Freitag, Januar 24

Girmas Wechsel nach England ist mehr als bloss ein Marketing-Coup. Die beste Frauenliga auf der Insel wird immer lukrativer – dank langfristigen Investitionen und kluger Expansion.

Kaum eine Nachricht im Frauenfussball hat bisher so viel Aufmerksamkeit erregt wie der anstehende Vereinswechsel von Naomi Girma. Denn die Amerikanerin, die als beste Verteidigerin der Welt gilt und mit ihrem Nationalteam das Olympiaturnier 2024 in Paris gewonnen hat, wird mutmasslich die erste Fussballerin sein, die eine Million Dollar Ablöse kostet.

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So viel Geld will der Chelsea FC für die Dienste der 24-Jährigen an den US-Verein San Diego Wave überweisen. Sämtliche involvierten Parteien haben sich in dieser Woche angeblich geeinigt – der Wechsel dürfte bald offizialisiert werden. Die Transfersumme übertrifft die bisherige Bestmarke deutlich. Vor einem Jahr bezahlte das US-Team Bay FC kolportierte 860 000 Dollar für die Angreiferin Racheal Kundananji an Madrid CFF.

Von den gigantischen Beträgen des Männerfussballs sind die Frauen noch weit entfernt

Girmas Wechsel wirkt wie eine Zäsur im Frauenfussball, der vor dem Aufbruch in ein neues Transferzeitalter steht. Fortan könnte sich ein ähnlicher Effekt einstellen wie damals bei den Männern, als der Italiener Pietro Anastasi 1968 als erster Millionenspieler in die Geschichte einging. Der Angreifer wechselte damals vom FC Varese zu Juventus Turin. Seither sind die Ablösesummen durch die Decke gegangen. Der teuerste Kicker der Welt ist der Brasilianer Neymar, Paris Saint-Germain löste ihn 2017 für eine Viertelmilliarde Dollar beim FC Barcelona aus.

Von solch gigantischen Beträgen ist der Frauenfussball noch weit entfernt. Doch Girmas Millionendeal ist die logische Konsequenz des zunehmenden Interesses, der steigenden Attraktivität der Partien und des immer grösser werdenden internationalen Wettbewerbs. Mittlerweile spielen mehr als vier Millionen Frauen und Mädchen auf der Insel Fussball. Eine Reporterin des «Guardian» vermutet in einem Essay, dass sich der Frauenfussball noch zu ihren Lebzeiten als «zweitgrösste Sportart nach dem Männerfussball etablieren» werde.

Nebst dem Chelsea FC war auch Frankreichs Frauen-Spitzenklub Olympique Lyon an Girma interessiert, die bei San Diego mit einem Vertrag bis 2026 gebunden war. Die zwei Klubs dürften den Preis durch ihr Werben gegenseitig nach oben getrieben haben. Sie wollen den Rückstand auf den FC Barcelona wettmachen, der zuletzt zwei Mal in Folge die Champions League gewonnen hat.

Girmas Gehalt dürfte wohl ähnlich hoch sein wie dasjenige von Sam Kerr. Die bisherige Bestverdienerin im Chelsea FC erhält rund eine halbe Million Dollar pro Jahr. Dass sich Chelsea Girma leisten kann, liegt zuvorderst an der gelungenen Neustrukturierung des Frauenfussballs in England: Die beiden Profiligen spalteten sich im vergangenen Sommer von Englands Verband ab, um sich zukünftig unter dem Namen Women’s Professional Leagues eigenständig zu verwalten. Das Management des Ligaverbands besteht zurzeit nur aus Frauen, ein Team aus vier Personen berichtet an die Vorsitzende Nikki Doucet. Sie ist eine Investmentbankerin, die in der Vergangenheit für den Sportartikelhersteller Nike tätig gewesen ist. Die Anteile an der Organisation halten die zwölf Erst- sowie die elf Zweitligaklubs.

