Mittwoch, Januar 1

Die Mittel sind ab dem kommenden Jahr in der EU erhältlich. Je früher im Verlauf der Erkrankung sie verabreicht werden, desto besser wirken sie.

Demenzforscher schauen fast schon beschwingt in die Zukunft. Nach Jahren mit zahlreichen Rückschlägen bei Therapien, abnehmenden Forschungsgeldern und einer wachsenden Skepsis bei grossen Pharmaunternehmen haben nun zwei vielversprechende Medikamente die Bühne betreten. Zwar können auch die neuen Mittel eine Demenz nicht heilen. Aber erstmals können sie das Fortschreiten der kognitiven Verluste spürbar verlangsamen. Und möglicherweise sind die Substanzen der Schlüssel zur Prävention.

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Ein Medikament wird künftig auch in der EU erhältlich sein. Denn das Expertengremium der europäischen Gesundheitsbehörde EMA hat Mitte November die Zulassung empfohlen. In Deutschland könnte es bereits im kommenden Februar in Spitälern und Praxen verabreicht werden. In der Schweiz warten Ärzte wie Patienten weiter auf einen Entscheid der Swissmedic (Stand Dezember 2024).

Die EU folgt damit den USA, China und einigen anderen Ländern. Derzeit werden weltweit ungefähr 13 000 Patientinnen und Patienten damit behandelt. Seit Mitte 2024 ist zudem in den USA und einigen anderen Ländern auch das zweite Medikament verfügbar.

Die Mittel enthalten jeweils einen ganz speziellen Antikörper: entweder Lecanemab oder Donanemab. Sie werden alle zwei Wochen intravenös injiziert. Die beiden Antikörper machen im Gehirn das Gleiche, sie docken an Proteinklumpen an.

Diese Gebilde sind äusserst unerwünscht. Denn sie sind giftig für Nervenzellen. Aus noch ungeklärten Gründen entstehen sie im Laufe des Lebens und sammeln sich um die Nerven herum an. Irgendwann, manchmal erst nach Jahrzehnten, werden denen die Müllhaufen zu gross – sie sterben.

Fehlen sehr viele Nervenzellen, wird das Netzwerk im Gehirn löchrig. Es kommt zu den bekannten geistigen Ausfällen einer Demenz. Die Patienten werden vergesslich, können sich nicht mehr an Namen oder Tätigkeiten erinnern, ihre Persönlichkeit verändert sich.

Wider das Vergessen . . .

Endlich können Mediziner den Gedächtnisverlust hinauszögern. Jahrzehntelange Forschung hat die tückische Erkrankung namens Demenz aus ihrem Schattendasein geholt. In einer Serie beleuchten wir diese Entwicklungen.

Doch warum verzögert sich das Fortschreiten der Demenz, wenn die Müllhaufen mit Antikörpern dekoriert sind? Es hat sich gezeigt, dass Proteinklumpen, an denen Antikörper kleben, von der Müllabfuhr im Gehirn eingesammelt und entsorgt werden. Dadurch wird das Nervensterben verlangsamt. Warum es nicht völlig aufhört, ist noch unklar. Denn das wäre ja noch viel besser: Der weitere Verlust an Nervenzellen würde gestoppt, und damit auch jener der geistigen Fähigkeiten.

Die beiden Antikörper sind also keine Wundermittel. Sie tun zwar auf jeden Fall das, was von ihnen erwartet wird: Die Proteinklumpen im Gehirn verschwinden. Aber nicht alle Behandelten profitieren gleich gut. Viele berichten von einer deutlichen Verlangsamung ihres Verfalls, und das über Monate hinweg. Bei anderen hingegen geht der Verlust der geistigen Fähigkeiten nahezu ungebremst weiter.

«Wir gehen davon aus, dass die Antikörper umso besser wirken, je früher im Verlauf einer Alzheimererkrankung sie gegeben werden», sagt Robert Perneczky vom Alzheimerforschungszentrum an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Derzeit dürfen jedoch nur Patienten die neuen Medikamente erhalten, die bereits leichtgradige Symptome einer Alzheimerdemenz aufweisen. Denn nur bei solchen Personen wurden die Medikamente in den klinischen Studien ausgetestet. Alle diese Personen haben aber bereits zahlreiche Löcher im Nervennetzwerk, ihre Denkprozesse sind also bereits gestört.

Noch ist unklar, wie lange der Effekt der Medikamente anhält. Und ob Frauen und Männer gleichermassen profitieren. Antworten wird es erst in den nächsten Jahren geben.

Schwere Nebenwirkungen sind selten

«Erst durch eine breite Anwendung in den kommenden Jahren werden wir zudem besser vorhersagen können, welche Patientinnen und Patienten am meisten von den neuen Antikörpern profitieren», betont Perneczky. Daher sei die Zulassung in Europa auch ein Segen. «Wir haben da seit Monaten gebangt, schliesslich hatten die EMA-Experten noch im Sommer 2024 die Zulassung abgelehnt mit der Begründung, die Mittel hätten zu gravierende Nebenwirkungen und dafür zu wenige Wirkungen.»

