Mittwoch, Januar 15

In einem vom deutschen Innenministerium bezahlten Bericht werden Medien und Journalisten als Rassisten, Muslimfeinde und Fake-News-Produzenten angeprangert. Das gehe zu weit, sagt nun ein Gericht.

Die Hände gefaltet und die Lippen zu einem Lächeln geformt, umrahmt von einer EU- und einer Bundesflagge, blickt Nancy Faeser das lesende Publikum an. «Wir dürfen Hass und Hetze keinen Raum geben», so schreibt sie. Allen Formen von Rassismus, Extremismus und Menschenfeindlichkeit müsse sich die Gesellschaft «geschlossen» entgegenstellen, «Tendenzen der Ausgrenzung und Spaltung» gelte es frühzeitig zu erkennen, im Namen «unseres freiheitlichen demokratischen Zusammenlebens».

Die «Wir»-Appelle der deutschen SPD-Innenministerin finden sich im Vorwort zum Bericht «Muslimfeindlichkeit – eine deutsche Bilanz». Verfasst hat das 400-seitige Werk der Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit, bezahlt und herausgegeben hat es der deutsche Staat, dessen Logo auch auf der Titelseite prangt. Feindseligkeit gegen Muslime, so lautet eine Grundthese der Autoren, ist in Deutschland alltäglich, strukturell und gravierend – und daran sind deutsche Medien und Journalisten mitverantwortlich.

Explizit genannt wird Henryk Broder, einer der bekanntesten und streitfreudigsten Journalisten Deutschlands. Ebendas hat der Regierung nun juristischen Ärger eingebracht. Wobei der Fall einmal mehr die Frage aufwirft, wer eigentlich jene Hetze verbreitet, die Nancy Faeser angeblich bekämpfen will.

«Als blutrünstige Horden dämonisiert»

Henryk Broder, so viel ist unbestritten, teilt gerne aus. Der heutigen Kulturstaatsministerin Claudia Roth attestierte er einmal eine «Mischung aus Dummheit und Selbstüberschätzung». Als Sohn von polnischen Holocaust-Überlebenden mokiert sich Broder gerne über das «Nie wieder»-Pathos der Deutschen, das er angesichts von linkem Antisemitismus, obsessiver «Israelkritik» und Ignoranz gegenüber der islamistischen Bedrohung für verlogen hält.

Seine oft sarkastischen und polemischen Warnungen vor dem Islamismus haben Broder wiederholt Vorwürfe der Islamfeindlichkeit und des Rassismus eingebracht. Sie sind auch der Grund dafür, weshalb er im Bericht über «Muslimfeindlichkeit» als Hetzer identifiziert wird. Broder, so behaupten die vom Staat bezahlten «Experten» nämlich, habe «Muslim*innen pauschal als unwissende, ehrversessene, blutrünstige Horden dämonisiert». Zudem habe er Aufrufe zur Deeskalation und Rücksichtnahme gegenüber Muslimen «offen verhöhnt» und «für eine uneingeschränkte Anwendung der Meinungsfreiheit» plädiert.

Konkret geht es um einen Artikel, den Broder 2010 im «Spiegel» veröffentlichte, kurz nachdem ein Somalier versucht hatte, den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard zu töten. Westergaard hatte Karikaturen von Mohammed veröffentlicht, die in der islamischen Welt mit Mordaufrufen und gewaltsamen Protesten quittiert wurden.

Massenhysterie wegen der «Satanischen Verse»

Obwohl die dänischen Karikaturen harmlos waren, reagierten auch demokratische Politiker und Würdenträger entsetzt – nicht primär über die Gewalttäter, sondern über die Verletzung religiöser Gefühle. Günter Grass erkannte in dem islamistischen Terror gar eine «fundamentalistische Antwort auf eine fundamentalistische Tat». Broder kommentierte das mit der ironischen Frage, ob man im Westen künftig auch «das Tragen von Miniröcken, den Genuss von Schweinefleisch und die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften unterlassen sollte, um keine Gefühle von Erniedrigung und Demütigung in der islamischen Welt hervorzurufen».

Die Rufe nach Mässigung, so Broder sinngemäss, seien umso verlogener, als sich die westliche Welt Anfang der 1990er Jahre mit dem Schriftsteller Salman Rushdie solidarisiert habe, statt der Angst nachzugeben. Auch damals hätten «Millionen von Muslimen in aller Welt, die keine Zeile des Buches gelesen und den Namen noch nie gehört hatten» das Todesurteil vollstreckt sehen wollen – «je schneller, desto besser, um mit seinem Blut die beschmutzte Ehre des Propheten wieder reinzuwaschen».

Das ist drastisch formuliert, beschreibt aber reale Vorgänge. Rushdies Roman «Die Satanischen Verse» löste in Teilen der islamischen Bevölkerung eine Art Massenhysterie aus, auch in Europa. Iran setzte ein Kopfgeld aus, aufgehetzte Mobs zündeten das Buch und ein Hotel an, es gab Bombenanschläge und eine Messerattacke. 38 Menschen starben, darunter viele unbeteiligte Muslime.

