Buchtipps

Mailand, Rom oder Rimini – die Neuerscheinungen von Elsa Morante, Edoardo De Angelis, Lidia Ravera und weiteren Autorinnen und Autoren nehmen einen mit in den Süden.

1. Elsa Morante: La Storia

Die Römerin Elsa Morante zählt zu den wichtigsten Autorinnen der italienischen Moderne. Ihr Hauptwerk und zugleich ihr Bestseller ist «La Storia» (1974), der dritte ihrer vier Romane. Anhand der verwitweten Lehrerin Ida und ihrer beiden Söhne erzählt Morante die Geschichte Italiens von 1941 bis 1947. Maja Pflug und Klaudia Ruschkowski legen eine einfühlsame Neuübersetzung des modernen Klassikers der 1985 verstorbenen Autorin vor.

Text: Manfred Papst

Elsa Morante: La Storia

Wagenbach 2024. 768 Seiten, um 53 Franken, E-Book 31 Franken, erhältlich etwa bei Weltbild.

2. Jhumpa Lahiri: Das Wiedersehen

Die indisch-amerikanische Autorin Jhumpa Lahiri lebte während einiger Jahre in Italien. Sie schreibt so trocken, dass man Durst bekommt nach mehr von ihren «römischen Geschichten». Der Kern ihrer Kunst keimt im Banalen, und ihre Figuren sind Menschen, die sich fremd fühlen; in ihren Beziehungen oder im Wohnblock, in dem sie leben. Gemein ist ihnen die Stadt, in die sie gezogen sind: Rom. Nicht als Touristen, sondern als Migranten, freiwillig – oder nicht.

Text: Frank Heer

Jhumpa Lahiri: Das Wiedersehen

Übersetzt von Julika Brandestini. Rowohlt 2024. 256 Seiten, um 36 Franken, E-Book 20 Franken, erhältlich etwa bei Weltbild.

3. Fleur Jaeggy: Ich bin der Bruder von XX. Erzählungen

Seit Jahrzehnten lebt die Schweizerin Fleur Jaeggy in Mailand. Nun lässt sich diese singuläre Autorin mit einem Erzählband wieder entdecken. In Jaeggys eigenwilligen Texten liegen Schönheit und Schrecken dicht nebeneinander. Ein Kind schürt ein zerstörerisches Feuer, ein Mann sperrt seine Frau in einen Vogelkäfig, Rätsel bleiben ungelöst. Doch das Enigmatische fasziniert – auch in Jaeggys lakonischer Hommage an ihre Freundin Ingeborg Bachmann.

Text: Martina Läubli

Fleur Jaeggy: Ich bin der Bruder von XX. Erzählungen

Übersetzt von Barbara Schaden. Suhrkamp 2024. 115 Seiten, um 33 Franken, E-Book 24 Franken, erhältlich etwa bei Weltbild.

4. Beatrice Salvioni: Malnata

Sie wird von allen «Malnata», die «Unheilbringende», genannt. Entgegen den Vorurteilen freundet sich Francesca mit ihr an. Gemeinsam entlarven sie die Lügen der Erwachsenen, sprechen über Gefühle und merken, wie das Patriarchat sie einschränkt, ohne dessen Mechanismen benennen zu können. Beatrice Salvionis Debüt ist eine Ode an die Selbstbestimmung. Es sollte ihm jedoch eine Triggerwarnung wegen Vergewaltigung vorausgeschickt werden.

Text: Hannah Hitz

Beatrice Salvioni: Malnata

Übersetzt von Anja Nattefort. Penguin 2024. 272 Seiten, um 36 Franken, E-Book 30 Franken, erhältlich etwa bei Weltbild.

5. Edoardo De Angelis, Sandro Veronesi: Comandante

Der Kapitän eines italienischen U-Boots, das im Zweiten Weltkrieg einen belgischen Frachter im Atlantik versenkt, besinnt sich auf die Menschlichkeit: Er rettet zwei Dutzend der Schiffbrüchigen – und gefährdet damit sein eigenes Boot samt Besatzung. Deren Mitglieder schildern die Ereignisse tagebuchartig in wechselnden Perspektiven in diesem packenden kleinen Roman, dessen Autorenduo den historischen Stoff auch zu einem Spielfilm verarbeitet hat.

Text: Urs Bühler

Edoardo De Angelis, Sandro Veronesi: Comandante

Übersetzt von A. und W. H. Leube. Zsolnay 2024. 158 Seiten, um 34 Franken, E-Book 27 Franken, erhältlich bei Weltbild.

