Donnerstag, März 6

Natur- und Landschaftsschützer sollen das Beschwerderecht behalten. Die Hürden werden allerdings erhöht. Löst sich so die Blockade beim Stromausbau?

Bundesrat Albert Rösti steht ständig im Visier linker und grüner Politiker. Der SVP-Magistrat habe eine grosse Machtfülle und nutze diese gnadenlos aus, erklärte die Fraktionschefin der Grünen Aline Trede etwa in einem Interview, das am Dienstag im «Tages-Anzeiger» publiziert wurde. Rösti betreibe eine Klientel- und Parteipolitik und verhindere eine wirksame Umwelt- und Klimapolitik.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Von einer ganz anderen Seite zeigte sich Rösti allerdings gleichentags im Nationalrat. Der Bundesrat warb in der Debatte um den sogenannten Beschleunigungserlass eindringlich für einen Antrag des SP-Nationalrats Jon Pult. Dieser wollte die Energiekonzerne dazu verpflichten, weiterhin Ersatz- und Ausgleichsmassnahmen in Bezug auf Umweltschäden zu ergreifen, die beim Bau von Kraftwerken entstehen. Damit nicht genug: Ebenso machte sich der Umweltminister dafür stark, dass das Verbandsbeschwerderecht beim Ausbau der Wasserkraft bestehen bleibt. Es handelt sich wohl um das mächtigste Instrument der Natur- und Landschaftsschützer.

Mit seinem Votum versuchte Rösti den sogenannten Beschleunigungserlass zu retten, der zum Ziel hat, dem Ausbau der erneuerbaren Energien mehr Tempo zu verschaffen. Dazu sollen die langwierigen Bewilligungsverfahren betreffend die Planung und den Bau grosser Kraftwerke gestrafft und die Beschwerdefristen verkürzt werden.

Der Ständerat hatte der Vorlage im Dezember zugestimmt. Jedoch passte er die Vorlage an, indem er den Umweltverbänden bei den 16 Wasserkraftprojekten des runden Tisches das Beschwerderecht strich. Der Ausbau der Wasserkraft bildet das Herzstück des neuen Stromgesetzes, das das Schweizer Stimmvolk vergangenen Sommer verabschiedet hat. Werden die Projekte realisiert, lösen sich zwar nicht alle Stromprobleme in Luft auf. Doch gäbe es dank höheren und zum Teil neuen Staumauern deutlich grössere Wasserreserven, mit denen im Winter dringend benötigter Strom erzeugt werden könnte.

Auf die Volksabstimmung folgte postwendend die Ernüchterung. Lokale Natur- und Landschaftsschutzverbände wie der Grimselverein und Aqua Viva sowie die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SLS) kündigten an, den Ausbau der Wasserkraft an der Trift, am Grimsel sowie unterhalb des Gornergletschers mit Beschwerden zu bekämpfen – diese drei Projekte allein würden zwei Drittel des im Stromgesetz geforderten zusätzlichen Winterstroms liefern. Die ambitionierten Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren drohten damit in weite Ferne zu rücken. Das bewog den Ständerat dazu, die Schrauben bei den Umweltorganisationen anzuziehen.

Aqua Viva bewegt sich

Der Druck zeigt nun offenbar Wirkung: Am vergangenen Freitag veröffentlichte Aqua Viva eine Medienmitteilung, in der die Organisation in Aussicht stellte, ihre Beschwerde gegen das neue Wasserkraftwerk im Berner Triftgebiet zurückzuziehen. Der geplante Stausee werde «eine unberührte Berglandschaft mit intakten Auen, sprudelnden Bergbächen und bedrohten Arten zerstören», erklärt darin Präsidentin Martina Munz, die bis letztes Jahr für die SP im Nationalrat sass. Dennoch sei man «gegenüber der Politik kompromissbereit, um noch grösseren Schaden für die Natur im ganzen Lande abzuwenden und die gesetzlichen Grundlagen zu schützen».