In der Tat kam es in den klinischen Studien bei rund 12 Prozent der Probanden zu Entzündungen oder kleinen Blutungen im Gehirn. Diese traten meist in den Monaten nach der ersten Injektion auf und waren temporär. Zudem wurden in den USA einige wenige Todesfälle nach der Verabreichung der Antikörper gemeldet. Noch wird untersucht, ob wirklich das Medikament diese verursacht hat und welche Patientengruppe besonders betroffen war. Denn Schwellungen, Blutungen oder auch Entzündungen treten im Gehirn von Alzheimerpatienten auch krankheitsbedingt auf.

Eventuell ist das Risiko weniger gross als zuvor angenommen. «Aus den USA und Japan wird nun berichtet, dass im klinischen Alltag weit weniger dieser gefürchteten Hirnprobleme auftraten als in den Studien», erzählt Mathias Jucker vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Tübingen. Offenbar entwickelten sich die Probleme vorwiegend bei Patienten mit speziellen Genvarianten. Diese Gruppe darf in der EU den Antikörper gar nicht erhalten.

Um die möglicherweise bedrohlichen Probleme rechtzeitig zu erkennen, haben die Zulassungsbehörden zudem regelmässige Kontrollen angeordnet. Patienten, die die neuen Antikörper erhalten, müssen alle paar Wochen Hirnuntersuchungen via Kernspintomograf durchführen lassen.

Die Therapie kostet bis zu 50 000 Dollar pro Jahr

Sowohl diese aufwendigen und sehr teuren Kontrollen als auch die Tatsache, dass die Mittel alle zwei Wochen intravenös verabreicht werden müssen, verunmöglichen zum jetzigen Zeitpunkt eine breite Anwendung der Antikörper. Wer zu weit weg wohnt von einem Zentrum, das die MRI-Kontrollen durchführen kann, erhält sie nicht. Zudem kostet die gesamte Therapie rund 50 000 Dollar pro Jahr.

«Auch hierzulande ist die Infrastruktur für die neuen Medikamente noch nicht völlig parat», sagt Giovanni Frisoni, Neurologe und Demenzforscher am Universitätsspital Genf. Aber er ist zuversichtlich. «Erst als es Internet-fähige und leistungsstarke Mobiltelefone gab, erkannte man die Notwendigkeit eines leistungsstarken Mobilfunknetzes. Und dann kam 5G.»

Die beiden Antikörper sind erst der Anfang einer neuen Therapie-Ära, davon sind alle befragten Experten überzeugt. Es werde noch wirksamere Antikörper geben. Zudem wird derzeit ein Transportmolekül ausgetestet, das mehr Wirkstoff ins Gehirn bringt. Auch dürfte die Handhabung einfacher werden. So wird in Studien eine Injektion unter die Haut erprobt. Getüftelt wird auch an neuen Kombipräparaten, die sowohl Proteinklumpen abräumen als auch das Nervenzellsterben eindämmen.

Warum eine präventive Therapie plausibel ist

Ein weiterer Grund für die gute Laune der Demenzforscher: Der langersehnte Durchbruch in der Prävention ist dank den neuen Antikörpern sehr viel näher gerückt. Die Antikörper bremsen die Demenz umso besser ab, je früher sie gegeben werden. «Es gibt also biologisch gesehen keinen Grund, sie nur Patienten zu verabreichen, die schon Symptome und somit viele Defekte im Gehirn aufweisen», sagt der Neurobiologe Mathias Jucker.

Wie erwähnt lagern sich im Laufe des Lebens giftige Proteinklumpen um die Nerven herum an. Aber längst nicht jeder Mensch, der sie im Gehirn mit sich herumträgt, wird dement. Erst wenn sich in den Nerven klebrige Faserbündel ansammeln, beginnt das grosse Nervensterben. Doch noch ist unbekannt, wer oder was dieses Desaster auslöst. Forscher nennen es den grossen Unbekannten.

«Folgendes Szenario wäre künftig denkbar», erklärt Jucker. «Wir checken regelmässig und schon in jüngerem Alter, ob jemand die Proteinklumpen aufweist.» Die Werkzeuge dafür stehen seit kurzem bereit: neue Bluttests, die einfach und zuverlässig die Klumpen anzeigen. Werden sie entdeckt, werden für einige Wochen oder Monate die Antikörper verabreicht. Die Klumpen verschwinden.

Die grosse Hoffnung ist nun, dass dann das Nervensterben gar nicht erst anfängt, selbst wenn der grosse Unbekannte vorbeikommt. So würden die Antikörper verhindern, dass es überhaupt zu einer Demenz kommt. Oder zumindest würde der Beginn um Jahrzehnte hinausgezögert. Es wird nun in klinischen Studien untersucht, ob die Antikörper tatsächlich präventiv wirksam sind.

Jucker hat sogar schon einen Verdacht, wer der grosse Unbekannte sein könnte, der das Nervensterben startet: spezielle Proteine, die als Reaktion auf chronische, subakute Entzündungen durch die Proteinklumpen entstehen. «Doch das ist Spekulation», meint er und lächelt verschmitzt.

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