Samstag, Januar 11

Bordeaux ist das grösste klassizistische Ensemble der Welt, erbaut aus ockerfarbenem Sandstein. Jüngst hat sich die Stadt im Epizentrum der Weinkultur herausgeputzt und sich mit dem Museum Cité du Vin einen architektonischen Leuchtturm geschaffen. Wie gelang dieser Coup?

Ohne klare Vision eröffnet an dieser Lage niemand ein luxuriöses Lifestyle-Hotel. Das Chartrons-Viertel ist noch nicht so richtig vom ambitionierten Stadtentwicklungsprojekt Bordeaux 2030 erfasst, und statt Aussicht gibt es eine Strassenkreuzung am unscheinbaren, doch immerhin platanengesäumten Cours du Médoc vor der Haustür. «Der Reiz lag darin, das nahezu vergessene Areal um das ikonische Gebäude wiederzubeleben», sagt Philippe Starck. Der weltbekannte Designer hat das im Frühjahr eröffnete Hotel Mondrian Bordeaux Les Carmes im Auftrag des einheimischen Immobilienentwicklers Patrice Pichet entworfen.

Der Bau mit der zinnenbewehrten Fassade von 1871 diente ein Jahrhundert lang als Weinkeller und Weinhandelshaus des renommierten Château Les Carmes Haut-Brion, eines der wenigen Weingüter auf Stadtgebiet. Ein Brand in den 1960er Jahren zerstörte die Keller, und das Anwesen fiel in einen Dornröschenschlaf. Entstanden ist nun etwas aufregend Neues, das mit moderner Architektur die neogotische Originalsubstanz gelungen kontrastiert und mit viel Backstein, viel Holz und natürlichen Materialien die Noblesse des Wertigen verbreitet.

Das Erdgeschoss ist das Reich des japanischen Küchenchefs Masaharu Morimoto, dessen «Fusion Cuisine» aus regionalen Ressourcen für glückliche Gäste sorgt. Ebenfalls im Parterre befindet sich ein kleines Spa mit Hallenbad. Das «Mondrian Les Carmes» ist eine zeitgemässe, zauberhafte Stadtoase, welche die Strahlkraft hat, den noch etwas vernachlässigten Bezirk ins 21. Jahrhundert zu katapultieren.

Im 21. Jahrhundert angekommen

Es bedurfte intensiver Diskussionen mit der Denkmalpflege, bevor die Baukommission das Hotel und damit die Neuausrichtung des Chartrons-Viertels abgesegnet hatte. Doch passt es punktgenau zum umfassenden Transformations- und Modernisierungsplan der Stadt, der Bordeaux attraktiver, lebenswerter sowie wirtschaftlich und ökologisch nachhaltiger machen will. Viel, sehr viel ist bereits umgesetzt. So hat sich praktisch das gesamte historische Zentrum, das sich über rund 1800 Hektaren erstreckt und zum Unesco-Welterbe gehört, einer Verjüngungskur von monumentalen Ausmassen unterzogen. Dazu gehört auch der Hafenbereich Port de la Lune, dessen Name sich von der mondförmigen Krümmung des Flusses Garonne ableitet.

Obwohl noch 45 Kilometer vom Atlantik entfernt, sind Wasser und Schifffahrt hier allgegenwärtig: Die Uferpromenaden, Fischerboote und Jachten verhelfen Bordeaux zu einer wunderbaren Kulisse. Die gut erhaltenen Plätze, Strassenzüge und Gebäude aus verschiedenen Epochen, insbesondere aus dem 18. und 19. Jahrhundert, strahlen Heiterkeit und Eleganz aus. Das Grand Théâtre zählt zu den herausragenden Opernhäusern des Landes, und der Ruf der Weinmetropole als «La Belle endormie», die schlafende Schöne, ist definitiv abgelegt. Das sollte man sich ansehen!

An der Place de la Bourse am Flussufer führt kein Weg vorbei. Hier fasziniert der Miroir d’Eau, dessen zwei Zentimeter hoher Wasserspiegel auf einer riesigen Granitplattenfläche die prächtigen Häuserfassaden spiegelt. Alle 20 Minuten lassen 900 Düsen einen mannshohen Sprühnebel aufsteigen. Gross und Klein watet – vorzugsweise barfuss – mit nicht nachlassender Begeisterung durch diese «schönste Pfütze der Welt». Das unentwegte Schauspiel überblickt man von der Restaurantterrasse des «Gabriel» gleich vis-à-vis dem Wasserspiegel.

