Dienstag, November 19

Der Nahrungsmittelkonzern präsentiert am mit Spannung erwarteten Kapitalmarkttag keine bahnbrechende Neuerungen, sondern betont den neuen Realismus mit Blick nach vorne. Die Neuorganisation des Wassergeschäfts kann die Stimmung an der Börse nur kurz heben.

Es ist keine bahnbrechend neue Strategie, die Nestlé am heutigen Dienstagmorgen vor Analysten und Journalistinnen in Vevey präsentiert. Der erste Kapitalmarkttag unter Laurent Freixe war nach den schwierigen letzten Monaten mit Spannung erwartet worden. Die Kernaussage des neuen CEO bleibt indes dieselbe wie an den bisherigen Auftritten während seinen achtzig Tagen im Amt. Der Nahrungsmittelkonzern soll stärker in die grossen Marken investieren und das Portfolio fokussieren, um zu alter Stärke zurückzufinden.

Damit soll mittelfristig ein organisches Wachstum von 4% resultieren – getrieben durch höhere Verkaufsvolumen. Das ist eine überraschend klare Reduktion gegenüber der bis eben noch geltenden Spanne «im mittleren einstelligen Prozentbereich», sprich 4 bis 6%, die der im August entlassenen Chef Mark Schneider lanciert hatte. Es ist aber wohl auch eine dringend notwendige Einkehr von Realismus in Vevey. Zuletzt war der Konzern – klammert man die starken Preiserhöhungen der vergangenen Jahre aus – rund 3 bis 4% gewachsen. Quartal um Quartal wurden die Ziele verpasst.

Weniger, dafür intensiver ist die Losung von Freixe. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklungen sollen in weniger, dafür grössere Projekte fliessen. Gegenwärtig lanciert der Konzern laut dem CEO noch gegen tausend neue Produkte jedes Jahr. Die Fokussierung gilt auch für die Werbe- und Marketingaktivitäten. Diese werden auf das Vorpandemieniveau erhöht, damit sollen sie künftig wieder 9% des Umsatzes ausmachen. In den vergangenen Jahren habe der Konzern hier rund 5 Mrd. Fr. gespart, 2022 lag der Umsatzanteil gerade noch bei unter 7%.

Die notwendigen Einsparungen sollen nun von anderswo stammen: Um diese Investitionen stemmen zu können, plant Nestlé ein Sparprogramm im Umfang von insgesamt 2,5 Mrd. Fr. bis Ende 2027. Das meiste davon soll aus Massnahmen in der Beschaffung stammen, ein grösseres Restrukturierungsprogramm ist laut Freixe nicht geplant. Dies zusätzlich zu den üblichen Einsparungen von rund 1 Mrd. Fr. im Jahr. Die mittelfristig angestrebte Profitabilität – eine bereinigte operative Marge von 17% – ist da nicht nur realistisch, sondern liest sich geradezu unambitioniert, auch wenn in gewissen Bereichen wie Kaffee die höheren Inputkosten eine Herausforderung bleiben.

Nestlés Wassergeschäft auf dem Weg zur Selbständigkeit?

Die meistbeachtete Nachricht am heutigen Kapitalmarkttag ist die stärkere Selbständigkeit des Wassergeschäfts. Die Aktivitäten sollen aus den geografischen Zonen herausgelöst und in eine eigene Geschäftseinheit überführt, aber weiterhin vollständig konsolidiert werden, ähnlich wie Nespresso. Eine noch stärkere Verselbständigung bis hin zum Verkauf, was sich viele Beobachter erhoffen, wird in der heutigen Medienmitteilung nicht erwähnt. Damit kommt der Konzern einem der dringenden Anliegen von Investorinnen und Analysten zumindest einen Schritt näher.

In den vergangenen Jahren war Nestlés Wassergeschäft stets so etwas wie das Sorgenkind – sowohl mit Blick auf das Wachstum als auch auf die Profitabilität. Unter dem damaligen CEO Schneider wurde Nestlé Waters per 1. Januar 2020 in die geografischen Zonen integriert. 2021 folgte mit dem Verkauf der lokalen US-Wassermarken der nächste Schritt. Der Konzern wollte sich fortan verstärkt auf die Entwicklung der globalen Premiummarken wie San Pellegrino, Aqua Panna und Perrier konzentrieren. Die Führung der lokalen Marken, etwa Henniez in der Schweiz, fiel an die Regionen.

Die Begründung damals: Die lokale Expertise sollte helfen, schneller auf sich verändernde Kundenbedürfnisse eingehen zu können. Realisiert hat sich diese Hoffnung offensichtlich nicht. Stattdessen sah sich der Konzern in der Schweiz (Henniez) und in Frankreich (Vittel) zusätzlich zum schwierigen Geschäftsumfeld mit Problemen wegen verunreinigtem und unerlaubt aufbereitetem Wasser konfrontiert. Und dann schwächelten auch noch die designierten Wachstumstreiber: die grossen Marken.

