Donnerstag, Mai 15

Nadja Abd el Farrag blieb ihr Leben lang Dieter Bohlens Ex. Ihr Scheitern wurde öffentlich dokumentiert und hämisch beklatscht. Auf ihre Würde in der Öffentlichkeit musste sie bis zu ihrem Tod warten.

Die meisten Menschen kannten ihren Nachnamen nicht. Sie war einfach «Naddel», die Ex von Dieter Bohlen, «Naddel», der Reality-Star, als diese noch nicht so hiessen, oder zuletzt «Naddel», die traurige Figur, die einmal berühmt war.

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Am 9. Mai haben die Organe von Nadja Abd el Farrag, so hiess sie mit vollem Namen, versagt. Die Alkoholsucht hatte ihren Tribut gefordert. Sie wurde 60 Jahre alt.

Ihr Tod hätte eine Randnotiz auf einschlägigen Promi-Seiten sein können. Doch «Naddels» Ableben löst mehr aus. Es weckt bei vielen ein schlechtes Gewissen. Es hält einer Gesellschaft den Spiegel vor, die scheinbar einfältige Menschen wie Nadja Abd el Farrag zu einem Hau-den-Lukas für Spott und Häme gemacht haben, bis diese daran zerbrochen sind.

Für immer Bohlens (Ex-)Freundin

Nadja Abd el Farrag wächst in Hamburg in einfachen Verhältnissen auf, ihr Vater, ein Autohändler mit Biologiestudium, stammt aus dem Sudan, ihre Mutter ist Deutsche. Nadja Abd el Farrag macht eine Ausbildung in einer Apotheke, und sie liebt es, zu singen.

Als sie 24 ist, engagiert Dieter Bohlen sie als Backgroundsängerin für seine Band Blue System. Ihr Traum, von der Musik zu leben, scheint auf einmal greifbar nah.

Das Treffen mit dem Pop-Star sollte ihr Leben für immer verändern. Aber nicht so, wie sie es sich erhofft hat.

Dieter Bohlen und die noch unbekannte «Naddel» – so nennt er sie – werden erstmals 1989 ein Paar. Die junge Frau tritt ein in eine schillernde Welt, sie landet auf Titelseiten von Klatschmagazinen und wird auf den roten Teppich eingeladen. Nadja Abd el Farrag ist im Rampenlicht angekommen und gilt als It-Girl der Neunziger: Sie ist plötzlich berühmt, wird bewundert, fotografiert und interviewt. Wofür, ist zweitrangig.

Doch Nadja Abd el Farrag bleibt die «Freundin von», ihr Leben in der Öffentlichkeit klebt an Dieter Bohlen.

1996 trennen sich die beiden erstmals. Kurz darauf heiratet Dieter Bohlen die weitgehend unbekannte Verona Feldbusch in Las Vegas. Nach nur vier Wochen trennen sie sich wieder. Verona Pooth, wie sie heute heisst, wird in ihrer Biografie schreiben, sie habe den Bohlen mit «Naddel» im Bett erwischt, daraufhin sei er handgreiflich geworden.

Fakt ist: Kurz darauf ist Dieter Bohlen wieder mit seiner Ex-Freundin zusammen, die er nie heiraten wird, und Feldbusch nutzt die Kurz-Ehe mit Bohlen, um als Werbe-Ikone Karriere zu machen. Es sollte ihr gelingen. Etwas, das Nadja Abd el Farrag ihr Leben lang erfolglos probieren wird.

Bohlen war der «Fehler ihres Lebens»

«Naddel» und Bohlen bleiben noch einmal fünf Jahre. Auch sie versucht, eigenständig erfolgreich zu werden, sie lässt sich vom «Playboy» fotografieren, tritt in TV-Shows auf, versucht sich im Moderieren. Der grosse Erfolg bleibt aus.

Fernab des Rampenlichts führen die beiden eine turbulente Beziehung, Nadja Abd el Farrag greift immer öfter zum Alkohol. «Ich war seine Putzfrau», wird sie später sagen. Geld aus dem gemeinsamen Projekt Blue System habe sie hingegen nie bekommen, zudem sei sie in der Beziehung immer wieder «niedergemacht» worden, sie wird später gar von «häuslicher Gewalt» sprechen.

Nadja Abd el Farrag wird Dieter Bohlen als «Fehler ihres Lebens» bezeichnen. Er hingegen schreibt in seiner Biografie, die Beziehung habe stark unter ihrem Alkoholkonsum gelitten.

Als sie sich 2001 von Dieter Bohlen trennt, hofft sie auf einen Befreiungsschlag. Sie ist 37, als sie ein neues Leben beginnt. Sie macht nun einen Schritt in die Selbständigkeit – aber auch einen Schritt nach unten. Weg vom It-Girl, das bewundert wird. Hin zum Reality-Star, der sich der Lächerlichkeit preisgibt.

Und «Naddel» lässt nichts aus: Sie nimmt von «Promi Big Brother» bis zum «Dschungelcamp» an jeder erdenklichen Reality-Show teil, versucht sich als Schlagersängerin, nimmt Gastrollen in Serien an.

«Naddel» ist überall. Und doch bleibt sie bei allen einfach das, wofür sie bekannt geworden ist: Bohlens Ex. Privat lebt Nadja Abd el Farrag über ihre Verhältnisse, wie sie später erklärt. Sie geht pleite, verschuldet sich, trinkt noch mehr Alkohol. «Ich lernte Leute kennen, die immer auf Partys waren, und zog mit denen mit», sagt sie später gegenüber RTL.

