Die Schweizer Chemie- und Pharmabranche kämpft für das Vertragspaket mit der EU. Die Branche legte am Mittwoch eine externe Analyse vor, die den Wert des Zugangs zum EU-Forschungsprogramm zeigen soll.

Zu den lautesten Schweizer Lobbyisten für eine geregelte Beziehung zur EU zählen die Hochschulen. Ihnen liegt viel an der vollen Schweizer Teilnahme am EU-Forschungsprogramm Horizon. Das gängige Bild von Schweizer Forschern dazu ist aus dem Fussball entlehnt: Die Teilnahme an der europäischen Champions League bietet viel mehr Entwicklungsmöglichkeiten als die nationale Meisterschaft.

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Immerhin ist die Schweiz in Sachen Forschung und Innovation im Gegensatz zum Fussball international relativ hoch angesehen. Gemäss der Innovationsrangliste der EU-Kommission für 2024 ist die Schweiz sogar Nummer 1 auf dem Kontinent. Und in internationalen Hochschul-Rankings schneidet das bekannteste Schweizer Institut (ETH) besser ab als die höchstklassierten Institute in der EU, und auch die EPFL ist gut platziert. Doch was für Fussballvereine gilt, gilt auch für Forscher: Auch die besten wollen in die Champions League.

Geld genügt nicht

Die EU weiss deshalb, dass sie mit den Zugangsregeln zu ihrem Forschungsprogramm die Schweiz piesacken oder auch motivieren kann. Das zeigte sich, als Brüssel den Zugang zu diesem Programm einschränkte, nachdem die Schweiz die Verhandlungen zu einem Rahmenabkommen abbrach. Diese Strafaktion endete Anfang 2025 als sich die Schweiz und die EU auf ein neues Vertragspaket einigten. Diesem Vertrag steht aber noch eine schwierige Abstimmung in der Schweiz bevor. Bei einem Scheitern des Vertragspakets an der Urne muss die Schweiz erneut mit einer Rückstufung bei Horizon rechnen.

Nebst den Hochschulen zeigen auch innovationsintensive Sektoren aus der Wirtschaft ein starkes Interesse an der vollen Teilnahme am EU-Forschungsprogramm. Die Einschränkungen von 2021 bis 2024 liessen sich durch Zusatzfinanzierungen mit Schweizer Steuergeldern nicht voll kompensieren. Dies betont eine am Mittwoch präsentierte Studie der Beratungsfirmen Barbara Haering sowie Strategos im Auftrag des Branchenverbands Scienceindustries (Chemie/Pharma). Trotz der Schweizer Übergangsfinanzierungen sprechen die Autorinnen von einem «systemischen Verlust an Einfluss und Wettbewerbsfähigkeit» der Schweiz.

Die Untersuchung beruht auf Dokumentenanalysen und auf Fachgesprächen mit 46 Exponenten namentlich aus Privatwirtschaft und Hochschulen. Als Folge der Einschränkungen des Schweizer Zugangs zum EU-Programm ab Juli 2021 konnten sich Schweizer Forscher zwar weiterhin an Verbundprojekten von Horizon beteiligen, doch die Finanzierung hatte durch die Schweiz zu erfolgen. Schweizer Forscher konnten sich nicht mehr für Leitungsfunktionen bei EU-Projekten bewerben, und sie waren von der prestigeträchtigen «Exzellenz-Förderung» der EU via Einzelprojekte ausgeschlossen. So wie die Champions League im Fussball gilt das EU-Programm in der Forschung als attraktive Bühne für Talente. Die Bühne ermöglicht Exponierung, Kontakte, Wettbewerb und Erfahrungen.

Vitamin B ist gefragt

Das gilt nicht nur für Hochschulforscher, sondern auch für innovationsintensive Unternehmen, wie die Studie betont. Der Mehrwert für Jungfirmen im Wachstumsmodus und sonstigen kleineren Betrieben liegt laut der Analyse vor allem im Zugang zu internationalen Beziehungsnetzen mit möglichen Forschungspartnern, Investoren und Wertschöpfungspartnern. Durch die Einschränkung des Zugangs litten die KMU am meisten, sagt Co-Autorin Barbara Haering. Der Mehrwert für Grossfirmen liegt derweil laut dem Bericht in der Unterstützung für den nächsten Innovationszyklus, dem besseren Zugang zu einem internationalen Talentpool und der stärkeren Interessenvertretung gegenüber der EU-Politik.

In aggregierten Zahlen lassen sich die Verluste durch Einschränkungen des Zugangs derzeit kaum schlüssig belegen: Es mag oft um schleichende Effekte gehen, die mit zunehmender Dauer der Zugangsbeschränkung stärker ins Gewicht fallen. Die Schweizer Studie versucht durch einige Fallbeispiele die Sache plastischer zu machen. Etwa anhand eines Appenzeller 10-Personen-Betriebs, der auf elektro-optische Leiterplatten spezialisiert ist. Wegen der Strafaktion der EU gegen die Schweiz ab 2021 verlor das Unternehmen laut der Studie «den Zugang zu essenziellen Netzwerken sowie zu potenziellen Abnehmern innerhalb kritischer Lieferketten». Die Firma stehe nun deshalb vor grossen Problemen, die «nur schwer zu lösen sind».

Aufgrund von Simulationsrechnungen der EU und von Schweizer Abschätzungen ist laut der Studie zu befürchten, dass eine langfristige Einschränkung des Zugangs zum EU-Forschungsprogramm nicht nur auf einzelne Unternehmen, sondern «auf die Wettbewerbsfähigkeit der wissensbasierten Industrie insgesamt niederschlagen würde»

Das EU-Forschungsprogramm Horizon Europa verfügt laut EU-Angaben für 2021 bis 2027 über ein Budget von total rund 95 Milliarden Euro. Laut EU-Rechnungen mit drei volkswirtschaftlichen Modellen könnte mit diesem Programm pro investierten Euro bis 2045 die Wertschöpfung in der EU-Wirtschaft um total etwa 4 bis 11 Euro wachsen. Das sind sehr grobe und naturgemäss wacklige Abschätzungen.

Klar ist hingegen, dass selbst die EU-skeptischen Briten trotz Spitzenuniversitäten im eigenen Land beim EU-Forschungsprogramm voll dabei sein wollen. Nach ihrem EU-Austritt von 2020 haben die Briten per 2024 im Rahmen eines politischen Abkommens den gewünschten Zugang als «assoziiertes Mitglied» von Horizon Europe erhalten.

Diesen Status hat seit Anfang 2025 auch wieder die Schweiz – provisorisch. Ein solcher provisorischer Zugang genügt laut Barbara Haering wegen der mangelnden Rechtssicherheit für viele Unternehmen nicht. Mehr Klarheit werden in den nächsten Jahren wohl die Schweizer Stimmbürger schaffen. In die eine oder andere Richtung.

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