Montag, September 30

Der Schweizer Nahrungsmittelkonzern ist anders als Unilever und weitere Konkurrenten nicht Ziel eines aktivistischen Investors – noch nicht. Ausserdem: Das Management von Lindt & Sprüngli macht Kasse, SIG-Investoren können kurzfristig aufatmen und Straumann leidet unter China.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Als Nestlé-Aktionärin hatte man es in den vergangenen Jahren schwer. Vom Höchst bei knapp 130 Fr. Ende Dezember 2021 haben die Aktien rund 30% an Wert verloren. Zuletzt notierten sie auf dem tiefsten Stand seit Anfang 2019 und damit auch unter dem Tiefst während der Pandemie.

Noch dramatischer sieht die Kursentwicklung neben Unilever aus. Befanden sich beide Titel in der zweiten Jahreshälfte 2023 noch in einem stabilen Abwärtstrend, so hat sich das Blatt für den britischen Konsumgüterkonzern im Frühjahr dieses Jahres gewendet.

Damit liegt Unilever auch langfristig vor der Schweizer Konkurrentin, nachdem Nestlé lange Zeit die Nase vorn hatte.

Beim Konzern aus Vevey scheint der Wurm drin zu sein, sowohl operativ als auch kommunikativ. Bei den letzten drei Ergebnispräsentationen hat er die Erwartungen klar verfehlt. Die Unzufriedenheit an der Börse wächst, wie die Reaktion Ende vergangener Woche zeigt.

Klar, der Vergleich mit Unilever hinkt etwas. Die Briten profitierten zuletzt stark davon, dass ihre Hygiene- und Beautymarken deutlich besser liefen als das Geschäft mit Nahrungsmitteln und Getränken. Bei Nestlé dagegen hat bis auf Hunde- und Katzenfutter jedes Produkt mit menschlicher Ernährung zu tun. Doch das allein erklärt den Unterschied nicht.

Hein Schumacher hatte das Vergnügen, nach nur einem Jahr als Unilever-CEO die Börse in Euphorie zu versetzen. Bislang scheint die Mischung aus Rückbesinnung auf starke Marken und Sparmassnahmen vor allem beim Personal aufzugehen – zur Zufriedenheit von Nelson Peltz. Der bekannte aktivistische Investor war im 2022 mit einem Anteil von knapp 1,5% beim Konsumgüterkonzern eingestiegen und forderte strategische Anpassung. Jahrelang hatten Anleger Unilever vorgeworfen, sich zu sehr auf den «Purpose» zu konzentrieren, statt auf Umsatz- und Gewinnwachstum. Seit Juli desselben Jahres ist der Amerikaner auch im Board, in dieser Rolle hat er die Ernennung von Schumacher massgeblich mitgetragen.

Nicht nur Unilever spürt den Druck der Investoren: Im Mai meldete die «Financial Times», dass die Fondsgesellschaft Eminence eine Position in Reckitt Benckiser aufgebaut habe und Massnahmen zur Steigerung der Profitabilität fordere. Bereits 2021 war Artisan Partners bei Danone eingestiegen und hatte unter anderem die Absetzung von CEO und Präsident Emmanuel Faber bewirkt. Gemäss einer Erhebung von Alvarez & Marsal im Auftrag von Reuters standen vergangenes Jahr Konsumgüterhersteller am stärksten im Fokus von Aktivisten. Angesichts der schlechten Kursperformance vieler Unternehmen aus dem Sektor ist das nicht wirklich überraschend.

Bei Nestlé dagegen zeichne sich derzeit kein Einstieg ab, wie das Unternehmen auf Anfrage von The Market sagt. Das ist aus Sicht des Managements sicher entlastend, zumal CEO Mark Schneider überzeugt ist, mit den angestossenen Massnahmen wie dem Fokus auf die Weiterentwicklung von dreissig bis vierzig starken Marken und der Lancierung neuer Produkte ohne weitere Einschnitte zum Erfolg zurückfinden zu können. Beim Kassenschlager Kitkat hat das zuletzt tatsächlich gut geklappt: Dank ständiger Innovation generieren die Schokoladenwaffeln jährlich einen Milliardenumsatz – und dieser Erfolg soll nur der Anfang sein.

