Donnerstag, Juli 4

Der Markt glaubt dem Management des Nahrungsmittelkonzerns nicht, die neusten Innovationen verpuffen. Ausserdem: Aryzta könnte ihre teure Schuld bald los sein, und bei Lonza beginnt eine neue Ära.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Welche Tech-Aktie könnte am meisten vom Trend rund um künstliche Intelligenz (KI) profitieren, wenn Sie an die Schweizer Börse denken?

Technologieunternehmen sind hierzulande ohnehin rar, werden Sie sich wahrscheinlich denken. Aber klar, es gibt die Halbleiterzulieferer VAT, Inficon und Comet, die zuletzt stark vom Investitionsboom im Bereich KI profitierten. Und auch den Aktienkurs von Also bewegt die KI-Fantasie seit Anfang Jahr: Das Unternehmen bietet Applikationen, Datacenter- und Cyber-Security-Lösungen sowie IT-Hardware.

Bank of America hat in dieser Tech-Wüste einen anderen Schweizer Favoriten rund um das Thema künstliche Intelligenz: «In Anbetracht der geringen Bewertung von europäischen Aktien im Zusammenhang mit KI-Anwendungen für den Computer sollte Logitech unserer Meinung nach mit einem Aufschlag auf ihren historischen Median gehandelt werden.» Die Analysten bestätigen in der jüngsten Studie deshalb ihre Kaufempfehlung.

Tatsächlich haben sich die Aktien des Herstellers von Computerzubehör zuletzt gut geschlagen, seit dem Tief im Oktober 2023 hat sich ihr Wert verdoppelt.

Diese gute Performance gelang, obwohl der weltweite Computerabsatz stockt und sich die Aussichten kaum aufgehellt haben. KI soll da einen Ausweg bieten und das Geschäft dennoch beflügeln: Dank neuer Anwendungen wie etwa Copilot von Microsoft hofft die Hardwarebranche, dass mehr Geräte verkauft werden – sowohl Computer als eben auch Zubehör wie jenes von Logitech.

Das ist aus meiner Sicht aber eher ein Versprechen für die fernere Zukunft, definitiv über das laufende Geschäftsjahr 2024/25 (per Ende März) hinaus. Noch gibt es keine Anwendungen, die den PC-Markt auf den Kopf stellen. Und auch die Analysten von BofA relativieren ihre Prognose gleich: «Selbst ein bescheidener Anstieg bei Laptops und Tablets könnte Logitech helfen, mehr Mäuse, Tastaturen und Webcams an Endverbraucher zu verkaufen, obwohl wir zugeben müssen, dass die Visibilität in dieser Hinsicht zum jetzigen Zeitpunkt etwas begrenzt ist

Bei Logitech tut sich auch so einiges. Heute Dienstag hat das Unternehmen angekündigt, dass Präsidentin Wendy Becker an der Generalversammlung im September 2025 nicht mehr zur Wiederwahl antritt, sie gibt damit wohl auch dem Druck von Mitgründer und Grossaktionär Daniel Borel nach. Dieser hatte seit längerem Kritik an Becker geübt und in ihr die Hauptschuldige für den Zerfall des Aktienkurses gesehen. Er forderte zur diesjährigen GV zum wiederholten Mal ihre Absetzung und die Wahl von Guy Gecht zum Präsidenten, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg gestern meldete.

Der übrige Verwaltungsrat suche nun nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger für Becker. Bereits dieses Jahr soll die erst seit Dezember 2023 amtierende Chefin Hanneke Faber zusammen mit zwei erfahrenen Mitgliedern in den VR gewählt werden, Patrick Aebischer scheidet nach acht Jahren überzählig aus. Aus meiner Sicht sind die angekündigten Neuerungen im Verwaltungsrat eine Chance, dass nach den Unstimmigkeiten und einigen personellen Änderungen an der Spitze von Logitech Ruhe einkehrt.

Nestlé präsentiert bisheriges Angebot im GLP-1-Kleid

Apropos Boom, von einem solchen will auch Nestlé profitieren. Der Nahrungsmittelkonzern setzt verstärkt auf das Thema GLP-1 – und das sehr medienwirksam. Wie CEO Mark Schneider kürzlich in einem Interview mit der «Schweiz am Wochenende» betonte, werden Abnehmtherapien die Ernährungsgewohnheiten künftig noch stärker beeinflussen, da liege Nestlé mit ihren Nahrungsergänzungsmitteln und Proteinprodukten voll im Trend.

Die Therapie mit GLP-1-Medikamenten soll beispielsweise durch eine neue Plattform unterstützt werden, deren Lancierung das Unternehmen vergangene Woche bekanntgab. Die Produkte und Hilfsmittel zielen auf bekannte Nebeneffekte von Abnehmprodukten wie Muskelschwund, Darmprobleme und verminderte Mikronährstoffzufuhr sowie auf die Gewichtskontrolle. Bereits im Mai hatte Nestlé angekündigt, in den USA eine neue Nahrungsmittellinie unter dem Namen Vital Pursuit anzubieten – als Begleiter für Anwender von GLP-1-Medikamenten.

