Sonntag, Februar 23

Der imperiale Anspruch Donald Trumps auf Grönland kommt nicht aus heiterem Himmel. Der Kampf der Grossmächte verlagert sich zusehends in die tauende Eiswüste.

Mit seinem Anspruch auf Grönland hat Donald Trump noch vor seinem Amtsantritt für einen Eklat gesorgt. Neu war nicht die Absicht, Grönland zu kaufen. Dies hatte er bereits 2019 in seiner ersten Amtszeit vorgebracht. Aufhorchen liess die ultimative Begründung, es sei «im Interesse der nationalen Sicherheit und der Freiheit in der Welt» für die USA eine «absolute Notwendigkeit», Grönland zu besitzen und zu kontrollieren.

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Trump schloss selbst die Anwendung von militärischem Zwang gegen das Nato-Mitglied Dänemark nicht aus, sollte dieses nicht kooperieren. Seither ist Feuer im Dach. In Dänemark, in der EU und in Grönland selbst, das mit seinen 57 000 Einwohnern zu Dänemark gehört und seit 1979 weitgehend autonom ist. Damit stellte Trump zumindest rhetorisch die nationale Interessen- und Sicherheitspolitik der USA über die Regeln der internationalen Gemeinschaft und der Nato-Bündnispartner und machte klar, dass auch in der Polarregion eine neue Ära begonnen hat.

Jahrzehntelang lag die Arktis abseits. Doch nun ist das Polarmeer zum Schauplatz eines geopolitischen Ringens geworden, das die Gefahr eines neuen kalten Krieges birgt. Nachzulesen ist dies im Buch «Von der Eiswüste zur Arena der Grossmächte. Die geopolitischen Folgen des Klimawandels in der Arktis» von Rudolf Hermann und Andreas Doepfner.

Ein Drama, das sich zuspitzt

Beide sind vertraut mit der Region, Doepfner als Redaktor der NZZ für Nordeuropa von 1982 bis 1998 am Ende des Kalten Krieges, Hermann als Korrespondent von 2015 bis 2023, als die westöstliche Kooperation wegen der russischen Annexion der Krim endete. So überblicken die Autoren einen langen Zeitraum, in dem die Verhältnisse sich radikal änderten.

Im Arktischen Rat arbeiteten die Anrainer USA, Kanada, Dänemark, Island, Norwegen, Schweden, Finnland und Russland lange zusammen. Doch der Grundton lautet nun nicht mehr «Kooperation», sondern «Konfrontation», zwischen Russland und China und den westlichen Staaten, aber auch zwischen den USA und kleinen Nato-Partnern.

Die territorialen Ansprüche Trumps auf Grönland und Kanada, das Dominanzgebaren Russlands im Polarmeer, die Nato-Beitritte Finnlands und Schwedens und die Ambitionen Chinas auf eine «blaue Seidenstrasse» im Norden erscheinen als Szenen eines sich zuspitzenden Dramas auf der weltpolitischen Bühne. Da ist auch der angebliche Privatbesuch von Trumps Sohn Donald Trump jr. mit dem «Trump»-Flugzeug im Januar in Nuuk mehr als eine Lachnummer. Die symbolische Landung zeigt: Trump ist es ernst mit der Übernahme der Kontrolle über Grönland.

Strategische Rohstoffe

Durch die Klimaerwärmung werden auf Grönland, Island und Spitzbergen grosse Vorkommen von strategischen Mineralien wie Uran und seltenen Erden sowie Erdöl- und Erdgasfelder leichter zugänglich. Im Süden Grönlands bei Narsaq und Qaqortoq liegen zwei reiche Lagerstätten seltener Erden, die für zivile und militärische Hochtechnologie benötigt werden. China ist weltweit führend im Abbau solcher Erze, auch auf Grönland hat es mit einer Beteiligung an einem Bergbauunternehmen den Fuss in der Tür. Eine Landnahme Grönlands könnte somit die USA aus dieser Abhängigkeit befreien.

Doch das ist derzeit eine eher theoretische Option. Denn Bergbau auf Grönland ist kein Spaziergang, wie die Autoren Hermann und Doepfner deutlich machen. Schwierige Topografie, harsches Klima, spärliche Infrastruktur, schwankende Weltmarktpreise und das Verbot des Uranabbaus waren bisher ein grosses Hemmnis für Abbauprojekte.