6. Lidia Ravera: Sprich mit mir

Ungewöhnlich ist die Erzählperspektive: Eine alte Frau erwartet nichts mehr vom Leben. Vor den Gespenstern ihrer Vergangenheit und der Unberechenbarkeit anderer Menschen hat sie sich tief in ihre Wohnung geflüchtet. Aber dann zieht eine laute Familie in die Nachbarswohnung, und alles ist anders. Herzlichkeit und Grenzüberschreitung, Glück und Scham, Egoismus und Voyeurismus folgen immer schneller aufeinander.

«Sprich mit mir» ist die deutsche Übersetzung des Romans «Avanti, parla» der berühmten italienischen Schriftstellerin Lidia Ravera, ein zwingender Roman voller unheroischer Gefühle. Eine Erzählung über Demut gegenüber dem Schicksal und Grosszügigkeit mit den eigenen Fehlern und denen anderer, auch wenn sie schwerwiegend sind. Denn das Leben ist kurz und alles, was wir haben.

Text: Paula Scheidt

Lidia Ravera: Sprich mit mir

Übersetzt von Annette Kopetzki. Rowohlt 2023. 368 Seiten, um 36 Franken, E-Book 18 Franken, erhältlich bei Weltbild.

7. Marco Missiroli: Alles haben

Rimini im Juni, der Ort holt Atem für die Badesaison. Sandro, Werbetexter in Mailand, besucht seinen Vater. Eigentlich nur, um dessen Geburtstag zu feiern, doch Sandro bleibt im Haus der Kindheit hängen. Vater und Sohn umkreisen sich. Sie suchen Nähe und schrecken doch vor ihr zurück – bis der Vater eine Ankündigung macht. Missirolis Geschichte entfaltet in Ruhe nach und nach ihre Wirkung. So zart wird eine Vater-Sohn-Geschichte selten erzählt.

Text: Christine Steffen

Marco Missiroli: Alles haben

Übersetzt von Esther Hansen. Wagenbach 2023. 176 Seiten, um 29 Franken, E-Book 18 Franken, erhältlich bei Weltbild.

8. Gesualdo Bufalino: Klare Verhältnisse

Ein berühmter Verleger wird in seiner Villa an der Adria von einer Aischylos-Büste erschlagen. Unfall oder Mord? Im Nachlass des Toten finden sich Briefe, die mehrere Verdächtige nennen. Ein köstliches Verwirrspiel beginnt. Ersonnen hat es der Sizilianer Gesualdo Bufalino (1920–1996), der Lehrer war und bis zu seinem 60. Lebensjahr nur für die Schublade schrieb. Neuedition der deutschen Erstausgabe von 1994.

Text: Manfred Papst

Gesualdo Bufalino: Klare Verhältnisse

Übersetzt von Hans Raimund. Suhrkamp 2024. 172 Seiten, 22 Franken, erhältlich bei Weltbild.

9. Michela Murgia: Drei Schalen

Michela Murgias zwölf punktuell miteinander verbundene Geschichten erzählen von Veränderungen, vor allem aber davon, wie Menschen auf sie reagieren. Auf wenigen Seiten kommt man den Figuren sehr nahe, freut sich mit ihnen, schämt sich, staunt. Und trauert: Roter Faden ist das Thema Krebs. Die Autorin wusste, dass sie an der Krankheit sterben würde, als sie dieses letzte Buch schrieb. Ideal für Menschen, die Unterhaltung suchen – aber keine leichte.

Text: Malena Ruder

Michela Murgia: Drei Schalen

Übersetzt von Esther Hansen. Wagenbach 2024. 160 Seiten, um 29 Franken, E-Book 17 Franken, erhältlich bei Weltbild.

10. Sibilla Aleramo: Eine Frau

Frauen sind im südlichen Italien des frühen 20. Jahrhunderts männliches Eigentum. Dessen wird sich ein Mädchen, das vergewaltigt wird und den Mann heiratet, schmerzlich bewusst. Es erwacht aus der Selbstopferung, löst sich und wird zu einer Frau, die begehrt und um ihren Wert weiss. «Eine Frau» von Sibilla Aleramo von 1906 ist ein erschütternder autobiografischer Einblick in die Anfänge der italienischen Frauenemanzipation.

Text: Stephanie Caminada

Sibilla Aleramo: Eine Frau

Übersetzt von Ingrid Ickler. Eisele 2024. 288 Seiten, um 33 Franken, E-Book 20 Franken, erhältlich bei Weltbild.

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Dies Buchtipps stammen aus der NZZaS-Beilage «Bücher am Sonntag».

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