Bei genauerem Hinsehen macht Nestlé aber medial gerade das Beste aus dem, was sie ohnehin schon im Angebot hat. So bietet sie auf der neu lancierten Plattform lediglich bereits bestehende Produkte an. Und Vital Pursuit ist keine medizinische Nahrung im engeren Sinne. Es erfüllt schlicht die heute weit verbreiteten Regeln für eine gesunde Ernährung: viel Eiweiss, viel Vollkorn, vernünftige Portionen. Ob das die Innovation ist, die Nestlé in den nächsten Jahren beflügeln wird? Ich bezweifle es.

Anlegerinnen lassen die bisherigen Bemühungen denn auch kalt, so haben sie an der Börse kein Kursfeuerwerk gezündet. Im Gegenteil, die Aktien notieren beinahe auf Jahrestief, nachdem sie Ende Mai kurz Auftrieb verspürten.

Seit Bekanntgabe der Jahreszahlen Ende Februar sind die Erwartungen an den Gewinn im laufenden Jahr beinahe stetig gesunken.

Die getrübte Stimmung der Konsumenten in den USA hält an und die Erholung in Asien ist begrenzt. Das drückt wohl weiter auf die Aussichten, nachdem das erste Quartal enttäuschend ausgefallen war. Investoren und Analysten machen sich zunehmend Sorgen, dass Nestlé die Jahresziele – der Umsatz soll aus eigener Kraft ungeachtet der derzeitigen Schwäche um starke 4% zulegen und die operative Marge verbessert werden – trotz gegenteiliger Versprechen des Managements verfehlen könnte.

Dies, obschon sich an der Rhetorik des Unternehmens kaum etwas verändert hat. Im Interview vom Wochenende betonte CEO Schneider erneut, dass sich die Aussichten für das zweite Halbjahr aufhellen dürften. Viel wichtiger als blumige Werbung und schöne Worte wären für den Aktienmarkt harte Zahlen. Das gilt sowohl für den gesamten Konzern als im Besonderen eben auch für den Gesundheitsbereich. Nestlé muss das Vertrauen wiederherstellen. Am 25. Juli wird der Konzern das Halbjahresresultat vorlegen.

Refinanzierung der Aryzta-Hybridanleihe könnte Schub geben

Zu einer GLP-1-Diät passen die Schoggigipfeli von Aryzta nicht unbedingt. Die Produkte des Grossbäckers sind dennoch sehr gefragt, insbesondere Aufbackwaren versprechen profitables Wachstum. Mit dieser Story hat das Unternehmen um CEO und Präsident Urs Jordi die Trendwende geschafft: Das Unternehmen ist Quartal um Quartal im zweistelligen Prozentbereich gewachsen, das Portfolio wurde bereinigt, die Verschuldungsquote gesenkt. Die Betriebsgewinnmarge soll bis 2025 gute 14,5% erreichen.

Doch nun scheinen die ersten Anleger ungeduldig zu werden. Die Normalisierung des Wachstums weckt Zweifel, im ersten Quartal 2024 wurden die hohen Erwartungen verfehlt. Weiterhin unbekannt ist ausserdem, wer im neuen Jahr die Nachfolge von Jordi als CEO antritt, wenn sich dieser auf seine Rolle als VRP konzentrieren will. Und jetzt hat diese Woche auch noch der spanische Konkurrent Europastry seinen Börsengang abgesagt, offiziell wegen der schlechten Bedingungen am Aktienmarkt – aber was, wenn das ein Warnzeichen ist?

Auch an der Börse machen sich erste Zweifel bemerkbar, der Aktienkurs hat vom Höchst bei 1.82 Fr. Mitte Mai rund 10% verloren.

Vonseiten Aryztas gibt es bisher aber kaum Zeichen, die diese Zweifel stützen würden. Die operative Visibilität sei gut, für das zweite Halbjahr erwartet das Unternehmen weiteres Volumenwachstum, während es die Preise noch leicht erhöhen will, wie ich von Teilnehmenden der Stifel-Konferenz höre. Das Wachstumsziel für 2025 von 4,5 bis 5,5% (zu konstanten Wechselkursen) scheint mir nicht gefährdet.

Viel wichtiger aber: Das leidige und teure Thema Hybridanleihe ist hoffentlich bald beendet. Jordi treibt die Refinanzierung der beiden noch ausstehenden Hybridanleihen in Franken und Euro voran, am liebsten wäre ihm wohl, die Belastung auf einen Schlag loszuwerden. Per Ende 2023 waren noch 510 Mio. € ausstehend. Diese Anleihen kann Aryzta quartalsweise zu 100 zurückkaufen. Gegenwärtig notieren sie leicht darüber respektive darunter.