Als Vorbild für die künftige Entwicklung des Wassergeschäfts soll wohl Maison Perrier dienen: In den vergangenen Jahren hat Nestlé stark in die Weiterentwicklung der französischen Traditionsmarke investiert. Mit neuen Geschmacksrichtungen ohne Zucker schaffte diese zuletzt die Trendwende.

Damit macht Freixe einen weiteren Schritt von Schneider rückgängig. Und es scheint klar, was Nestlé mit der Ausgliederung bezwecken will: Das Wassergeschäft wird zur Schau gestellt, damit Optionen ausgelotet werden können. Eine Partnerschaft könnte laut Freixe ähnlich aussehen wie bei früheren Beispielen. Ein Teilverkauf etwa einer Marke wie Vittel oder ein Spin-off wären weitere Entwicklungsmöglichkeiten.

Rund dreissig Marken stehen im Fokus

Daneben bietet die Kommunikation am Dienstag mit Blick auf das Portfolio wenige Neuerungen, insbesondere werden Hoffnungen auf weitere strategische Anpassungen enttäuscht.

Die Stärkung der Kernmarken, wie sie Freixe wiederholt heraushebt, hatte schon unter Schneider begonnen – zum Beispiel erfolgreich mit Kitkat. Im gesamten Konzern hat das Management rund dreissig solcher Wachstumsmarken identifiziert, die gezielt gestärkt werden sollen. Das sind globale Marken in den Bereichen Tiernahrung und Kaffee, die in den letzten Jahren bereits im Fokus standen und massgeblich zur Wachstumsbeschleunigung in den Jahren 2020 und 2021 beigetragen haben. Hier gebe es auch organisch noch genug Wachstumsmöglichkeiten, ist der CEO sicher. Es sind sich aber auch regionale Flagschiffe, darunter die Säuglingsmilch von Nan oder die amerikanische Tiefkühllinie Stouffer’s.

Ausserdem hat das Management einige Problemzonen im Markenportfolio ausgemacht, die durch Investitionen weiterentwickelt werden sollen – auch hier gibt es keine wirklichen Überraschungen. Solche Nachhilfe brauchen neben dem Wassergeschäft etwa Nespresso in Westeuropa oder das Tiefkühlgeschäft in Nordamerika. Auch Creamers in den USA etwa soll dank Produktlancierungen vom Kaffeeaufschwung profitieren und wieder die Nummer eins werden.

Finanzchefin Anna Manz hält fest: «Wir haben kein Problem mit dem Portfolio.» Was es brauche sei eine stärkere Fokussierung und eine verbesserte Ausführung.

2025 wird ein Übergangsjahr, es fehlt die Fantasie

Das Kerngeschäft von Nestlé ist tatsächlich nicht nachhaltig beschädigt, wie man angesichts der Negativität im Markt in den vergangenen Monaten hätte befürchten können, aber es muss sich viel bewegen. Manz spricht aus, was am Dienstag neben dem fehlenden strategischen Befreiungsschlag wohl für am meisten Ernüchterung an der Börse sorgt: Das alles braucht Zeit. Die jetzt eingeleiteten Massnahmen würden sich erst in 18 bis 24 Monaten im Wachstum niederschlagen. Damit wird 2025 definitiv zum Übergangsjahr. Die Frage ist, was die Investoren darüber hinaus sehen.

Für 2025 nennt Nestlé wie erwartet keine konkreten Ziele, diese sollen mit Blick auf die Präsentation der Jahreszahlen am 13. Februar formuliert werden. Das Management erwartet aber eine Wachstumsbeschleunigung von den 2% im laufenden Jahr und wie bereits kommuniziert eine niedrigere Profitabilität. Wozu der Rückgang bei der bereinigten operativen Marge von eher weniger als 100 Basispunkten beitragen dürfte, für 2024 erwartet der Konzern 17%. Dies liegt wohl im Bereich der gegenwärtigen Erwartungen der Analysten.

Auch dass Finanzchefin Manz den Hoffnungen auf eine Fortsetzung des Aktienrückkaufs eine Absage erteilt, kommt vor dem Hintergrund der bereits hohen Verschuldung wenig überraschend. Mittelfristig soll das Verhältnis von Nettoschulden zu Ebitda dank verbesserter Cashgenerierung auf rund 2,5 sinken. Basierend auf der Gewinnschätzung für 2025 liegt die Kennzahl gegenwärtig eher bei 3 oder gar leicht darüber. Doch der Markt zeigte sich auch davon etwas ernüchtert. Immerhin will der Konzern an der progressiven Dividendenpolitik festhalten.

Insgesamt fehlt es am Kapitalmarkttag an Neuem, das Fantasie versprüht. Mit der Ankündigung einer massiven Werbekampagne für Coffee Mate am kommenden Super Bowl ist es aus Investorensicht nicht getan; das reicht nicht, um den negativen Trend an der Börse zu brechen.

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