Der ukrainische Präsident möchte eine Einladung zur Militärallianz. Doch die Mitglieder wiederholen nur das Mantra des «unumkehrbaren Wegs». Ganz mit leeren Händen ging er dennoch nicht nach Hause.
An Wolodimir Selenskis Engagement liegt es nicht: Der ukrainische Präsident tourt um die halbe Welt, um für Waffen, Munition, Geld und allgemein Unterstützung für die Verteidigung seines Landes gegen den russischen Aggressor zu weibeln. Überall erntet er Schulterklopfen – häufig auch Umarmungen –, jede Menge nette Worte und durchaus gewisse Zusagen. Aber so viel, wie er sich wünscht und für einen positiven Ausgang des Krieges für nötig erachtet, bekommt er nicht.
Exemplarisch zeigte sich dies am Donnerstag in Brüssel, als Selenski ein richtiggehendes Mammutprogramm absolvierte. Zuerst traf er sich mit den 27 Staats- und Regierungschefs, die sich zum EU-Gipfeltreffen eingefunden hatten. Dann begab er sich ins Europäische Parlament, um mit dessen Präsidentin Roberta Metsola und einigen Vertretern zu sprechen. Und schliesslich fuhr er ins ein paar Kilometer ausserhalb von Brüssel gelegene Nato-Hauptquartier, wo sich die 32 Verteidigungsminister der Allianz zu einem zweitägigen Treffen versammelt hatten. Einen besseren Tag, um eine maximale Anzahl von politischen und militärischen Entscheidungsträgern zu treffen, hätte er sich kaum auswählen können.
Bei jeder der zahlreichen Begegnungen sprach Selenski über seinen «Siegesplan», den er am Mittwoch zuerst dem heimischen Parlament vorgestellt hatte. Eigentlich hätte er diesen am Ramstein-Treffen mit den wichtigsten Militärpartnern präsentieren wollen, doch dieses musste kurzfristig abgesagt werden, weil US-Präsident Joe Biden an der Heimatfront gefordert war.
Der Grundsatz steht seit Jahren fest
Der wichtigste Punkt von Selenskis insgesamt fünf Forderungen: Man möchte von der Nato eine formelle Einladung zur Mitgliedschaft erhalten. Dass die Ukraine eines Tages der mächtigsten Militärallianz der Welt beitreten kann, steht im Grundsatz schon seit mehr als fünfzehn Jahren fest. Diesen Juli setzten die Mitgliedsstaaten bei dem Washington-Gipfel rhetorisch noch einen drauf: Der Weg der Ukraine in die Nato sei «unumkehrbar». Dieses Mantra wird seither bei jeder Gelegenheit wiederholt – es wird deswegen nicht konkreter.
Daran ändert auch der erst vor wenigen Tagen erfolgte Wechsel im Nato-Generalsekretariat nichts. Am Freitag eierte Mark Rutte anlässlich einer Pressekonferenz zum Abschluss des Verteidigungsministertreffens genauso herum wie sein Vorgänger Jens Stoltenberg, nur vielleicht ein bisschen jovialer. «Wir wissen alle, dass die Ukraine eines Tages Mitglied sein wird», sagte Rutte – und wiederholte die Aussage in den verschiedensten Tonalitäten.
Der Niederländer ist nicht zu beneiden, ist er ja lediglich das Gesicht und der Administrator der transatlantischen Allianz. Derart gewichtige Fragen wie die Einladung zu einer Mitgliedschaft werden in den Mitgliedsländern gefällt – allen voran in den USA, aber auch in den europäischen Hauptstädten.
Kein Beitritt während des Krieges
Dass dort die Vorbehalte weiterhin gross sind, zeigte sich anlässlich des EU-Gipfels. Dass die Ukraine nicht der Nato wird beitreten können, solange auf ihrem Territorium gekämpft wird, ist ohnehin klar. Aber nur schon für den Fall einer Einladung erachten wichtige Nato-Staaten die Gefahr als zu gross, dass die Lage weiter eskalieren und die Allianz direkt in den Konflikt hineingezogen werden könnte.
Bereits am Mittwoch wiederholte Julianne Smith, die US-Botschafterin bei der Nato, anlässlich eines Pressegesprächs, dass man noch nicht an dem Punkt angelangt sei, an dem das Bündnis «kurzfristig eine Einladung aussprechen könnte». Man werde die Diskussionen mit den «ukrainischen Freunden» aber fortsetzen, um Möglichkeiten zur Annäherung auszuloten.
Auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich weiterhin skeptisch. «Sie kennen die Haltung Deutschlands in den Fragen, die da berührt sind. Daran wird sich nichts ändern», sagte er vor dem Gipfeltreffen und bezog sich dabei mutmasslich auch auf seine Weigerung, der Ukraine die langersehnten Taurus-Marschflugkörper zu liefern. Diese könnten Ziele weit im Innern Russlands treffen, was für die Partnerstaaten der Ukraine ebenfalls zu grosses Eskalationspotenzial birgt.
Ganz mit leeren Händen musste Selenski den Heimweg aber dennoch nicht antreten. Zwar steckt bei einem eigentlich versprochenen 35-Milliarden-Kredit der EU Sand im Getriebe. Dafür verkündete der Nato-Generalsekretär Rutte am Donnerstag, dass man von den 40 Milliarden Euro, welche die Nato-Staaten anlässlich des Washington-Gipfels in Aussicht gestellt hatten, gut die Hälfte im ersten Halbjahr ausbezahlt habe und der Rest «auf gutem Weg» sei.