Samstag, November 30

Der Klub startet mit dem Trainer in die Saison, der als entlassen galt. Erik ten Hag bleibt bei seinem Konzept: Er verpflichtet vor allem Niederländer.

Der späte Siegtreffer für Manchester United gegen den FC Fulham zum Saisonauftakt der Premier League löste im Verein grosse Erleichterung aus. Denn das 1:0 trübte nicht sofort wieder die Hoffnung auf ein deutlich besseres Abschneiden als in der vergangenen Spielzeit, als der englische Rekordmeister als Achter ins Ziel kam, die schlechteste Platzierung seit Einführung der Premier League 1992.

Doch für die so dringend benötigte Aufbruchsstimmung konnte der Erfolg am Freitag nicht sorgen. Das Duell mit Fulham war eher eine Fortsetzung der bisher wenig stringenten Spielweise unter dem Trainer Erik ten Hag. Das Team präsentierte sich erneut wenig effizient und nicht stabil genug.

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Keine Einigung mit Thomas Tuchel

Dabei gingen die Fans davon aus, dass Jim Ratcliffe, der an Weihnachten 2023 eine Minderheitsbeteiligung mit der Besitzerfamilie Glazer ausgehandelt und sich damit die Entscheidungshoheit über die Fussballstrukturen gesichert hatte, dem Klub schon für diese Spielzeit eine andere Ausrichtung verpasst.

Tatsächlich tauschte Ratcliffe zwar mit seiner Ineos-Truppe unmittelbar nach seinem Einstieg das gesamte Management aus. Er verpflichtete mit Omar Berrada, abgeworben vom Stadtrivalen Manchester City, einen neuen Geschäftsführer und installierte Dan Ashworth von Newcastle United als Sportdirektor. Zudem übernahm der vom FC Southampton im April losgeeiste Jason Wilcox die Stelle des Technischen Direktors, und Christopher Vivell wurde mit der vorübergehenden Zuständigkeit für die Talentsuche bedacht.

Allerdings weigerten sich Manchester City und Newcastle, die Führungskräfte abzugeben. Sie stellten sie jeweils bei Fortzahlung ihres Gehalts frei – Berrada für sechs und Ashworth für achtzehn Monate –, so dass es diesen rechtlich nicht erlaubt war, in dieser Zeitspanne in irgendeiner Form für Manchester United tätig zu werden. Dadurch konnte Berrada erst Mitte Juli seine Arbeit bei United aufnehmen, und bei Ashworth war das auch nur zwei Wochen früher der Fall, nachdem er sich mit Newcastle doch noch über eine Vertragsauflösung einig geworden war.

Uniteds Führungsvakuum in der Vorsaison kam besonders dem seinerzeit vor dem Rauswurf stehenden ten Hag entgegen. Der Klub schob die Trainerpersonalie immer wieder auf, am Ende bis zur finalen Saisonanalyse in der Sommerpause – als die Situation nach dem überraschenden Cup-Sieg gegen Manchester City im Mai auf einmal nur noch bedingt für eine Trennung sprach. Trotzdem lotete Ratcliffe das Interesse von Trainerkandidaten aus, unter anderem von Thomas Tuchel. Die gegenseitige Überzeugung für eine Zusammenarbeit schien aber zu fehlen.

Der Verein besass wohl ohne die neue Führung noch keine plausible Strategie, und die Meinung der Fans hatte sich ebenfalls zugunsten von ten Hag gedreht. Nach anderthalb Wochen Bedenkzeit bestätigte United die Zusammenarbeit mit dem Niederländer und verlängerte dessen Vertrag als Zeichen der Unterstützung um ein Jahr bis 2026.

So erlebte der 54-Jährige eine kaum für möglich gehaltene Metamorphose. Er wurde gewissermassen von einem dead man walking zu einem last man standing – von einem lebenden Toten zum letzten Überlebenden. Obwohl Ratcliffe im Winter eigentlich angekündigt hatte, dass zukünftig der Verein die Richtlinie vorgibt, befindet sich nun wieder der Coach bei der Saisonplanung in einer bestimmenden Position. Bis sich die Laufwege des neuen Managements einspielen, kann ten Hag wohl weiter fast nach Belieben walten, was sich in seiner niederländisch geprägten Transferpolitik ausdrückt.

In der Vorwoche kaufte United dem FC Bayern die Abwehrspieler Matthijs de Ligt und Noussair Mazraoui ab – für mindestens 60 Millionen Euro, je nach Höhe der Bonuszahlungen, womit sich die Gesamtablösesummen unter ten Hag seit Beginn von dessen Tätigkeit 2022 auf ungefähr 600 Millionen belaufen. Als Einstellungskriterium gilt bei de Ligt und Mazraoui, die sich in München nicht zu konstanten Stammspielern entwickeln konnten, ihre gemeinsame Zeit mit dem Trainer bei Ajax Amsterdam. Mit ihnen weisen jetzt fünf Profis im United-Team dieses Merkmal auf, da auch die bereits geholten André Onana, Lisandro Martínez und Antony einst für ten Hags Ajax gespielt hatten.