Auch als Konzernchef ist Schneider damit bisher kaum umstritten, konkrete Forderungen nach seinem Rücktritt nach 7,5 Jahren an der Spitze von Nestlé von namhaften Investoren oder Analystinnen sind zumindest noch nicht an die Öffentlichkeit getreten. Dennoch spüre ich bei Beobachtern durchaus eine zunehmende Nervosität, wenn ich sie auf die Personalie Schneider anspreche.

Von einem neutralen Standpunkt aus betrachtet könnten die richtigen Forderungen von aussen Nestlé helfen, in Schwung zu kommen. Natürlich bringen Aktivisten immer auch Unruhe, nicht alle Vorstösse sind sinnvoll. Und für ein Unternehmen ist es einfacher, Inputs aufzunehmen, wenn zum Beispiel ohnehin ein Wechsel an der Spitze und damit ein kleiner Neuanfang ansteht. So geschehen bei Nestlé im Frühjahr 2017, als Daniel Loeb von Third Point einstieg und ein Jahr darauf öffentlich «Eile statt schrittweises Herantasten» forderte. Der damals frisch angetretene Schneider profitierte vom Druck und galt fortan als Macher. Auch wenn bis heute nicht klar ist, wie viele der dann erfolgten Massnahmen er bereits geplant hatte: Aufgerüttelt hat es den Konzern bestimmt. Ein bisschen Aufmerksamkeit könnte Nestlé auch jetzt vertragen.

Happy Birthday, Ernst Tanner. Der exekutive Verwaltungsratspräsident von Lindt & Sprüngli hat vergangene Woche seinen 78. Geburtstag gefeiert und sich sein Geschenk wie so oft gleich selbst gemacht: Er und das Management des Schokoladenherstellers haben erneut kräftig eigene Titel verkauft. Allein seit Freitag wurden Transaktionen im Umfang von mehr als 13 Mio. Fr. bei der Aufsichtsbehörde der Schweizer Börse SER ausgewiesen, 1188 Partizipationsscheine wechselten die Hand.

Das ist eigentlich nichts Neues und doch jedes mal von Neuem ärgerlich. Immer wieder fällt Lindt & Sprüngli mit solchen Veräusserungen im grossen Umfang auf. Der Grund dafür liegt im Entschädigungssystem. Während Tanner seit einigen Jahren nur noch eine Barentschädigung erhält und noch von früher im Besitz vieler Partizipationsscheine ist, werden die Mitglieder der Geschäftsleitung zu einem namhaften Teil in Optionen auf eigene Anteilsscheine vergütet. Ende 2023 hielten die acht Personen insgesamt fast 37’000 Optionsrechte, 7278 waren allein vergangenes Jahr neu dazugekommen. Im Geschäftsbericht steht zu den Konditionen:

Die Optionsrechte haben eine Ausübungsfrist von maximal sieben Jahren ab der Zuteilung und unterliegen Sperrfristen zur Ausübung von drei (35%), vier (35%) beziehungsweise fünf Jahren (30%).

2023 wurden insgesamt 19’130 der Mitarbeiteroptionen ausgeübt. Sprich, die Manager realisierten mit den Verkäufen den Bonus der vergangenen Jahre. Wir haben den Mechanismus hinter dem Programm Ende 2022 hier beschrieben, am Ablauf und unseren Vorbehalten hat sich seither nichts geändert.

Mich stören daran vor allem zwei Punkte:

Erstens ist das Vergütungssystem extrem undurchsichtig: Um nachvollziehen zu können, wer wann wie viel verdient hat, muss man die Vergütungsberichte über mehrere Jahre im Detail studieren, und selbst dann kann man nur etwas über vergangene Geschäftsperioden sagen, eine aktuelle Einschätzung ist nicht möglich. Der Vergütungsbericht geht nicht näher darauf ein, wann welches Mitglied aus der Unternehmensführung wie viele Optionen gewandelt hat. Die Berechnung ist infolge der Tranchen mit unterschiedlichen Haltefristen sehr komplex. Anhand der vorliegenden Informationen ist deshalb kaum nachvollziehbar, wie hoch die variablen Vergütungen in Form von in Aktien gewandelten Optionen tatsächlich ausgefallen sind.