Damit würde das Unternehmen einen grossen Kostenpunkt los. Einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag kosteten die Zinszahlungen allein im Jahr 2023, es blieb noch ein Gewinn von fast 126 Mio. €. Und ich bin mir sicher, dass das Unternehmen nach der Rückzahlung der Hybridanleihen das Thema Dividende angehen will.

Vor diesem Hintergrund und angesichts struktureller Markttreiber wie etwa dem starken Nachfragewachstum im Segment Bake-off und der Konsolidierung im Sektor, von der grössere Player wie Aryzta profitieren, ist die jüngste Kursdelle aus meiner Sicht eine Einstiegsmöglichkeit.

Neuanfang, aber keine Neuausrichtung bei Lonza

Bei Lonza freuen sich die Mitarbeitenden gemäss meinen Informationen sehr, dass Wolfgang Wienand diese Woche sein Amt als CEO angetreten hat. Sie erhoffen sich von ihm mehr Präsenz als von seinem Vorgänger Pierre-Alain Ruffieux, der im September abrupt gehen musste. Intern wie extern wurde die Kommunikation kritisiert, das Unternehmen verfehlte im vergangenen Jahr die Erwartungen und musste zweimal eine Gewinnwarnung publizieren.

Kritik, die nicht zuletzt auch Albert Baehny zu tragen hatte, der bereits zum zweiten Mal neben seiner Funktion als Präsident ad interim die operative Führung übernommen hatte. Für viele markiert diese Woche deshalb gar einen Neuanfang bei Lonza nach der Ära Baehnys. Mit Verwaltungsratspräsident Jean-Marc Huët bildet Wienand nun das Führungsduo des Auftragsherstellers. Beobachter trauen dem 52-Jährigen, der vom Konkurrenten Siegfried kommt, eine straffere Führung zu. Die ersten Gespräche mit dem neuen CEO seien konstruktiv verlaufen, schreibt Citi-Analyst Vineet Agrawal in seinem jüngsten Bericht.

Das Geschäft muss aber nicht erst neu gezündet werden. Lonza profitierte bereits im ersten Halbjahr 2024 wieder von positiven Treibern. Mit der Übernahme der Produktionsstätte der Genentech-Produktionsanlage in Vacaville, Kalifornien für 1,2 Mrd. $ gelang ihr gar ein Coup. Der Auftragsfertiger wird die Anlage, eine der grössten für Biologika weltweit, deutlich besser auslasten können als Vorbesitzerin Roche und damit seine Produktionskapazität signifikant erhöhen.

Obwohl der Deal laut Lonza erst im vierten Quartal abgeschlossen wird, gebe es schon erstes Kundeninteresse und mögliche Produkte, die in Vacaville produziert werden sollen, höre ich aus dem Umfeld des Unternehmens. Kommentieren will eine Sprecherin das nicht. Wann die Produktion ausgelastet sein wird, könne man heute auch noch nicht genau sagen, man gehe aber davon aus, dass die Produktionsspitze in den frühen 2030er Jahren erreicht werde. Die Unternehmensführung zeigte sich aber bei früheren Auftritten zuversichtlich, die Auslastung von anfänglich 30% schnell steigern zu können. Klar ist: Die USA bieten als weltgrösster Markt für Medikamente ein sehr grosses Potenzial.

Dies spiegelt sich auch in den Aktien, die bis Anfang April fast 60% an Wert gewonnen hatten, zuletzt aber etwas konsolidierten.

Lonzas Marktposition ist schon heute sehr gut: Sie arbeitet mit 95% der fünfzig weltweit grössten Pharmaunternehmen zusammen und verfügt über Produktionsstätten in den USA, in Europa und in Asien, die sie flexibel hochfahren kann. Schnelles Wachstum ist für die kommenden Jahre so gut wie gesichert.

Wienand übernimmt damit nach dem schwierigen 2023 und dem Ende der Partnerschaft mit Impfstoffhersteller Moderna in einer deutlich verbesserten Ausgangslage. Strukturelle Treiber wie etwa der Trend zur Auslagerung der Medikamentenherstellung und dem allgemeinen Nachfragewachstum sind so stark, dass derzeit keine Neuausrichtung nötig ist. Im laufenden Jahr wird das Unternehmen wohl noch an den bisherigen Zielen gemessen werden, und diese sind aus meiner Sicht erreichbar. Erste Hinweise auf die Strategie des neuen CEO dürften an der Präsentation der Halbjahreszahlen am 25. Juli folgen.

Freundlich grüsst im Namen von Mrs Market

Gabriella Hunter

Exit mobile version