Seit Jahren sorgen ominöse Erkrankungen von amerikanischen Diplomaten für Spekulationen. Es gibt inzwischen zahlreiche Untersuchungen von Geheimdiensten, Wissenschaftern und Journalisten, die sich jedoch widersprechen. Nun sorgt ein neuer Report für Aufsehen.
Nachdem die amerikanischen Geheimdienste eher Entwarnung gegeben und erklärt hatten, es stünden keine Angriffe von feindlichen Mächten hinter dem Havanna-Syndrom, schlägt das Pendel nun wieder in die andere Richtung. Die Anzeichen mehren sich, dass doch nicht alles mit rechten Dingen zu und her geht.
Seit Jahren wird gerätselt, was es mit dem Havanna-Syndrom auf sich hat – den mysteriösen Erkrankungen, unter denen amerikanische Diplomaten, Spione und Soldaten leiden. Sehprobleme, Kopfweh, Erbrechen, Schwindel, chronische Schmerzen, Bewegungseinschränkungen und sogar Gehirnschädigungen sind typische Symptome.
Spekulationen über Science-Fiction-Waffen
Die ersten bekannten Fälle tauchten vor knapp zehn Jahren in der amerikanischen Botschaft in der kubanischen Hauptstadt auf, später meldeten sich andere Opfer aus so verschiedenen Weltgegenden wie Russland, China, Indien, Wien, Genf und sogar aus der Nähe des Weissen Hauses. Rund 1500 Fälle wurden bis heute registriert.
Öfters trugen auch die Kinder der Betroffenen Gesundheitsschäden davon. Lange vermutete man Moskau hinter den Attacken, aber welche Technologie dahinterstecken könnte, blieb schleierhaft. Gelegentlich war von gepulsten Mikrowellen die Rede, aber Experten melden Zweifel an, dass irgendeine Regierung über solche Science-Fiction-Waffen verfügt, und fragen sich, wie sie genau funktionieren sollen.
Deshalb schrieb die Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines am 1. März 2023 in einem überraschend eindeutigen Bericht, der allerdings nur in einer zur Hälfte geschwärzten Version zugänglich ist, man gehe davon aus, dass die Erkrankungen normale Ursachen hätten, und erklärte die Angelegenheit für beendet. Seither lautet der offizielle, betont neutrale Ausdruck für das Syndrom «Anomalous Health Incidents» (AHI), also «anormale Gesundheitsvorkommnisse».
Neue Analysen relativieren bisherige Positionen
Aber seit drei Monaten bröckelt dieser Konsens. Es begann damit, dass sechs Opfer des Havanna-Syndroms, allesamt Geheimdienstmitarbeiter, auf Einladung des Rats für nationale Sicherheit (NSC) in den Situation Room des Weissen Hauses eingeladen wurden. Offiziell ging es darum, ein Handbuch zum Umgang mit solchen Problemen für die nächste Regierung unter Trump zusammenzustellen. Aber offenbar wurde den Betroffenen signalisiert, dass Biden und der NSC, gestützt auf neue Untersuchungen, das Havanna-Syndrom ernster nehmen als die Geheimdienste.
Anfang Dezember kam dann der Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses in einem Bericht zum Schluss, zumindest hinter einigen der Fälle stecke höchstwahrscheinlich ein ausländischer Gegner. Wer genau, wird nicht gesagt.
Es gebe «zuverlässige Beweise» für diese Annahme, schreibt der republikanische Ausschussvorsitzende Rick Crawford im Bericht. Die These, dass die Fälle auf Umwelt- oder sozialen Faktoren beruhten, sei aufgrund seiner Recherchen falsch.
Und nun hat die Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines am 10. Januar ein Update jenes Reports veröffentlicht, der vor zwei Jahren Entwarnung gab. Der aktualisierte Bericht ist vorsichtig formuliert, aber er lässt der Möglichkeit Raum, dass hinter den Vorkommnissen doch ein Angriff stecken könnte.
Genauer gesagt: Zwei der sieben am Report beteiligten Geheimdienste sagen nun, es bestehe eine 50:50-Chance, dass hinter dem Havanna-Syndrom eine Aggression von feindlichen Mächten stehe. Offenbar haben sie Informationen abgefangen, die darauf hindeuten, dass gegnerische Länder, die nicht namentlich genannt werden, bei der Entwicklung solcher Waffen grössere Fortschritte gemacht haben als bisher angenommen. Die andern fünf Dienste halten an ihrer ursprünglichen Ansicht fest, dass alle Fälle durch normale Umstände erklärt werden könnten. Um welche Geheimdienste es sich bei den Abweichlern handelt, geht aus dem Bericht nicht hervor, aber die amerikanische Zeitschrift «The Atlantic» vermutet aufgrund von Informanten, dass es sich unter anderem um die National Security Agency (NSA) handle.
Kritik der Opfer an der CIA
Das bedeutet, dass es in dieser Angelegenheit nicht nur eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses und den Geheimdiensten gibt, sondern auch innerhalb der verschiedenen Geheimdienste selbst. Im Fadenkreuz der Kritiker, auch aus den Reihen der vom Havanna-Syndrom Betroffenen selbst, steht insbesondere der Auslandgeheimdienst CIA, der beim abwiegelnden Report von 2023 federführend war.
Bei den Opfern, von denen einige so schwer erkrankten, dass sie nicht mehr arbeitsfähig sind, macht sich eine zunehmende Verärgerung breit. Es herrscht der Eindruck vor, man werde nicht ernst genommen. Einige sprechen von «Gaslighting», also vom Versuch der CIA, den Betroffenen einzureden, sie bildeten sich das alles nur ein oder, extremer ausgedrückt, sie seien entweder hysterische Simulanten oder Anhänger von Verschwörungstheorien. Laut anonymen Anwesenden ging es bei der Einladung ins Weisse Haus auch darum, diesen schwelenden Konflikt zu entschärfen.
Die CIA stand in den letzten Jahren immer wieder in der Kritik, unter anderem im Zusammenhang mit Hunter Biden. Im Sommer 2024 warf der Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses der CIA vor, während des Wahlkampfes 2020 belastendes Material gegen den Sohn von Joe Biden aus politischen Gründen unter den Teppich gekehrt zu haben.
Für die meisten Opfer des Havanna-Syndroms steht es ausser Frage, dass es sich um russische Attacken handelt, die aus politischen Gründen nicht als solche benannt werden. Weil die meisten Berichte zum Thema jedoch vertraulich sind, ist eine offene Diskussion darüber schwierig.