Freitag, Oktober 18

In einem schwierigen Konsumumfeld muss es dem Nahrungsmittelkonzern nicht nur gelingen, seine Marktposition zu verbessern und zu alter Stabilität zurückzufinden. Für den Vertrauensaufbau braucht es auch eine klare Kommunikation.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Nestlé hat eines der schwächsten Quartale der vergangenen zwanzig Jahre hinter sich. Die Zahlen für die Monate zwischen Juli und September sind durchs Band enttäuschend: Noch langsameres Wachstum, eine tiefere Marge, und selbst die bisherigen Wachstumstreiber Nespresso und Tiernahrung brachten keinen Schwung.

Der neue Mann an der Spitze des weltgrössten Lebensmittelkonzerns, Laurent Freixe, senkt die Prognose für das Gesamtjahr. Neu soll das organische Wachstum 2% betragen, zuletzt hatte es noch «mindestens 3%» geheissen, Anfang 2024 war Nestlé von 4% ausgegangen. Die bereinigte operative Gewinnmarge soll 17% erreichen, nach 17,3% im vergangenen Jahr. Die Revision kam nicht mehr überraschend, der Markt hatte schon im Vorfeld der Publikation der heutigen Zahlen nicht mehr an die Guidance geglaubt. Ausserdem kann Freixe damit die letzten hohen Erwartungen ausräumen und definitiv in die Ära nach seinem Ende August abgesetzten Vorgänger Mark Schneider starten.

Mit der heutigen Telefonkonferenz scheint es Freixe gar gelungen zu sein, einige Zweifel auszuräumen. Die Nestlé-Aktien erholten sich nach anfänglichen Abgaben am Donnerstagmorgen klar.

Was bereits bei der Ankündigung des CEO-Wechsels Ende August durchschimmerte, wird nun klarer: Laurent Freixe will Nestlé umgestalten, ja was die Führung angeht gar umbauen. Mehr Agilität und klarere Verantwortlichkeiten sind die Stichworte. Konkret bedeutet das, dass die Zahl der Regionen wieder von fünf auf drei verkleinert wird, Schlüsselfunktionen wie die Beauftragten für Digitalisierung und Nachhaltigkeit rapportieren neu direkt an den Chef, der Nespresso-CEO erhält Einsitz in der Geschäftsleitung. Dabei wird alles zentraler geführt: Die wichtigen Köpfe sollen sich künftig in Vevey einfinden.

Offensichtlich ist: Der neue CEO macht damit Massnahmen Schneiders rückgängig. Die eingesetzten Führungskräfte sind nicht wirklich neu, sondern alle – wie der Chef selbst – Nestlé-Urgesteine.

Nestlé muss zurück in die Einkaufskörbe der Kunden

Das allein wird nicht reichen, um den schlingernden Konzern auf Kurs zurückzubringen. Was jetzt zählt, ist die Umsetzung – und vor allem der Gewinn von Marktanteilen. Einige Massnahmen dafür waren schon unter Mark Schneider aufgegleist worden: Dank intensivierten Werbekampagnen und der Stärkung von Schlüsselmarken, der sogenannten Milliardenmarken, soll die Kundschaft im Laden wieder als erstes nach Nestlé-Produkten greifen. Freixe setzt punkto Forschung die Losung «fewer, bigger, better». Sprich, die Investitionen sollen erhöht, aber auf Kernbereiche fokussiert werden.

Dabei zählt zum einen der Geschmack, zum anderen aber eben auch der Preis. Die jüngsten Zahlen deuten darauf hin, dass Nestlé von weiteren starken Preiserhöhungen abgesehen hat – beziehungsweise absehen musste. Im dritten Quartal stiegen die Verkaufspreise konzernweit noch 0,6%, nach einem Plus von 2% im ersten Halbjahr.

Insbesondere die schwache Nachfrage im wichtigsten Einzelmarkt USA lastete auch auf den Volumen. Die dortigen Lebensmittelpreise sind im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie um mehr als ein Viertel gestiegen, die Menschen weichen auf günstigere Produkte aus – zum Beispiel auf Eigenmarken des Detailhandelsgiganten Walmart. Das spiegelt sich am Aktienmarkt.

Der Preiskampf hat sich intensiviert, die Detailhändler bauen ihre Lager zu Rabattpreisen ab. Nestlé, die bisher etwas abseits stand, um ihre Marge zu schützen, wird nicht umhinkommen, in einigen Bereichen von ihrer Premiumstrategie abzuweichen. Erschwinglichkeit ist das grosse Thema, nicht nur in den USA, sondern zunehmend auch in Europa.

