Die EU wollte den Straftatbestand der Vergewaltigung einheitlich regeln. Sex sollte nur noch als einvernehmlich gelten, wenn die Beteiligten zuvor eindeutig zugestimmt haben. Doch das Vorhaben ist an der deutschen Bundesregierung und anderen Mitgliedsländern gescheitert.

Mit seiner ablehnenden Haltung hat Deutschland dazu beigetragen, dass eine Verschärfung des Sexualstrafrechts in der Europäischen Union gescheitert ist. Zwar einigten sich die Mitgliedsländer und das EU-Parlament am Dienstag in Strassburg auf eine Richtlinie für den Schutz von Opfern sexualisierter Gewalt und härtere Strafen für Täter. Auf eine gemeinsame Definition von Vergewaltigung und damit auch deren Bestrafung konnten sich die Mitgliedsstaaten aufgrund des Neins mehrerer Länder, darunter Deutschland, jedoch nicht verständigen.

In der EU existiert bisher keine einheitliche Regelung, wann genau eine Vergewaltigung vorliegt und wie sie zu bestrafen ist. Im Grunde ist die Union hier dreigeteilt. So wird in elf Ländern von Opfern der Nachweis erwartet, dass ihnen Gewalt angetan oder angedroht wurde. Dazu zählen die Mehrheit der osteuropäischen Staaten sowie Frankreich und Italien. Ein einfaches «Nein» reicht dort nicht aus, um den Tatbestand der Vergewaltigung zu erfüllen.

Dann gibt es zahlreiche Staaten, in denen der Grundsatz «Ja heisst Ja» gilt. Dort könnte Sex dem Tatbestand der Vergewaltigung entsprechen, wenn nicht zuvor alle Beteiligte eindeutige Zustimmung signalisiert haben. Die Regelung wird etwa in Schweden und Finnland, Belgien, den Niederlanden, Spanien und Slowenien angewendet.

Grundsatz «Nein heisst Nein» gilt seit 2016

In Deutschland hingegen gilt «Nein heisst Nein»: Diesen Grundsatz hatte die damalige Bundesregierung im Jahr 2016 ins Gesetz aufgenommen. Seitdem zählt nicht nur als Straftat, Sex mit Gewalt zu erzwingen. Auch sexuelle Handlungen, die gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person vorgenommen werden, können mit einer Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und fünf Jahren geahndet werden. Der Bundestag hatte die Verschärfung des entsprechenden Paragrafen 177 im Strafgesetzbuch damals einstimmig beschlossen.

Seitdem braucht die Ablehnung jeder sexuellen Handlung keine Worte mehr, sondern kann auch durch eindeutige Signale zum Ausdruck gebracht werden. Dazu zählen etwa Weinen, Wegdrehen oder jemanden wegstossen. Als Nein gilt auch, wenn jemand gar nicht ausdrücken kann, was er will, etwa weil er schläft oder unter Drogeneinfluss steht.

Je nach Situation kann auch ein Kuss als sexuelle Handlung gelten. Zudem ist in Deutschland seit sieben Jahren auch das «Stealthing» strafbar. Dabei handelt es sich um Geschlechtsverkehr, bei dem das Kondom heimlich abgezogen wird. In der Schweiz wertet das Sexualstrafrecht zudem die Schockstarre («Freezing») als klares Zeichen der Ablehnung.

Offener Brief von mehr als 150 prominenten Frauen

Das EU-Parlament wollte nun aber über die in Deutschland geltende Regelung hinausgehen. Es plante eine Regelung, wonach jeder sexuellen Handlung zugestimmt werden müsse. Das entspräche dem Grundsatz «Ja heisst Ja». Im Dezember hatten mehr als 150 Frauen, darunter Prominente wie die Schauspielerinnen Andrea Sawatzki und Maria Furtwängler, die frühere Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und die Fernsehmoderatorin Frauke Ludowig, den deutschen Justizminister Marco Buschmann von der liberalen FDP in einem offenen Brief aufgefordert, dem EU-Entwurf zuzustimmen.

