Montag, November 25

Mark Schneider geht, Laurent Freixe kommt: Der Nahrungsmittelkonzern wechselt innerhalb weniger Tage den CEO aus. Der Neue soll sich auf die Kernkompetenzen und die Marktführerschaft fokussieren.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Allen Schwierigkeiten und dem schwindenden Vertrauen an der Börse zu Trotz, einen derart abrupten Abgang von Mark Schneider als CEO von Nestlé habe ich nicht erwartet. Die öffentliche Beurteilung der Meldung vom Donnerstagabend steht mit der Eröffnung der Börse morgen früh noch aus, doch klar ist jetzt schon: Sie dürfte für mächtig Bewegung sorgen und einige Fragen aufwerfen.

Mark Schneider verlässt Nestlé nach fast acht Jahren an der Unternehmensspitze – per Ende August. Schon in rund einer Woche wird an seiner Stelle Laurent Freixe übernehmen. Der 62-Jährige leitet derzeit die Zone (Region) Lateinamerika (Latam) beim weltgrössten Nahrungsmittelkonzern. Er wird gleichzeitig, wie schon Schneider damals, als Mitglied des Verwaltungsrats vorgeschlagen.

Nichts deutet im heute publizierten Communiqué darauf hin, dass in den vergangenen Woche etwas Spezifisches vorgefallen ist; der Konzern verzichtet auf die üblichen Floskeln wie «aus persönlichen Gründen» oder «in gegenseitigem Einverständnis». Das lässt die Botschaft umso ehrlicher und stärker wirken: Präsident Paul Bulcke und der Rest des Verwaltungsrats – dem auch Schneider angehört – sind wohl gemeinsam zum Schluss gekommen, dass es das Beste für Nestlé ist, wenn jemand Neues übernimmt. Es ist eine Flucht nach vorne.

Schneider verlässt Nestlé in einem schwierigen Moment, der Konzern verfehlte die Erwartungen in den vergangenen Monaten gleich mehrfach. Nach den inflationsbedingten Verwerfungen der vergangenen zwei Jahre schien er nicht zum Wachstum zurückzufinden. Auch der bei Investoren zuvor sehr beliebte CEO musste sich zuletzt vermehrt Kritik anhören, von extern – und wie höre auch intern. Er enttäuschte bei der Kommunikation, schien die Ausstrahlung und den Elan der ersten Jahre eingebüsst zu haben.

Die deutlichste Sprache aber spricht der Aktienmarkt: Seit Anfang 2022 haben die Nestlé-Titel mehr als 30% an Wert verloren.

Freixe soll mehr Nähe schaffen

Von Freixe erhofft sich der Konzern wohl mehr Nähe: Mehr Nähe zu den Märkten, mehr Nähe zur Kundschaft, aber auch mehr Nähe zu den Mitarbeitenden. Unter ihm soll sich Nestlé zurück auf die Kernkompetenzen besinnen und mit starken Marken Marktanteile und gar die Marktführerschaft (zurück)gewinnen. Der Franzose arbeitet seit 38 Jahren für das Unternehmen, 16 davon ist er Mitglied der Geschäftsleitung. Als erfahrener Marktchef und regionaler Leiter bringt er nicht nur das Verständnis für die vielen Einzelmärkte, aber auch für die Komplexität von Nestlés Zonen und Kategorien, sowie für die wichtigsten Produkte mit. Er soll im Konzern zudem stark vernetzt sein.

So wird VR-Präsident Bulcke zitiert:

«Ich kenne Laurent seit vielen Jahren und schätze ihn sehr als eine begabte Führungspersönlichkeit mit strategischem Scharfsinn, weitreichender Erfahrung und Expertise in unseren Märkten sowie einem tiefgehenden Verständnis für Märkte und Konsumenten. Er hat bewiesen, dass er in der Lage ist, unter schwierigen Marktbedingungen Ergebnisse zu liefern.»