Zweitens hat die Gewährung von Aktienoptionen je nach Art der Aktienbeschaffung ausserdem einen Einfluss auf das Eigenkapital. Damit die Mitarbeitenden Optionen wandeln können, werden im Fall von Lindt & Sprüngli neue Aktien aus dem bedingten Kapital geschaffen. Das hat zur Folge, dass die Anzahl der Partizipationsscheine im ordentlichen Kapital ständig gestiegen ist. Das Aktienkapital wurde verwässert. Und das dürfte noch etwas weitergehen: Ende 2023 waren laut Geschäftsbericht rund 120’000 Optionen von Mitarbeitenden zu einem durchschnittlichen Ausübungspreis von 8232 Fr. für die Wandlung in PS ausstehend. Das entspricht 5,1% des Gesamtkapitals. Zum Vergleich: Der Kurs notierte zu diesem Zeitpunkt bei 10’090 Fr.

Klar, das Unternehmen argumentiert, dass dank dem Programm für die Unternehmensführung mehr Anreize bestünden, Aktionärswert zu schaffen. Tatsächlich aber verkauft das Management die Titel so schnell wieder, dass der Effekt wohl verpufft. CEO Adalbert Lechner zum Beispiel hielt laut Geschäftsbericht Ende der vergangenen drei Jahre immer 56 Partizipationsscheine – den Rest hatte er wohl über das Jahr verkauft. Gleichzeitig schafft das Vorgehen Unsicherheit im Aktionariat; immer wieder werde ich auf die hohen Verkaufsvolumen angesprochen und gefragt, ob es sich dabei um ein Warnsignal handle. Tatsächlich ist das befremdliche System aus meiner Sicht ein indirektes Warnsignal, den Zeitpunkt der Verkäufe würde ich mit Blick auf die Aktienkursentwicklung nicht überbewerten, aber das befremdliche Vorgehen ist definitiv schlechte Corporate Governance.

Gewinnziel leicht verfehlt, Margenprognose gesenkt: SIG Group brachte heute Morgen nicht wirklich gute Argumente für ein Engagement, und doch notierten die Aktien bis am frühen Nachmittag deutlich fester.

Klar, beim Umsatz und Betriebsgewinn erreichte das Unternehmen die Erwartungen der Analysten. Die Anleger scheinen aber vor allem einfach froh zu sein, dass es nicht schlimmer gekommen ist. Noch im Frühsommer hatten Beobachter eine Gewinnwarnung für das erste Halbjahr erwartet. Nach enttäuschenden Zahlen für 2023 hatten viele Analysten ihre Prognose für das laufende Jahr ohnehin schon erheblich gesenkt. Bis Mitte Juli zeigte der Konsens für den Ebitda und damit auch für den Gewinn je Aktie klar nach unten.

Bereits im März waren einige überrascht, dass das Unternehmen an seinen Finanzzielen festhielt und lediglich die Erwartungen innerhalb des Zielkorridors etwas nach unten korrigierte. Es scheint, als hätten die Beobachter die Prognoseanpassung trotzdem vorgenommen. Mein Kollege Giorgio Müller wies Mitte Juni daraufhin, dass viel Negatives bereits eingepreist sein dürfte. Auch UBS-Analyst Joern Iffert, der als einer der Ersten explizit vor dem Nichterreichen der Ziele für 2024 gewarnt hatte, stellte Anfang Juli fest, dass das Margenrisiko inzwischen sogar überbewertet werde. Die Aktie notierte damals unter 17 Fr.

Tatsächlich scheint der Pessimismus zwischenzeitlich die Oberhand gewonnen zu haben, das zeigt die Erleichterung heute. Dennoch frage ich mich, ob sich die Skepsis damit längerfristig auflösen wird. Wie schon im Juni beschrieben, scheiden sich die Meinungen am Führungsstil von CEO Samuel Sigrist. Die einen halten das aktive Management des ehemaligen Finanzchefs des Unternehmens für wohltuend, die anderen finden, er mische sich übermässig viel ein. Auch bei der Integration von IPN Scholle zeigten sich unterschiedliche Ansichten im Führungsgremium, es kam zu Verwerfungen.