Noch nie habe es einen solchen Gesetzesentwurf zum besseren Schutz von Frauen vor männlicher Gewalt gegeben, heisst es in dem Schreiben. Jeden Tag würden in Europa zwischen sechs und sieben Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Das seien 2300 tote Frauen jährlich, und dies sei nur die offizielle Schätzung der UN. Ausserdem, so argumentieren die Unterzeichnerinnen, würden jedes Jahr 1,5 Millionen Frauen «laut einer Schätzung auf Basis von EU-Daten» vergewaltigt. Im Schnitt habe in der EU schon jede zweite Frau sexuelle Belästigung und jede dritte Frau sexualisierte oder körperliche Gewalt erfahren.

Die Unterzeichnerinnen äusserten in ihrem Brief die Sorge, dass für den Fall, dass der Straftatbestand der Vergewaltigung nicht in die Richtlinie aufgenommen werde, eine Chance vertan werde. Denn dann drohe «dieser historische Schritt hin zu effektivem Schutz für Frauen in der EU in den nächsten Jahren noch viel weiter in die Ferne» zu rücken, da mit der anstehenden Europawahl ein signifikanter Rechtsruck zu befürchten sei. Umfragen in den 27 EU-Mitgliedsstaaten zeigten, dass radikal rechte Parteien in mehreren Ländern, darunter Österreich, Frankreich und Polen, voraussichtlich an erster Stelle landeten. Viele dieser Parteien verfolgten eine «explizit antifeministische Politik». Frauenrechte seien «mit die ersten Opfer rechter Politik», heisst es.

Justizminister: EU überschreitet ihre Kompetenzen

Buschmanns Ressort ist in der Ampel-Regierung für die Richtlinie zuständig. Der Liberale hatte sich jedoch schon vor Monaten gegen den entsprechenden Vergewaltigungspassus in der EU-Richtlinie ausgesprochen und argumentierte dabei rein juristisch. Es bestünden erhebliche Zweifel daran, dass die EU überhaupt die erforderliche Kompetenz besitze, einheitliche Standards für den Tatbestand der Vergewaltigung festzulegen, lautete die Begründung. Das Strafrecht fällt in die Kernkompetenz der Mitgliedsstaaten. Weil neben Deutschland auch andere Länder Bedenken vorbrachten, fiel die Regelung in Strassburg durch.

Nach Aussage von Frances Fitzgerald, der aus Irland stammenden stellvertretenden Vorsitzenden der konservativen EVP-Fraktion und eine der Verhandlungsführerinnen im EU-Parlament, bildete die Harmonisierung der Definition von Vergewaltigung den Kern der neuen Richtlinie. Mit der am Dienstag beschlossenen Regelung haben sich die EU-Staaten nun zumindest aber auf eine einheitlich schärfere Ahndung sexueller und häuslicher Gewalt in anderen Bereichen verständigt. Cyber-Stalking, Zwangsheirat, weibliche Genitalverstümmelung oder das Weiterverschicken intimer Bilder ohne Einverständnis sollen künftig in allen EU-Staaten unter Strafe stehen. Diese neuen Vorgaben müssen noch vom EU-Parlament und den einzelnen Staaten abgesegnet werden.

Das Bundesjustizministerium wollte sich bis zum Mittag nicht äussern. Minister Buschmann hatte in der «Tagesschau» am Dienstagabend noch einmal seine bekannten Argumente wiederholt. Danach überschreite die EU ihre Kompetenzen, wenn sie den Tatbestand der Vergewaltigung EU-weit angleiche. Das könne man bedauern und er könne auch verstehen, dass sich Menschen etwas anderes wünschten, sagte Buschmann. Aber das europäische Primärrecht sei nun mal so wie es sei.

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