Bundesadler und Nancy Faesers Vorwort waren zu viel

Henryk Broder wollte seine Darstellung durch den Expertenkreis Muslimfeindlichkeit jedenfalls nicht hinnehmen. Er forderte das Innenministerium von Nancy Faeser auf, die Passage aus dem 400-Seiten-Bericht zu entfernen. Die Inhalte des Berichts, so argumentierte sein Anwalt, seien als «amtliche Äusserung» zu betrachten, auch wenn die Autoren formell unabhängig seien. Das zeige die Tatsache, dass der Staat Auftraggeber und Herausgeber sei, der Bundesadler auf der Titelseite abgebildet sei und Nancy Faeser auch noch das Vorwort geschrieben habe. Dem Staat stehe es indes nicht zu, Bürger unsachlich darzustellen und Massnahmen zu deren Nachteil einzufordern.

Die erste Instanz lehnte Broders Antrag ab, doch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat ihm nun recht gegeben. Der Beschluss liegt der NZZ vor. Der Staat, so heisst es darin, dürfe sich nicht ohne Grund «herabsetzend über einen Bürger» äussern oder dessen Meinungen abschätzig kommentieren. Genau das sei der Fall gewesen, weil die Aufmachung des Berichts – mit Bundesadler-Logo und Faeser-Vorwort – den Eindruck erwecke, wonach sich die Regierung die Meinungen der Autoren zu eigen gemacht habe. Broders Aussagen würden «nicht nüchtern», sondern in herabsetzender Weise dargestellt. Damit habe der Staat das Sachlichkeitsgebot verletzt.

Der Beschluss des Gerichts kann nicht angefochten werden, das Innenministerium hat aber die Möglichkeit, sich zustimmend oder ablehnend dazu zu äussern. Wie die «FAZ» berichtete, wertet die Regierung das Gerichtsverdikt derzeit aus. Der Bericht ist vorsorglich von der Website entfernt worden.

Was Satire darf, bestimmen die «Experten»

Falls die Passage über Henryk Broder nicht gelöscht wird, will sein Anwalt Joachim Steinhöfel ein Hauptsacheverfahren anstrengen. «Dieser Bericht ist ein Frontalangriff des Staates auf die Meinungsfreiheit und einen der renommiertesten deutschen Journalisten», sagt Steinhöfel. Dass die Steuerzahler diesen «weltanschaulichen Aktivismus» finanzieren, findet er einen Skandal – aber es überrasche ihn bei dieser Regierung nicht mehr.

Tatsächlich ist der im letzten Juni präsentierte Bericht in vielerlei Hinsicht problematisch. Die «Experten», die ihn verfasst haben, stellen Muslime in Deutschland mehr oder weniger kollektiv als Opfer und Unterdrückte dar. Die Gefahr, die von islamistischem Gedankengut ausgeht, spielen sie dagegen herunter. Für ihre alarmistischen Befunde in Sachen «Muslimfeindlichkeit» stützen sich die Verfasser unter anderem auf islamistische und proislamistische Vereine wie Ditib und Claim. Oder sie berufen sich auf postkoloniale Ideologen, die in ihren Werken nur in Anführungszeichen von islamischem Antisemitismus schreiben, als gäbe es das gar nicht.

Besonders irritierend ist der autoritäre, diffamatorische Ton, den der Expertenkreis gegenüber Medien und Journalisten anschlägt. So werden die «Massenmedien» belehrt, dass gute Satire «gesellschaftliche Schieflagen» nicht vertiefen dürfe, sich also nicht über muslimische Gläubige lustig machen dürfe. Wer über die Karikaturen des französischen Satiremagazins «Charlie Hebdo» berichte, müsse eine «rassismuskritische Einordnung» vornehmen.

Eine Hamas-Versteherin als «engagierte Demokratin»

Rassistisch sind laut dem Bericht auch journalistische Recherchen über demokratiefeindliche Vertreter von Islamverbänden. Die Medien, so raunen die Autoren, würden vor allem erfolgreiche Musliminnen angreifen, mit «unbelegten Vorwürfen». Ein Beispiel dafür sei die Rechtsanwältin Nurhan Soykan. Sie wurde 2020 ins Auswärtige Amt von Heiko Maas (SPD) berufen, musste aber wegen politischer und medialer Proteste verzichten. Dabei, so behauptet der Expertenkreis, sei Soykan das «Musterbeispiel einer ehrenamtlich engagierten Demokratin».

Als Beleg für diese Aussage dient ein einziger, schönfärberischer Artikel aus dem ehemaligen SED-Organ «Neues Deutschland». Dass Soykan als Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime eine Organisation vertritt, zu der auch rechtsextreme Graue Wölfe gehören, sagt demnach ebenso wenig über ihre Gesinnung aus wie die Tatsache, dass sie antisemitische Veranstaltungen wie den Al-Kuds-Tag nicht ohne Wenn und Aber verurteilen mochte.

Dabei konnten Zeitungen wie die «Welt» anhand von Facebook-Posts nachweisen, wie die «engagierte Demokratin» Verschwörungstheorien über Israel verbreitete und Geldzahlungen an jüdische Gemeinden in Deutschland mit einem höhnischen «No comment» kommentierte. In einem Interview mit dem «Deutschlandfunk» sagte sie 2014 ganz offen, Israel sei allein schuld an der Gewalt in Gaza. Zur Hamas verlor sie kein kritisches Wort.

Gemäss Informationen der NZZ ist eine weitere Klage gegen das Innenministerium hängig. Satire, so schreibt der Expertenkreis Muslimfeindlichkeit, müsse sich gegen «die Elite im Staat» richten und «Absurditäten, Machtmissbrauch und Fehlentwicklungen» entlarven. Insofern ist sein Bericht gut gelungen.

Exit mobile version