüber.

Vergangene Woche reichten FDP, SVP, Mitte/EVP und Grüne einen Vorstoss im Stadtparlament ein, in dem sie Massnahmen gegen «antisemitische und gewaltverherrlichende Veranstaltungen» fordern. Bei den Unterzeichnenden fehlte ausgerechnet die SP, die grösste Partei der Stadt und mit Stadtpräsidentin Corine Mauch verantwortlich für die Zürcher Kulturpolitik.

Untätig blieb die SP aber nicht. In der Zwischenzeit hat sie einen eigenen Vorstoss eingereicht, der dem anderen täuschend ähnlich ist. Der Vorfall in der Roten Fabrik wird aber nicht konkret erwähnt. Und neben dem Begriff «Antisemitismus» verwehrt man sich gegen alle möglichen anderen Diskriminierungen... aufzählen.

Hier Einschub: Das Hin und Her zeigt, dass sich die SP schwer tut mit der Benennung von Antisemitismus. In einer früheren Fassung des Postulats, die der NZZ vorliegt, fehlte der Begriff «Antisemitismus» gänzlich. Die Partei führe immer wieder Diskussionen über den Begriff Antisemitismus, sagt SP-Gemeinderätin Liv Mahrer, die hinter dem Vorstoss steht. «Es ist völlig daneben, antisemitische Sachen zu sagen», sagt sie. «Aber der Begriff ist auch schwierig», fügt sie an. «Es wird ja auch oft auch als antisemitisch betitelt, was staatskritisch ist.» Staatskritisch gegenüber Israel? «Ja, zum Beispiel.»

Dass die SP aus diesem Grund erst eine Woche nach den anderen Parteien einen Vorstoss einreichte, möchte Mahrer trotzdem nicht auf diese Diskussion zurückgeführt haben. «Es geht uns um die Kulturfreiheit», sagt Mahrer.

Denn auch das ist im SP-Postulat anders: Statt Massnahmen gegen Antisemitismus in «städtisch subventionierten Kulturbetrieben» fordert die SP gemeinsam mit Grünen und AL generell Massnahmen in «städtisch subventionierten Betrieben». hier dann das Zitat mit der Programmfreiheit

Spielman: «Verstehe nicht, was so schwierig ist»

Der FDP-Gemeinderat Jehuda Spielman kritisiert das Vorgehen der SP. «Wir haben ein systematisches Problem im Kulturbereich, in anderen Betrieben der Stadt nicht», sagt er. «Wenn ein antisemitisches Plakat im Tram hängen würde, würden wir das auch kritisieren. Aber es geht eben um Kulturbetriebe».

Dass die SP Antisemitismus in ihrem Postulat nur zusammen mit anderen Formen der Diskriminierung erwähnt, kritisiert Spielman ebenfalls. «Ich befürchte, dass das ein Versuch ist, einfach alles in einen Topf zu werfen». Dabei hätten subventionierte Zürcher Kulturbetriebe momentan ein Problem mit Antisemitismus und Gewaltverherrlichung, nicht etwa mit Rassismus, Sexismus, Trans- oder Homophobie. «Ich verstehe nicht, was so schwierig daran ist, Antisemitismus beim Namen zu nennen», sagt Spielman. Neben der Roten Fabrik geriet kürzlich auch die Zentralwäscherei in die Kritik wegen eines Auftritts eines umstrittenen palästinensischen Redners.

Hier kommt noch ein schöner Zwischentitel

Es ist nicht das erste Mal, das rund um die SP Zürich solche Vorwürfe laut werden. Erst letzte Woche fiel eine Zürcher Alt-Kantonsrätin der SP mit grenzwertigen Blogbeiträgen zum Krieg in Gaza auf, wie «20 Minuten» berichtete.

In den Beiträgen äussert sich die SP-Frau zum Hamas-Massaker vom 7. Oktober. Für sie ist der Terrorangriff «eine Kampfhandlung unter anderen». «Verabscheuungswürdig, aber letztlich verständlich», schreibt sie.

Inzwischen hat die Alt-Kantonsrätin ihren Blog geschlossen. Sie stehe aber weiterhin hinter allen Aussagen, schreibt sie auf Anfrage der NZZ. «Aber natürlich sind meine Formulierungen auch einmal angreifbar.»

Die SP Zürich distanziert sich gegenüber der NZZ von den Einwürfen der Alt-Kantonsrätin. «Es waren Sätze im Beitrag zu finden, die zu Recht kritisiert wurden», schreibt der Co-Präsident der Kantonalpartei, Jean-Daniel Strub. Die SP suchte das Gespräch mit der Alt-Kantonsrätin. Dass ein Beitrag mittlerweile gelöscht wurde, begrüsse die SP.

Einhaus kritisiert die SP-Position zu Israel

Es sind Vorwürfe wie diese, die Hannah Einhaus dazu gebracht haben, aus der SP auszutreten. «Seit dem 7. Oktober ist die Position der SP zu Israel einfach nicht mehr tragbar», findet die Ex-Sekretärin der SP Frauen, die am Tag des Frauenstreiks im Juni medienwirksam aus der Partei austrat.

«Komplett antisemitisch» nennt Einhaus die Blogbeiträge der Zürcher Alt-Kantonsrätin. «Da gibt es verschiedene Formulierungen, die davon zeugen, dass in ihrem Denken Israel einfach böse ist.» Diese Art des Antisemitismus sei in der SP verbreitet. «Statt Judenhass zu bekämpfen, hilft diese Partei mit, über Israel-Bashing, BDS-Support und verkappte Hamas-Unterstützung die postmoderne Form des Judenhasses zu schüren.» Das schreibt Einhaus in einem offenen Brief an die Parteileitung der SP, den sie auf dem Onlineportal «Audiatur» veröffentlicht.

Gegenüber der NZZ greift Einhaus auch die SP Zürich an. Prominente Exponenten der Partei, Nationalrat Fabian Molina und Kantonsrat Nicola Siegrist, haben kurz nach dem 7. Oktober 2023 Kommentare in den sozialen Netzwerken veröffentlicht, die als verharmlosend kritisiert wurden.

Letzten Sommer reichte die städtische SP zudem im Gemeinderat einen Vorstoss ein, der eine Zahlung an das Palästinenserhilfswerk UNRWA forderte. «Das ist verkappte Hamas-Unterstützung», sagt Einhaus. «Die SP sollte dagegen entschieden Stellung beziehen.»

Die SP Zürich wehrt sich vehement gegen den Vorwurf, zu wenig gegen Antisemitismus zu tun. «Antisemitismus ist ein gesellschaftliches Problem, gegen das wir uns mit vollem Engagement einsetzen», schreibt Co-Präsident Jean-Daniel Strub auf Anfrage. «Die SP verurteilt alle Formen von Gewalt gegen Zivilisten auf’s Schärfste und verlangt von allen Konfliktparteien, das Völkerrecht einzuhalten.» Die Frage der NZZ, wie die SP Antisemitismus genau definiere, beantwortet die Parteileitung nicht.

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