Es ist verständlich, dass in einer operativ schwierigen Phase und einer unternehmerisch herausfordernden Situation Unruhe entsteht. Mit dem Abgang von Präsident Andreas Umbach – er tritt nächstes Jahr nicht mehr zur Wiederwahl an – dürfte sich im Verwaltungsrat noch einiges ändern. CEO Sigrist sitzt indes nach den heute präsentierten Zahlen etwas fester im Sattel als vorher, auch wenn die Kommunikation sicher besser hätte laufen können. Aus meiner Sicht liegen die Herausforderungen derzeit aber wie ein Schatten über dem Aktienkurs von SIG, den man auch mit einer für einmal positiven Überraschung nicht so schnell los wird.

Die Aktien von Straumann stehen erneut unter Druck, nach einem kurzen Erholung vom Jahrestief im Juni zeigt der Trend seit einigen Wochen klar nach unten. Seit dem Hoch bei 150 Fr. Anfang März hat der Spezialist für Zahnimplantate an der Börse rund ein Viertel an Wert verloren.

Wenig Zuversicht versprühte vergangene Woche der Ausblick von Konkurrent Align Technology. Das US-Unternehmen hat zwar im zweiten Quartal bis Ende Juni etwas mehr verdient als von Analysten erwartet, für den Rest des Jahres hat es die Erwartungen aber klar gedämpft. Neu rechnet Align für 2024 mit einem Umsatzwachstum von 4 bis 6%, davor waren es noch 6 bis 8%. Die Aktien reagierten mit einem deutlichen Verlust.

Die Meldung von Align ist für Straumann auch deshalb von Bedeutung, weil Clear Aligners für die Schweizer über die vergangenen Jahre immer wichtiger geworden sind. Sie sind erst verhältnismässig spät ins Geschäft mit den durchsichtigen Korrekturschienen eingestiegen, mittlerweile aber kommt dem Segment für das Erreichen des Umsatzziels von 5 Mrd. Fr. bis 2030 eine entscheidende Rolle zu. Insbesondere aus China soll ein grosser Wachstumsbeitrag kommen. Und gerade hier liegt derzeit wohl am meisten Unsicherheit: Die Nachfrage ist stark von der Konsumstimmung abhängig, auch weil bei der Behandlung von Zahnfehlstellungen oft ästhetische Gründe und seltener gesundheitliche Aspekte im Vordergrund stehen. Aus Konsumentensicht sind die Spangen eher ein «Nice to Have» statt ein «Must Have». Und für Ersteres gibt die chinesische Wirtschaft gerade nicht viel her.

Die Meldungen aus China veranlassen insgesamt nicht zu Freudensprüngen. Die Konsumenten im für Straumann sehr wichtigen Markt leiden unter der schwachen Konjunktur und der deflationären Tendenz. Sie lassen deshalb nicht nur die Louis-Vuitton-Tasche links liegen, sondern geben offensichtlich auch weniger Geld für Zahnbehandlungen und ähnliches aus: Im Juni lagen die chinesischen Importe von Schweizer Zahnersatzprodukten und künstlichen Zähnen erneut knapp ein Drittel tiefer als noch im Vorjahr. Bereits der Vormonat hatte enttäuscht, nachdem es im April nach einer leichten Erholung ausgesehen hatte.

Die Aktien von Straumann sind seit langem Teil des The Market Best Ideas Portfolio, die Wachstumsstory der vergangenen Jahre und die ansprechende Kapitalrendite machen das Unternehmen zu einem attraktiven Investment. Die jetzige Phase zeigt aber auch: Das Geschäft und damit die Titel sind sehr schwankungsanfällig. Angesichts dieser Herausforderungen sehe ich ein gewisses Risiko, dass die Analystenerwartungen für die kommenden Quartale etwas zu optimistisch sind. Der Negativtrend der Aktien ist hartnäckig, um einen Neueinstieg zu rechtfertigen, braucht Straumann wieder positive Impulse. Bis zur Präsentation der Halbjahreszahlen am 14. August sehe ich damit keinen Grund zur Eile.

Freundlich grüsst im Namen von Mrs Market

Gabriella Hunter

Exit mobile version