Samstag, Dezember 28

François Bayrou setzt mit seinem Kabinett der Mitte auf eine andere Strategie als sein gestürzter Vorgänger. Doch auch ihm droht bereits Ungemach – und damit Frankreich und Europa.

François Bayrou hat in seiner langen politischen Karriere schon fast alle Facetten des französischen Politikbetriebs kennengelernt, und dies, obwohl er einer Kleinstpartei angehört. Obwohl er über die Parteigrenzen hinaus geschätzt wird, sind ihm die höchsten Ämter lange verwehrt geblieben. Drei Mal kandidierte er erfolglos für das Präsidentenamt. Schon mehrfach war er zudem für das Amt als Regierungschef im Gespräch. Doch Bayrou musste 73 Jahre alt werden, bis ihm der Posten anvertraut wurde. Es heisst, Bayrou sei nicht Emmanuel Macrons Wunschkandidat gewesen. Aber nicht nur deshalb stellt sich die Frage, ob Bayrou mit dieser Position tatsächlich seine Karriere krönen wird.

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Wieder (zu) viele Macronisten

Bayrou übernimmt die Geschicke des Landes in der grössten politischen Krise seit Jahrzehnten. Seine Regierung, die er zu Beginn der Woche vorgestellt hat, ist bereits die vierte in diesem Jahr. Zuvor war sein Vorgänger Michel Barnier über ein Misstrauensvotum gestürzt – ein Vorgang, den es in Frankreich letztmals vor 62 Jahren gegeben hatte. Weil Neuwahlen von der Verfassung bis im kommenden Sommer ausgeschlossen sind, steht Bayrou vor derselben, schier unmöglichen Aufgabe wie Barnier: Er muss Mehrheiten finden in einem Parlament, in dem es weder klare Mehrheiten noch Kompromissbereitschaft gibt.

Die Zusammensetzung seines Kabinetts zeigt zwar, dass Bayrou auf eine andere Strategie setzt als Vorgänger. Während Barnier mit Konservativen und einigen Mittepolitikern regierte, ist Bayrous Team breiter aufgestellt: Die meisten Minister gehören einer Zentrumspartei an, vier von ihnen waren früher bei den Sozialisten. Doch ist auch das keine Garantie dafür, dass Bayrou länger im Amt sein wird als Barnier, dem das Parlament nach nur drei Monaten das Vertrauen entzog.

Erstens ist es Bayrou nicht gelungen, sich die Unterstützung der gemässigten Linken zu sichern. Sie wäre nötig, um zusammen mit den im Kabinett vertretenen Fraktionen eine Mehrheit zu erreichen. Es geht dabei vor allem um die Sozialisten. Sie hatten eine Regierungsbeteiligung zwar abgelehnt, aber die Möglichkeit ins Spiel gebracht, Bayrou zu dulden. Davon ist nun aber keine Rede mehr: Dass gleich mehrere Ex-Sozialisten im Kabinett sitzen, empfindet man dort gar als Affront. Zudem hat Bayrou die Forderung abgelehnt, die Umsetzung der Rentenreform vorerst auf Eis zu legen.

Zweitens besteht Bayrous Kabinett mehrheitlich aus Personen, die schon früher in Regierungen von Emmanuel Macron dienten. Der nun spöttisch geäusserte Vorwurf der Opposition, es handle sich bei Bayrous Regierung um ein «Recycling» von Macrons Getreuen, ist nicht von der Hand zu weisen. Diese Wahrnehmung erschwert dem Regierungschef die Aufgabe. Bayrou ist zwar offensichtlich bemüht, sich vom Präsidenten zu emanzipieren. Doch seine zum Teil bereits sehr selbstbewusst auftretenden Minister bleiben Gesichter des «Macronismus», von dem viele Parlamentarier nichts mehr wissen wollen.

Den Misstrauensantrag im Nacken

Bayrous erste Bewährungsprobe steht Mitte Januar an. Dann wird er in einer Regierungserklärung die grossen Linien seiner Politik vorstellen. Die extreme Linke hat bereits angekündigt, danach einen Misstrauensantrag zu stellen. Die gemässigte Linke will ihr Verhalten vom Inhalt des Programms abhängig machen, genauso wie das rechtsnationale Rassemblement national. Bayrou könnte also stürzen, bevor seine Minister auch nur einen einzigen Gesetzesvorschlag vorgestellt haben. Oder aber er kann sich von Abstimmung zu Abstimmung hangeln – getrieben von den Forderungen von links oder von ganz rechts und immer mit der Gefahr im Nacken, einem Misstrauensvotum zum Opfer zu fallen.

Ob sich François Bayrou den Höhepunkt seiner Karriere so vorgestellt hat? Wohl kaum. Viel schwerer wiegen jedoch die Konsequenzen für Frankreich und Europa. Hoffnungen auf stabilere Verhältnisse in Paris sind erst realistisch, nachdem die Französinnen und Franzosen wieder an die Wahlurnen gerufen worden sind. Das dauert noch mindestens sechs Monate. Bis dahin wird das Land politisch nicht vorankommen. Schlimmer noch: Der bereits immense Schuldenberg des Landes wird vorerst weiter wachsen – und Frankreichs Position in Europa und der Welt wird weiter geschwächt. Da kann der Präsident noch so gute aussen- und europapolitische Ideen haben: Wenn in der Innenpolitik eine derartige Blockade herrscht, schadet das seiner Glaubwürdigkeit.

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