Aus Manchester United wird Dutchester United

Vier weitere Verpflichtungen des Vereins haben ebenso eine Vergangenheit in der niederländischen Eredivisie: Christian Eriksen, Tyrell Malacia, Mason Mount sowie der neulich vom FC Bologna akquirierte Angreifer Joshua Zirkzee, dem nach seiner Einwechslung gegen Fulham zum Einstand das Siegtor gelang. In den Vorsaisons waren Sofyan Amrabat und Wout Weghorst ausgeliehen worden, für die dasselbe zutraf. Ausserdem nahm United Rasmus Hojlund unter Vertrag, der von der gleichen niederländischen Beratungsagentur vertreten wird wie ten Hag. Und dessen neue Assistenten, unter ihnen die Torjäger-Legende Ruud van Nistelrooy, stammen ebenfalls alle aus der Heimat.

Dadurch gleicht Manchester United immer mehr Dutchester United: Dutch steht im Englischen für «niederländisch». Erik ten Hag bestreitet, dass die Niederlandisierung des Klubs ein bewusstes Vorgehen von ihm ist. Tatsächlich wirkt sie eher wie ein Ausdruck der sehr von sich überzeugten Persönlichkeit des Trainers. Er vertraut bei der Zusammenstellung des Kaders überwiegend seinen eigenen Erfahrungen. Nun steht er unter Druck, eine Spielweise zu implementieren, die Begeisterung auslöst. Sonst wird Jim Ratcliffe kaum etwas anderes übrigbleiben, als auch den Trainer auszutauschen. Und damit den erwarteten Neuanfang zu vollziehen.


Ratcliffe verärgert die Frauen

Wahrscheinlich hätte sich Manchester United kürzlich viel Kritik erspart, wenn sich der seit Weihnachten für die Fussballabteilung zuständige neue Minderheitseigentümer Jim Ratcliffe genauso für das Frauenteam seines Klubs eingesetzt hätte wie für die Männer. In einem knapp dreiviertelstündigen TV-Interview mit Bloomberg wirkte der Brite jedoch überrascht und unvorbereitet, als er darauf angesprochen wurde, wie die Perspektive der United-Frauen aussehe.

Kurz angebunden antwortete Ratcliffe, der sich zu den anderen Themen jeweils ausführlich äusserte, dass diese doch erst den FA Cup gewonnen hätten. Auf die Nachfrage, ob auch sein Klub plane, die Frauen von den Männern zu lösen und als eigenes Business zu führen, wie das Chelsea neulich gemacht hat, sagte der 71-Jährige, dass er noch nicht so weit ins Detail gegangen sei. Bisher habe man sich darauf konzentriert, die Probleme «der ersten Mannschaft» zu lösen – womit er zweifelsfrei das Männerteam meinte.

Die Aussagen lösten in England einen Aufschrei aus, weil sie das irritierende Gefühl hinterliessen, dass Ratcliffe die Männer im Verein gegenüber den Frauen priorisiert. Dieser Eindruck verfestigte sich, als Manchester United bald darauf bekanntgab, das Frauenteam müsse für die Saison 2024/25 aus dem vor einem Jahr für 10 Millionen Pfund eröffneten Trainingsgebäude in eine mobile Anlage umziehen – damit das Männerteam die Einrichtungen nutzen könne. Der Grund dafür sind Modernisierungsarbeiten für kolportierte 50 Millionen im Männerbereich.

Angeblich soll sich der Klub um alternative Möglichkeiten bemüht haben, gelangte aber zur Erkenntnis, dies sei die bestmögliche Entscheidung, weil die Frauen so immerhin weiter die Trainingsplätze sowie die Fitness- und Essenseinrichtungen nutzen könnten. Ein Ausweichen der Männer in Container stand offenbar nicht wirklich zur Debatte. Das Vorgehen lässt sich vielleicht ökonomisch erklären: Die Frauen machen im Vergleich zu den Männern nur einen kleinen Teil des Klubumsatzes aus. Allerdings konterkariert es die Bemühungen, den Frauenfussball zu fördern und sie mit den Männern gleichzustellen.

Das Sportmagazin «The Athletic» berichtet, dass die englische Profifussballer-Gewerkschaft (Professional Footballers’ Association) über die Unzufriedenheit des Frauenteams bei Manchester United informiert worden sei. Dies wäre das zweite Mal in drei Jahren, nachdem sich einige Spielerinnen bereits 2021 über die Trainingsbedingungen beklagt hatten.

Die Frauen von United schnitten jüngst – wie die Männer – trotz Cup-Sieg enttäuschend ab, der fünfte Platz in der Vorsaison war das schlechteste Ligaergebnis. Daraufhin verliessen wie im Vorjahr mehrere Leistungsträgerinnen den Klub, unter ihnen die englische Nationaltorhüterin Mary Earps. Sie wechselt ablösefrei zu Paris Saint-Germain.

Die sportlichen Probleme gleichen denen der Männer. Nur ist dort das Bemühen von Jim Ratcliffe nach Besserung klar herauszuhören.

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