Handfest hingegen ist Trumps strategisches Interesse an Grönland. Die Autoren ziehen hier erstaunliche Linien aus der Geschichte der USA in die Gegenwart, welche die Kaufabsicht als folgerichtig erscheinen lassen. Immer wieder hatten die USA mit Käufen ihr Territorium arrondiert und wichtige Vorländer in ihren Machtbereich eingegliedert, etwa mit dem Kauf Ostfloridas im Süden 1821 und Alaskas im Nordwesten 1867.

Im gleichen Jahr wollten die USA den Dänen Grönland und Island abkaufen, als arktisches Bollwerk gegen die britische Kolonialmacht in der militärischen Lücke im Nordosten der USA. Der Plan scheiterte, ebenso das Kaufangebot für Grönland 1946 unter dem demokratischen Präsidenten Harry S. Truman nach dem Zweiten Weltkrieg.

Zugang zum Atlantik

Militärisch präsent waren die USA auf Grönland gleichwohl. Im Zweiten Weltkrieg betrieben sie dort mehrere Luftwaffenstützpunkte. Im Kalten Krieg wurde die Insel durch ihre Lage zwischen Nordamerika und der Sowjetunion äusserst wichtig, wie die Autoren betonen. Einerseits bauten die USA im Norden die Thule Air Base aus, einen grossen Stützpunkt für Langstreckenbomber, der heute als Pituffik Space Base Teil des Raketenfrühwarnsystems der USA ist.

Andererseits erhielt Grönland in der sogenannten Giuk-Lücke geostrategische Bedeutung. Giuk bezeichnet die Engstelle zwischen Grönland, Island, den Färöern und dem Vereinigten Königreich, wo sich der Zugang zum Atlantik kontrollieren lässt. Die militärische Überwachung dieses für die Nato wichtigen Seegebiets ist Dänemark anvertraut.

«Wenn etwa die USA zu dem Schluss kämen, dass Kopenhagen dazu nicht imstande sei, würde Washington erwägen, diese Aufgabe selbst zu übernehmen», schreiben die Autoren. Dies könne ein Mass an Aufrüstung bedeuten, das Russland zu Gegenmassnahmen herausfordere. Vor diesem Hintergrund erscheint Trumps Ausgreifen nach Grönland auch als Rückgriff auf die Logik des Kalten Kriegs.

«In Zeiten einer sich verschärfenden politischen Konfrontation zwischen Moskau und dem Westen gewinnt der Nordostatlantik für Moskau militärstrategisch stark an Bedeutung», halten Doepfner und Hermann fest. Tatsächlich ist Russlands Aktionsradius zur See eingeschränkt.

Ein ganzjährig eisfreier Hafen

Die Schwarzmeerflotte im Süden kann nicht im Mittelmeer operieren, seit der Bosporus infolge des Ukraine-Kriegs für Kriegsschiffe gesperrt ist. Die Ostsee, wo Russland mit St. Petersburg und Kaliningrad Meeranstoss hat, ist durch die Nato-Norderweiterung um Finnland und Schweden praktisch zu einem Nato-Binnenmeer geworden. Damit bleibt Murmansk, der einzige ganzjährig eisfreie Hafen auf der Halbinsel Kola, wo die russische Nordflotte mit ihren mit Interkontinentalraketen bestückten U-Booten liegt.

Wollen die Schiffe nach Westen in den europäischen Atlantik, müssen sie durch die Bären-Lücke, einen 450 Kilometer breiten Durchlass zwischen dem norwegischen Nordkap und der Bäreninsel, und später durch die Giuk-Lücke. Wie in der Ostsee wurden auch im Seegebiet zwischen Norwegen und Spitzbergen schon mehrfach Unterseekabel durchtrennt.

In östlicher Richtung führt die Nordostpassage entlang der russischen Nordmeerküste durch die Beringstrasse in den Pazifik. Russland schickt auf diesem Weg Erdöl und Erdgas auf den Weltmarkt. Es betrachtet diesen internationalen Seeweg als sein Gebiet und hat eine leistungsfähige Flotte atombetriebener Eisbrecher aufgerüstet, um seine Grossmachtambitionen zur Geltung zu bringen. Die USA verfügen derzeit nur über zwei alte Eisbrecher und sind in den nördlichen Meeren kommerziell und militärisch wenig operabel. Die Militarisierung der arktischen Zone dürfte sich weiter verschärfen.

Rudolf Hermann, Andreas Doepfner: Von der Eiswüste zur Arena der Grossmächte. Die geopolitischen Folgen des Klimawandels in der Arktis. NZZ Libro, Basel 2024. 236 S., Fr. 38.–.

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