Zu Freixes Rezept, «unter schwierigen Marktbedingungen Ergebnisse zu liefern», soll auch ein fokussierter Blick auf die Kostenseite gehören.

Was Freixe auf den ersten Blick nicht bringt: frischen Wind.

Die Wirkung von Schneider ist verpufft

Nestlé sucht dieses Mal nach einem anderen Rezept, um aus der Krise zu finden als vor rund acht Jahren. Mit Mark Schneider hatte man im Juni 2016 zum ersten Mal in fast hundert Jahren einen externen CEO angekündigt, noch dazu einer, der seine bisherige Karriere nicht in der Nahrungsmittelindustrie verbracht hatte. Dafür sollte der damals 50-Jährige – im Vergleich zu Freixe: junge – vormalige Chef des deutschen Gesundheitskonzerns Fresenius das Portfolio bereinigen, Fusionen und Übernahmen anstreben und nicht zuletzt die Gesundheitsstrategie von Nestlé vorantreiben.

Der Impuls kam an. Unter Schneider gelang Nestlé zunächst eine beeindruckende Trendwende. Als der Deutsche im Januar 2017 von Paul Bulcke das Amt des CEO übernahm, steckte der Konzern in der Wachstumsdepression. Dank schneller organisatorischer und personeller Massnahmen, Veränderungen auf Produktebene, der Beschleunigung der Entwicklung und einiger Devestitionen brachte er die davor so träge scheinende Nestlé schneller als erwartet auf den Erfolgsweg zurück. Als die Covid-Pandemie Anfang 2020 die weltweiten Konsummuster auf den Kopf stellte, präsentierte sich Nestlé in Topform.

Doch von da an folgte eine Krise auf die andere: der Lockdown in China, global gestörte Lieferketten und rekordhohe Inflationsraten in den Industrieländern. Nestlé blieb oft nur noch übrig, auf die jüngsten Veränderungen zu reagieren; sie büsste die Rolle der Akteurin ein. Die Kundschaft griff derweil zunehmend zu günstigeren Produkten. Hinzu kam, dass der zweite Teil der angestossenen Restrukturierung deutlich harziger verlief als der erste. Nachdem der Konzern bis Ende 2020 bereits rund 18% des Produktangebots hauptsächlich durch Verkäufe erfolgreich verändert hatte, verfehlten die Akquisitionen die erhoffte transformierende Wirkung. Schneiders Energie verpuffte.

Stellvertretend dafür steht die Übernahme von Palforzia: Nestlé hatte das Erdnussallergiemittel 2020 für rund 2,6 Mrd. $ übernommen, bereits zwei Jahre darauf musste der Konzern eine Wertberichtigung von 1,9 Mrd. $ auf dem Geschäft vornehmen, 2023 wurde es schliesslich an das Biopharma-Unternehmen Stallergenes Greer verkauft.

Marktanteile müssen rauf, Kosten runter

Schneider blieb auch in der Krise bei vielen Investoren sehr geschätzt. Zuletzt dürfte er zwar erheblich an Rückhalt eingebüsst haben. Gut möglich auch, dass Nestlé mit dem Entscheid zur personellen Veränderung an der Spitze auch die Flucht nach vorne ergriffen hat, um nicht, wie so einige andere Unternehmen in der Branche, Ziel eines aktivistischen Investors zu werden. Ich glaube aber nicht, dass die heutige Ankündigung reicht, damit der Negativtrend der Aktien gebrochen werden kann – selbst wenn die Börse morgen kurzfristig aufatmen sollte.

Die Arbeit für den Aufwärtstrend beginnt erst. Die Vorgaben für Laurent Freixe sind klar: Marktanteile müssen her, die bestehenden Marken gestärkt und weiterentwickelt, die Kosten weiter gesenkt werden.

Freundlich grüsst im Namen von Mrs Market

Gabriella Hunter

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