Der ungarische Regierungschef findet in der FPÖ aus Österreich und der ANO aus Tschechien neue Verbündete im Europaparlament. Für sein Ziel, eine schlagkräftige rechte Fraktion zu gründen, braucht er aber dringend noch ein politisches Schwergewicht. Nur wer?

Unmittelbar vor dem Beginn der EU-Rats-Präsidentschaft Ungarns kündigte Ministerpräsident Viktor Orban eine neue europäische Heimat für seine nationalkonservative Partei Fidesz an. Gemeinsam mit dem Chef der Freiheitlichen Österreichs (FPÖ), Herbert Kickl, und dem tschechischen Oppositionsführer und Ex-Regierungschef Andrej Babis unterschrieb er am Sonntag in Wien ein «patriotisches Manifest».

Dieses soll die Basis bilden für eine neue Fraktion im europäischen Parlament. Weitere gleichgesinnte Parteien sollen dazustossen, so die drei Politiker. Die gemeinsame Allianz sei eine «Trägerrakete», die bereits in den kommenden Tagen zur stärksten rechten Vereinigung Europas werden könne, wie Orban in Aussicht stellte. Es beginne damit eine neue Ära der europäischen Politik.

«Alle patriotischen Kräfte sind willkommen»

Das mutet für den Moment überzogen an: Zwar wurden alle drei Parteien bei der EU-Wahl vom 9. Juni in ihren jeweiligen Ländern stärkste Kraft. Gemeinsam bringt man aber vorerst lediglich 24 Sitze im künftigen EU-Parlament zusammen. Das reicht zwar zahlenmässig aus für die Gründung einer eigenen Fraktion, einer solchen müssen aber Parteien aus sieben Mitgliedstaaten angehören. Die Initianten sind überzeugt, dass das gelingen wird. Gespräche seien im Gang, und es zeichne sich bereits ab, dass sich mehr Parteien anschliessen wollten als manche vermuteten, erklärte Kickl.

Vor allem die Teilnahme seiner Partei an der Allianz ist bemerkenswert. Der Fidesz schied vor drei Jahren im Streit aus der konservativen Europäischen Volkspartei aus und suchte neue Verbündete. Und die populistische ANO von Andrej Babis war in der liberalen Parteienfamilie Renew Europe schon lange umstritten. Vor einer Woche trat sie aus dem Bündnis aus. Die FPÖ war dagegen immer eine tragende Säule der EU-skeptischen Fraktion Identität und Demokratie (ID) – gemeinsam mit dem Rassemblement national aus Frankreich und der Lega in Italien. Ihr offenkundiger Austritt aus dem von ihr mitgegründeten Bündnis ist deshalb nicht zahlenmässig, aber symbolisch ein Schlag für die ID-Fraktion.

Alle patriotischen Kräfte seien willkommen in der neuen Allianz, erklärte der FPÖ-Chef Kickl. Ihre Ziele sind der Kampf gegen die illegale Migration, die Revision des europäischen Green Deal und die Verteidigung der Souveränität der Nationalstaaten, was mit weniger Macht für Brüssel einhergehen müsse. So soll auch das EU-Parlament verkleinert werden.

Dieser Positionierung könnten sich viele der rechten Parteien sogleich anschliessen. Dennoch ist fraglich, ob so die von Orban und vielen anderen ihrer Spitzenvertreter angestrebte Vereinigung zu einer grossen Fraktion gelingt. Derzeit sind die Kräfte in zwei Lager gespalten, die ID-Fraktion und die Fraktion der Konservativen und Reformer (EKR), in der inzwischen Giorgia Melonis Fratelli d’Italia dominieren. Das neue mitteleuropäische Bündnis braucht zwingend eine Partei aus einem grossen Mitgliedstaat, um Orbans Ziel zu erreichen, stärkste rechte Gruppierung zu werden und so potenziell eine Flurbereinigung auszulösen.

Die Ukraine-Frage spaltet Orban und Meloni

Orban hatte in den letzten Monaten offensiv auf eine Aufnahme bei EKR hingearbeitet, Meloni zeigte ihm nach der EU-Wahl aber die kalte Schulter – auch weil mehrere andere Parteien für diesen Fall einen Austritt ankündigten. Es ist vor allem Orbans russlandfreundliche Haltung, die in diesem Bündnis und bei Meloni selbst auf Unmut stösst. Denkbar ist, dass die nationalkonservative polnische Partei PiS aus der EKR-Fraktion ausscheidet und sich Orban anschliesst. Sie liess am Mittwoch eine Fraktionssitzung wegen Streit mit den Fratelli um Spitzenposten platzen. Wie die strikt antirussische Partei sich aber in der Ukraine-Frage mit Orban finden soll, ist schwer vorstellbar.

In der radikaleren ID-Fraktion gibt es diesbezüglich weniger Konfliktpotenzial. Marine Le Pen positioniert den Rassemblement national aber inzwischen gemässigter und suchte in jüngster Zeit eher die Nähe zu Meloni. Es wäre indes keine Überraschung, schlösse sich die Lega Orban an – sie verfügt jedoch nur noch über acht Mandate. Auf der Suche nach einer Fraktion sind zudem aus der Slowakei Robert Ficos linkspopulistische Partei Smer, die bei den Sozialdemokraten schon lange fehl am Platz war und seit Herbst suspendiert ist, sowie die AfD aus Deutschland. Letztere würde zwar viele Mandate bringen. Aber seit dem Rauswurf aus der ID-Fraktion ist das Verhältnis zu einigen der dortigen Parteien gespannt.

Mit ihrem Vorpreschen haben Orban, Kickl und Babis neue Dynamik in den Prozess gebracht. Noch zeichnet sich allerdings die grosse rechte Vereinigung nicht ab. Die Zeit drängt: Bereits am kommenden Mittwoch läuft die Frist zur Anmeldung von Fraktionen ab. Bis dann müssen Orban und seine Verbündeten politische Schwergewichte von einer Zusammenarbeit überzeugen. Sonst erreichen sie das Gegenteil des angestrebten Ziels, nämlich eine weitere Zersplitterung der rechten Parteien.

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