Mittwoch, April 16

Nestlé hat Mineralwasser wie Perrier und Vittel jahrelang mit illegalen Methoden gereinigt. Die Anlagestiftung Ethos will nun dem Nestlé-Verwaltungsrat die Entlastung verweigern.

Nestlé ist in letzter Zeit wegen des abrupten Chefwechsels vom vergangenen Jahr in den Schlagzeilen gewesen. Doch nun treten wieder Sachfragen in den Vordergrund. Vor der Generalversammlung am Mittwoch holt ein Thema den Nahrungsmittelkonzern ein: das Wasser.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Die Schweizer Anlagestiftung Ethos kritisiert den Nestlé-Konzern für seinen Umgang mit dem Mineralwasser-Skandal in Frankreich. «Nestlé informiert ungenügend», erklärt der Ethos-Direktor Vincent Kaufmann im Gespräch. Der Konzern habe jahrelang illegale Behandlungsmethoden für Mineralwasser angewendet. «Aber weder im Jahresbericht 2024 noch im Nachhaltigkeitsbericht liefert Nestlé Informationen dazu, obwohl das Unternehmen im vergangenen Jahr eine Busse von zwei Millionen Euro bezahlt hat.»

Ethos empfehle deshalb, dass die Aktionärinnen und Aktionäre an der Generalversammlung dem Verwaltungsrat für das Jahr 2024 keine Entlastung erteilten. Damit blieben etwa Schadenersatzklagen möglich.

Illegale Methoden bei Perrier, Vittel und Henniez

Der Mineralwasser-Skandal hat hohe Wellen geworfen. Anfang 2024 wurde bekannt, dass Nestlé Waters bis 2022 Methoden wie Aktivkohlefilter, Mikrofiltration oder UV-Licht verwendet hatte, um Mineralwasser zu reinigen. Das passierte nicht nur bei Marken wie Perrier oder Vittel in Frankreich, sondern auch bei Henniez in der Schweiz.

Man habe so sicherstellen wollen, dass die Lebensmittel für die Konsumenten stets sicher gewesen seien, verteidigte sich Nestlé. Doch die Praktiken waren gegen das Gesetz: Wenn ein Produkt als «natürliches Mineralwasser» verkauft wird, darf es nicht behandelt werden, sondern es muss ursprünglich rein aus den unterirdischen Quellen in Flaschen abgefüllt werden.

Französische Politik wird aktiv

In Frankreich hat der Fall eine politische Dimension erreicht. Kritiker werfen Präsident Emmanuel Macron und seinem Umfeld vor, früh von den Vergehen gewusst, aber nichts unternommen zu haben. Der französische Senat hat eine Untersuchungskommission eingesetzt. Vor Gericht ist eine Klage der Organisation Foodwatch gegen Nestlé wegen mutmasslicher Täuschung von Konsumenten hängig.

Im Konflikt steht Nestlé auch mit lokalen Behörden. Seit der Konzern die illegalen Behandlungsmethoden nicht mehr anwendet, scheint es Probleme mit der Wasserqualität zu geben. Die Gesundheitsbehörde des Département Gard hat bei einer Untersuchung offenbar Keime im Wasser gefunden. In den nächsten Monaten wird sich entscheiden, ob die Behörde Nestlé die Bewilligung entzieht, das berühmte Perrier-Wasser in Südfrankreich weiterhin als «natürliches Mineralwasser» zu verkaufen. Nestlé hat versichert, man halte die gesetzlichen Vorgaben ein.

Welche Verantwortung trägt der Verwaltungsrat?

Die Schweizer Ethos-Stiftung stört, wie Nestlé mit dem Fall umgeht. «Nestlé hat mit seinem Wassergeschäft ein Glaubwürdigkeitsproblem», sagt Kaufmann. Die Aktionäre hätten ein Anrecht darauf, zu erfahren, wie gross dieses Problem sei. «Wir wollen wissen, wer verantwortlich war, was die Risiken für das Unternehmen sind und welche Massnahmen ergriffen wurden. Hat beispielsweise der Verwaltungsrat seine Verantwortung für die Überwachung der Geschäfte wahrgenommen?» Darüber müsse der Konzern transparent informieren.

Ein gewisser Sinneswandel scheint bei Nestlé indessen schon stattgefunden zu haben. Der Nestlé-Chef Laurent Freixe hat sich vor Wochenfrist einer Anhörung im Untersuchungsausschuss des französischen Senats gestellt. Freixe – selbst Franzose – sagte, Nestlé bedauere die Vorfälle zutiefst; diese seien nicht im Einklang mit den Werten des Konzerns gestanden. Gleichzeitig kündigte Freixe eine «interne Untersuchung in Frankreich» an. Die anwesenden Parlamentarier lobten, Freixe’ Auftritt zeige, dass Nestlé weniger defensiv agiere als früher.

Wassergeschäft als Fremdkörper im Konzern

Es geht auch kommerziell um viel. Nestlé hat sein Wassergeschäft jüngst in eine eigenständige Einheit ausgelagert und sucht jetzt nach Finanzinvestoren, die einen Teil der Sparte übernehmen. Das Wassergeschäft könnte dabei mit 5 Milliarden Euro bewertet werden. Doch manche Investoren üben sich womöglich in Zurückhaltung. «Wenn der Fall nicht aufgeklärt ist, könnte dies einen Einfluss auf den Verkaufspreis von Nestlé Waters haben», sagt der Ethos-Direktor Kaufmann.

Immer wieder wird spekuliert, dass Nestlé das Wassergeschäft mittelfristig ganz verkaufen könnte. Dies einerseits, weil das Wachstumspotenzial klein, die Marge gering und die öffentliche Kritik gross ist. Anderseits wirkt die Wassersparte zunehmend wie ein Fremdkörper im Konzern.

Der Firmenchef Freixe räumte bei der Anhörung vor dem französischen Senat ein, das Wassergeschäft sei «sehr verschieden» von Nestlés anderen Aktivitäten. Die Kernkompetenz des Unternehmens ist die Verarbeitung von Lebensmitteln. Aber «natürliches Mineralwasser» ist von Gesetzes wegen ein Produkt, das nicht behandelt werden darf. Die Abfüller sind von den Launen der Natur abhängig und davon, was an der Oberfläche über den Quellen passiert. Ein Problem ist, dass Rückstände aus der Landwirtschaft, wie Pestizide oder Fäkalbakterien vom Düngen, in die Quellen gelangen können. Nestlé wandte deshalb nicht nur die Filtermethoden an, sondern setzt sich seit Jahren auch für Umweltschutz oberhalb der Wasserquellen ein.

Die Anlagestiftung Ethos dürfte mit ihrem Vorstoss, den Nestlé-Verwaltungsrat wegen des Umgangs mit dem Mineralwasser-Skandal nicht zu entlasten, wenig Chancen haben. Aktionäre verweigern eine Entlastung meist nur in Ausnahmefällen. Aber das Thema ist die Nestlé-Führung damit nicht los. Für den Konzernchef Freixe bleibt das Wassergeschäft eines der drängendsten Probleme, die er in den nächsten Monaten lösen muss.

Exit mobile version