Finanzchefin Anna Manz sieht für das vierte Quartal eine ähnliche Dynamik wie zuletzt. Das Konsumumfeld bleibe sehr schwierig, betonte auch Freixe. «Aber wenn der Kuchen schrumpft, müssen wir uns ein grösseres Stück davon abschneiden», betonte er am Donnerstag. Wie viel Platz daneben für die weitere Premiumisierung des Produktportfolios bleibt, wird sich weisen müssen.

Dass die Strategie der Fokussierung auf Kernmarken gelingen kann, zeigt sich am Beispiel von Kitkat. Der bald neunzigjährige Schokoladenriegel kommt auch dank neuer Geschmacksrichtungen und verbesserter Rezeptur sowie gezielten Marketingausgaben bei der Kundschaft wieder sehr gut an, der Umsatz ist zuletzt stark gewachsen. Diesen Erfolg würde Nestlé gerne mit anderen globalen und regionalen Marken wiederholen. Die Mittel für die nötigen Investitionen sollen dabei aus Effizienzverbesserungen und der Erhöhung der Produktivität stammen.

Das sorgte an der Telefonkonferenz für Aufatmen unter den Zuhörenden und wohl auch an der Börse. Auch wenn für 2025 zuerst höhere Kosten und einer niedrigere Betriebsgewinnmarge drohen, wie Finanzchefin Manz betonte, hoffen die Analysten bereits wieder, dass sich der langfristige Effekt auf die Profitabilität aus den angekündigten Wachstumsbemühungen in Grenzen halten wird. Auf Resonanz stiess wohl auch die Aussicht auf eine Bereinigung des Produktportfolios.

Die Frage, ob das gegenwärtige Markenportfolio in der heutigen Form mittel- bis langfristig zum Zielwachstum im mittleren einstelligen Prozentbereich führen kann, trieb die Analysten an der Telefonkonferenz am Donnerstagmorgen mitunter am meisten um. Das Wachstumsprofil bleibe dasselbe, bestätigte der CEO. «Es gibt aber natürlich Raum für Verbesserungen mit Blick auf das Portfolio», sagte Freixe. Er und Manz liessen durchblicken, dass rund um mögliche Devestitionen am Kapitalmarkttag vom 19. November Ankündigungen zu erwarten sind.

2025 wird für Nestlé ein entscheidendes Jahr

Daneben aber kamen von Freixe auch viele warme Worte. Er habe seit seinem Antritt Anfang September mit vielen Leuten – intern wie extern – geredet. Und er habe den Konzern wieder auf die strategischen Ziele ausgerichtet. Zu den Schlüsselfaktoren gehörten die Digitalisierung – «ein durchgängig vernetztes, intelligentes Unternehmen, angetrieben durch Daten und KI» – und die Nachhaltigkeit – «wir müssen sicherstellen, dass unsere Massnahmen und Investitionen eine sinnvolle Auswirkung haben».

2025 wird für Nestlé ein schwieriges und entscheidendes Jahr. Der Konzern ist in Bewegung, die Arbeit hat erst begonnen. Im besten Fall sind die Umwälzungen temporär und die höheren Ausgaben zahlen sich bald aus, doch es wird ein erheblicher Kraftakt in Vevey nötig sein. Denn neben dem schwierigen Konsumumfeld belastet auch das angeschlagene Vertrauen von Investorenseite. Dieses gilt es mit klarer Kommunikation aufzubauen. Für viele Beobachter ist nicht klar, wie beim defensiven Supertanker aus einem erwarteten organischen Wachstum von rund 4% Anfang Jahr nach neun Monaten lediglich noch 2% resultieren können.

Das Misstrauen spiegelt sich in der Bewertung. Die Aktien sind gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis von 17 für 2025 so günstig wie seit zehn Jahren nicht mehr. Dies selbst wenn die Gewinnschätzungen nach der heutigen Prognosesenkung erneut nach unten revidiert werden.

Das weckt Anlegerinteresse, auch meines. Am Donnerstag waren die Investoren denn auch zu einem ersten Versöhnungsschritt bereit. Den nächsten muss Nestlé am 19. November mit einer klaren Ansage machen.

Freundlich grüsst im Namen von Mrs Market

Gabriella Hunter

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