Ebenfalls signalisierte SLS-Präsident Kurt Fluri in einem Gespräch mit Bundesrat Albert Rösti, die Fundamentalopposition gegen das Gornerli-Projekt oberhalb von Zermatt aufzugeben. Fluri sei bereit, im Stiftungsrat über eine Mitarbeit in einer Begleitgruppe des Projekts zu diskutieren, gab Rösti im Parlament am Mittwoch bekannt.

Die Natur- und Landschaftsschützer knüpfen die Aufgabe des Widerstands gegen den Ausbau der Wasserkraft allerdings an Bedingungen. Statt dass das Verbandsbeschwerderecht ganz gekippt wird, fordern sie, dass ein Kompromissvorschlag zum Zug kommt: Bei den Projekten des runden Tisches soll es künftig mindestens drei national tätige Verbände brauchen, um eine Beschwerde einzureichen.

Zudem verlangen die Umweltorganisationen, dass die bestehenden Ersatz- und Ausgleichsmassnahmen erhalten bleiben. Mit ihnen müssen die Bauherren einen angemessenen Ersatz leisten, wenn aufgrund des Kraftwerks schützenswerte Lebensräume in Mitleidenschaft gezogen werden. Der Ständerat hatte entschieden, auch diese Pflicht zu streichen. Fortan sollte es genügen, dass die Bauherren eine Abgabe leisten, mit der die Kantone dann die Ersatzmassnahmen realisieren könnten, das Verursacherprinzip würde damit ausgehebelt.

Der Nationalrat ging am Dienstag nur halbwegs auf die Forderungen der Natur- und Landschaftsschützer ein. So sprach sich die grosse Kammer beim Verbandsbeschwerderecht für den Kompromissvorschlag aus. Allerdings blieb der Nationalrat beim ständerätlichen Beschluss, dass Schutzgebiete, die dem Bau von Energieanlagen zum Opfer fallen, nicht zwingend ersetzt werden müssen – und stattdessen mit einer Zahlung abgegolten werden können.

Die Änderung bei den Ersatzmassnahmen war davor von der Konferenz der kantonalen Umweltdirektoren (BPUK) scharf kritisiert worden. Man lehne diese Lockerung des Umweltschutzes einstimmig ab, hiess es in einem Brief der Kantone an die vorberatende Kommission. Mit der Neuregelung könnten Bauherren die Umsetzung von Ausgleichs- und Ersatzmassnahmen erkaufen.

Beschleunigungsvorlage bleibt absturzgefährdet

SP und Grünen reicht das nicht: Sie drohten im Rat offen mit einem Referendum, wenn nicht auch bei den Ersatzmassnahmen der Status quo erhalten bleibe. Kommt es so weit, droht in der Energiepolitik ein Scherbenhaufen: Die Beschwerden der Umweltverbände werden nicht zurückgezogen, zugleich könnte die vorgesehene Beschleunigung der Verfahren abstürzen.

Dass ein Referendum intakte Erfolgschancen haben könnte, zeigte sich gestern im Parlament: Röstis eigene Partei stimmte geschlossen gegen den Beschleunigungserlass; vor allem, weil sie keine Einschränkung der Mitsprache der lokalen Bevölkerung beim Bau von Solar- und Windanlagen akzeptiert. Kommt es zu einem Pakt mit der Linken, dürfte es die Vorlage an der Urne schwer haben.

Das weiss auch Albert Rösti. In der letzten Volksabstimmung über das Verbandsbeschwerderecht im Jahr 2008 sprachen sich zwei Drittel der Stimmenden gegen seine Aufhebung aus. «Ich wäre erstaunt, wenn das heute mehrheitsfähig ist», sagte er im Rat. Das Geschäft geht nun zurück an den Ständerat. Er hat es in der Hand, die Beschleunigungsvorlage noch zu retten.

Exit mobile version