Prominente wie «Naddel» ernten Spott und Häme

Die Medien begleiten jeden Schritt von Nadja Abd el Farrags Abstieg, und sie tun das genüsslich. Bilder ihres von Alkohol und Sorgen gezeichneten Gesichts, ihrer schlecht sitzenden Perücke oder davon, wie sie sichtlich angetrunken an Events auftaucht, zieren die Titelseiten von Boulevardzeitungen. «Naddel torkelt durch ‹Dschungelshow›», steht da, «Betrunken oder hilflos?» und: «Bohlen-Ex Naddel irritiert mit Ekel-Bauch».

Es ist eine Zeit, in der Prominente wie Nadja Abd el Farrag darauf angewiesen sind, in den Medien stattzufinden, um Aufträge zu bekommen. Wer aus den Schlagzeilen verschwindet, wird nicht mehr an Anlässe eingeladen, ist nicht mehr relevant.

Erst Jahre später werden Prominente durch Social Media eine gewisse Selbstbestimmung darüber erlangen, wie sie wahrgenommen werden wollen – und wie sie mit ihrer Berühmtheit Geld verdienen können. Für Nadja Abd el Farrag, deren Musikkarriere nie abhebt, bleiben nur noch Reality-TV-Shows, C-Promi-Events und Frühstücksfernsehen.

Prominente wie sie, die nicht (mehr) mit Talent, sondern mit ihrer Unbeholfenheit auffallen, werden durch Sendungen wie «TV total» und unvorteilhaft durch Promi-Magazine geschleift. Man scheint sich einig: Menschen wie sie haben das Rampenlicht gesucht, nun müssen sie auch mit den Konsequenzen leben, nämlich mit Hohn und Spott. Ist jemand schon unten angelangt, darf man auch nachtreten.

Der letzte Rettungsversuch

Doch Nadja Abd el Farrag fällt noch tiefer: Sie wird obdachlos, bezieht Sozialhilfe. Mit 54 Jahren zieht sie zurück zu ihrer Mutter, zwischendurch verschwindet sie ganz aus der Öffentlichkeit. Dazu kommen gesundheitliche Probleme. 2015 outet sie sich öffentlich als Alkoholikerin; 2018 erklärt sie, an Leberzirrhose zu leiden, einer chronischen Krankheit, bei der die Leber degeneriert und ihre Funktion schrittweise aufgibt.

«Naddel» jobbt als Kellnerin und im Altersheim, um ihre Schulden zurückzuzahlen. Dann trifft sie auf den Unternehmer Andreas Ellermann, der ihrer Musikkarriere noch einmal Aufschwung geben will. Ellermann ist ein mittelmässig erfolgreicher, aber wohlhabender Entertainer, der sich als Förderer und Altruist versteht. Mit seiner Stiftung unterstützt er nach eigenen Angaben Menschen, die wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Beeinträchtigung auf Hilfe angewiesen sind.

Ellermann will Nadja Abd el Farrag wieder Auftritte verschaffen. Doch ihre Gesundheit wird immer schlechter. 2024 gibt sie ihr letztes Interview gegenüber RTL, es wird jedoch erst nach ihrem Tod ausgestrahlt.

Ende Mai 2024 tritt sie am «Schlagermove», einem Festival in Hamburg, das letzte Mal öffentlich auf. Videoaufnahmen zeigen sie tanzend neben ihrem Unterstützer Ellermann – auf dem Party-Truck der «Bild»-Zeitung. Im letzten Jahr sei sie schliesslich nicht mehr imstande gewesen, aufzutreten, sagt er später. Sie starb in einer Klinik in Hamburg, wenige Wochen nach ihrem 60. Geburtstag.

«Naddels» Fall wurde beklatscht, vielleicht gar befeuert

Medien, denen Nadja Abd el Farrag über Jahrzehnte als Belustigung und Klickgarant diente, publizieren nach ihrem Tod respektvolle Nachrufe. Der Fernsehsender RTL etwa schrieb einst ein Lied für sie und filmte sie bei der Performance in Mallorca, als sie sang: «So wenig Geld und noch so viel Monat, das ist wirklich nicht normal, bin schon wieder knietief im Dispo . . .» Nun titelt der gleiche Sender über dem Interview, das erst nach ihrem Tod interessant genug wurde, um ausgestrahlt zu werden: «Naddel kämpfte ihr Leben lang um ein Stück vom Glück.»

Auch die «Bild»-Zeitung, die letztes Jahr die bereits stark angeschlagene Abd el Farrag auf ihrem Party-Truck beim «Schlagermove» feiern liess, profitierte über Jahre von «Naddels» ramponiertem Ruf und dokumentierte sämtliche Peinlichkeiten und Skandale.

2009 titelte die «Bild»-Zeitung etwa: «Nadja Abd el Farrag: Nackt-Naddel wirbt für Sex-Messe» oder in einem Video von 2016 «Naddel will (mal wieder) Malle-Sängerin werden». Nach ihrem Tod schlägt das Medium einen ganz anderen Ton an: «Im Juni war sie noch voller Hoffnung», steht nun im Titel. Weiter schreibt eine Autorin, dass die Worte von «Naddels» letztem Interview aus heutiger Sicht «mitten ins Herz treffen».

Erst nach ihrem Tod scheint Nadja Abd el Farrag das zu erhalten, was sie fast ihr ganzes Leben lang in der Öffentlichkeit vermisst hat: Würde.

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