Der israelische Ministerpräsident entledigt sich seines letzten Kritikers in der Regierung. Doch eine Chance hat Gallant noch.
Mitten im Krieg entlässt Benjamin Netanyahu seinen Verteidigungsminister Yoav Gallant. Das teilte Israels Ministerpräsident am Dienstagabend mit. Der Zeitpunkt war wohl nicht zufällig gewählt: Während die Welt gebannt auf die Präsidentschaftswahlen in den USA schaut, entledigt sich Netanyahu seines grössten Kritikers in der Regierung.
Yoav Gallant galt schon lange als die treibende Kraft für ein Geiselabkommen, das ein Ende des Kriegs im Gazastreifen zur Folge gehabt hätte. In der Vergangenheit hatte der Ex-Generalmajor Netanyahus Slogan des totalen Sieges gegen die Hamas als «Nonsens» bezeichnet. Erst kurz vor dem Angriff auf Iran hatte er laut israelischen Medienberichten eine Kurskorrektur gefordert: Israel müsse seine Kriegsziele neu definieren, da es nun an mehreren Fronten kämpfe.
Demonstrationen in Tel Aviv
Auf Gallant folgt nun der bisherige Aussenminister Israel Katz. Dessen Posten übernimmt Gideon Saar. Seine Kleinstpartei «Neue Hoffnung» ist erst Ende September in die Regierung eingetreten – offenbar war ein Ministerposten Netanyahus Köder für Saars Unterstützung. Netanyahu begründet die Entlassung Gallants mit einem Vertrauensverlust und grossen Differenzen in der Kriegsführung. Israels Regierungschef soll Gallant seine Entlassung persönlich mitgeteilt haben. Diese soll am Donnerstag in Kraft treten.
Die Entscheidung von Netanyahu hat in Israel einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. In Tel Aviv und anderswo gingen spontan Tausende Personen auf die Strasse, um gegen die Entlassung Gallants und gegen Netanyahu zu demonstrieren. In Tel Aviv blockierten sie die wichtige Stadtautobahn Ajalon mit brennenden Autoreifen und skandierten «Bibi ist ein Verräter», «Bibi ins Gefängnis» und «kriminelle Regierung», wie eine Reporterin der Deutschen Presse-Agentur berichtete. Die Demonstranten berichteten von ihrer Sorge, dass Netanyahu weitere wichtige Leute aus dem Sicherheitsapparat wie etwa Generalstabschef Herzi Halevi oder den Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Ronen Bar, feuern könnte.
Einsatz für eine baldige politische Lösung
Gallant hatte sich als einziges hochrangiges Kabinettsmitglied wiederholt für eine baldige politische Lösung des Gaza-Kriegs ausgesprochen. Immer wieder betonte er, dass die taktischen Erfolge der israelischen Armee wertlos seien, wenn sie nicht in einen diplomatischen Durchbruch umgemünzt würden. Schon in den vergangenen Wochen hatten sich die Gerüchte gemehrt, Gallants Tage als Minister seien gezählt.
Dass ein baldiges Kriegsende nun in weitere Ferne rückt, ist auch die Befürchtung vieler Israeli. Kurz nach Gallants Entlassung teilte das Forum der Geiselfamilien mit, dies sei eine direkte Fortsetzung der «Bemühungen», das Geiselabkommen zu torpedieren. Tausende Israeli hatten sich laut Medienberichten am Dienstagabend in Tel Aviv versammelt, um gegen den Schritt zu protestieren.
Israels Opposition verurteilte die Entlassung Gallants einhellig. Der Oppositionsführer Yair Lapid nannte den Schritt «Wahnsinn». Der linke Anführer der Demokraten Yair Golan rief die Israeli zum Generalstreik auf. Auch der nationalistische Avigdor Lieberman kritisierte Netanyahus Entscheidung scharf: Damit führe er das Land «in eine Bananenrepublik».
Vom ganz rechten Rand erhielt Netanyahu hingegen Zustimmung. Israels Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir beglückwünschte Netanyahu zu Gallants Entlassung. Die Auffassungen des Verteidigungsministers seien ein Hindernis auf dem Weg zum totalen Sieg gewesen.
Nicht Gallants erste Entlassung
Die Entlassung des erfahrenen Militärs Gallant ist ein grosses Risiko für Netanyahu. Nicht nur wegen des inneren und aussenpolitischen Drucks, der folgen wird. Sondern auch, weil auf Gallant mit Israel Katz nun ein Mann folgt, der in der Vergangenheit weniger mit militärischer Sachkenntnis, sondern mit schrillen Tönen und absoluter Loyalität zu Netanyahu in Erscheinung trat.
Eine letzte Chance hat Gallant noch: Er könnte auf die Rückkehr des Momentums aus dem vergangenen Jahr hoffen. Auf dem Höhepunkt der sogenannten Justizreform in Israel hatte sich der Verteidigungsminister ebenfalls gegen Netanyahu gestellt – und dieser hatte ihn schon einmal entlassen. Im März 2023 kündigte Netanyahu die Entlassung an, was Massenproteste zur Folge hatte.
Einige Tage später musste Netanyahu zurückkrebsen, und Gallant blieb bis heute auf seinem Posten. Ob er sein politisches Ende noch einmal abwenden kann, ist allerdings fraglich. Denn die Proteste sitzt Netanyahu bereits seit knapp einem Jahr aus – und innerhalb der Regierung ist er nun noch unangefochtener als zuvor.