Naomi Girma - world best defender ? welcome to chelsea

Die Women’s Professional Leagues haben bereits erste Erfolge vorzuweisen: Vor drei Monaten veräusserten sie die TV-Übertragungsrechte für die kommenden fünf Saisons an die BBC und Sky Sports – für die Rekordsumme von 65 Millionen Pfund. Zuzüglich der Produktionskosten erstreckt sich das Investment der beiden Sender für den vereinbarten Zeitraum auf 100 Millionen. Die Steigerung im Vergleich zum jetzigen Deal beträgt rund 60 Prozent.

Fast sämtliche Partien werden fortan im TV zu sehen sein, was den Klubs durch erhöhte Sichtbarkeit und Reichweite zu mehr Einnahmen im Sponsoring verhelfen wird. Die wenigen nicht ausgestrahlten Spiele können Fans kostenfrei auf der eigenen Youtube-Plattform der Liga schauen.

Die Herausforderung bestand vor allem darin, geeignete Anspielzeiten am Wochenende zu finden, um nicht in Konkurrenz zu den Partien der Premier League zu geraten. Denn das würde die Einschaltquoten reduzieren. Die Männer-Profiligen protestierten allerdings gegen das Vorhaben, das auf der Insel übliche TV-Blackout am Samstagnachmittag für den Frauenfussball aufzuheben.

Der Expansionsdrang der Women’s Super League zeigt sich zudem bei den Werbepartnerschaften. Zu Saisonbeginn erneuerten die Ligen ein Abkommen mit dem langjährigen Geldgeber Barclays – es war der erste Deal in der Geschichte der neuen Organisation. Die beschlossene Fortsetzung der Zusammenarbeit erstreckt sich über drei Jahre und bringt kolportierte 30 Millionen Pfund für die Namensrechte an der Liga ein.

Das Geldinstitut teilte mit, es habe sein Engagement im Frauenfussball «verdoppelt». Zusätzlich dürften vereinbarte Marketingverpflichtungen den Wert der Zusammenarbeit auf bis zu 45 Millionen anheben. Trotz diesen Bemühungen hielt der «Guardian» fest, die Tabellenpositionen der Klubs liessen sich nach wie vor ungefähr daran ablesen, wie sehr sich ein Fussballverein «historisch, ideell und finanziell» für das eigene Frauenteam einsetze. Zuletzt gewann der Chelsea FC fünfmal in Folge das Championat. Und auch in dieser Saison liegt der Klub aus London mit grossem Abstand an der Tabellenspitze.

Die erste Frauen-Milliardenliga der Welt?

All diese Entwicklungen untermauern das Bestreben der Women’s Super League, zur ersten Frauen-Milliardenliga der Welt zu avancieren. Eines ihrer bekanntesten Gesichter ist nun Naomi Girma. Die amerikanische Nationaltrainerin Emma Hayes fasste ihre Fähigkeiten so zusammen: Sie habe alles, sie könne verteidigen, antizipieren und führen. Sie sei die beste Abwehrspielerin, die es je gegeben habe, glaubt Hayes, die bis zum Ende der vergangenen Saison für Chelsea arbeitete. Die Women’s Super League dürfte wie der Verein von Girmas hoher Vermarktbarkeit profitieren. Einen Teil der Ablöse kann Chelsea refinanzieren – durch Trikot-Verkäufe und das von Girma ausgelöste weltweite Fan-Interesse am Klub.

In den USA gehört die in Kalifornien geborene Tochter äthiopischer Einwanderer zu den beliebtesten Stars der Frauenliga. NBC Sports erzählte sie, dass ihr Vater trotz seinem Leben in den USA immer etwas an sein Heimatland zurückgegeben habe. Auch sie versuche im Alltag, die Gemeinschaft zu stärken und Dinge besser zu hinterlassen, als sie sie vorgefunden habe. Girma hat bereits mehrere Rückschläge hinnehmen müssen, mit 19 zwang sie der Riss des vorderen Kreuzbands etwa zu einer längeren Spielpause.

Chelseas Konkurrentinnen werden intensiv beobachten, inwieweit sich der spektakuläre Vereinswechsel von Naomi Girma sportlich und finanziell bezahlt macht. Ein Marketing-Coup für den Chelsea FC und die Women’s Super League ist Girmas Transfer aber auf jeden Fall.

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