Ein paar Schritte weiter, an der Place de la Comédie, bietet die Brasserie Le Quatrième Mur eine imponierende gastronomische Inszenierung. Einfach und gut ist die Brasserie Bordelaise im Gassengewirr der autofreien Innenstadt. Und wer sich in die hiesigen Weine vertiefen will, kann dies nirgends besser tun als in der Bar à Vin in der Maison du Vin de Bordeaux (dem regionalen Weinrat) hinter der Oper – hier werden stets 30 wechselnde Topgewächse glasweise ausgeschenkt, begleitet von Käse, Trockenfleisch oder Schokolade.

Vieles an Bordeaux erinnert atmosphärisch an Paris, nur ist die Hauptstadt des Départements Gironde mit 260 000 Einwohnerinnen und Einwohnern rund neunmal kleiner als die französische Kapitale. Und das Lebensgefühl ist deutlich gelassener. Anders als an der Seine tragen die Bordelaiser meistens ein entgegenkommendes «Mais oui!» auf den Lippen.

In den Einkaufsstrassen rund um die Fussgängerzone Rue Sainte-Catherine fallen neben den üblichen Modeboutiquen viele genussorientierte Läden wie die Fromagerie Deruelle und die Weinhandlung L’Intendant auf. Letztere lohnt allein wegen der zwölf Meter hohen Wendeltreppe, entlang der Tausende von Château-Flaschen aus allen Bordeaux-Appellationen gelagert sind, einen Abstecher. Ein wahrzeichenhafter Magnet der Stadt setzt ebenfalls auf vinophile Erfahrungen: Die gestalterisch kühn geschwungene Cité du Vin im zuvor berüchtigten Hafenviertel Bacalan führt die Besucherinnen und Besucher auf acht Etagen an verschiedenste Aspekte des Weins heran – als Pflanze, Lebensmittel, Kulturgut, Handelsware und Kultobjekt. Der vor acht Jahren eröffnete Weintempel und Erlebnispark verzichtet auf lokalpatriotische Selbstdarstellungen und ist alles andere als eine «Notlösung» für Regentage.

Inzwischen haben sich auch die Wogen bei den alteingesessenen Traditionalisten geglättet, die für das Bauwerk lange nur ungläubiges Kopfschütteln übrighatten. Heute wird die Cité du Vin eher als das Guggenheim von Bordeaux gefeiert und unisono als Symbol der zukunftsweisenden Entwicklung betrachtet, das jährlich mehrere hunderttausend Touristen anzieht und auch der benachbarten Markthalle Les Halles de Bacalan viel Publikum beschwert.

Woke Auszeichnung erhalten

Seit 2022 darf sich Bordeaux «Hauptstadt für smarten Tourismus» nennen – eine Auszeichnung, welche die Europäische Union bereits an Helsinki, Göteborg, Sevilla und Dublin verliehen hat. Prämiert werden Städte, die sich besonders für Klimaschutz engagieren, möglichst inklusiv sind, das kulturelle Erbe zeitgemäss vermitteln und innovative Ideen vorantreiben. Um zu verstehen, was smarter Tourismus wirklich ist, trifft man am besten Philippe Barre, den Gründer von «Darwin». Aus einem brachliegenden Kasernengelände an der Rive droite, dem wenig beachteten rechten Ufer der Garonne, machte der Tausendsassa ein «hybrides, multidimensionales Ökosystem» mit Hunderten von Co-Working- Spaces, Skatepark, Bio-Restaurants und urbanem Bauernhof sowie regelmässigen Konzerten und Events. «Wenn Sie hierherkommen, sind Sie in einer anderen Welt, in der man inspiriert leben und geniessen kann und dabei nicht über umweltkritische Dinge hinwegsehen muss», erklärt Barre.

Hier finden Sie weitere Tipps:

Smart an Bordeaux ist auch die Möglichkeit, im Nu mit dem Regionalzug in schönster Natur zu sein. So ist man innert 50 Minuten am Bassin d’Arcachon an der Atlantikküste. Hier kann man die höchste Wanderdüne Europas erklimmen. Oder man gelangt innert 30 Minuten zum mittelalterlichen Dorf Saint-Émilion im Herzen des weitgehend unversehrt gebliebenen Weinbaugebiets. Auch die Velowege sind gut genug ausgebaut, um auf einen Mietwagen verzichten zu können: Auf zwei Rädern radelt man bequem durch die Stadt und mit etwas Sportsgeist auch bis ans Meer, etwa zur Halbinsel Cap Ferret.

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