Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider versucht, die zerstrittene Branche zum Kompromiss zu zwingen. Ab 2026 sollen endlich neue Tarife für ambulante Leistungen gelten. Brisante Fragen bleiben offen.
Gemessen an den Turbulenzen im Vorfeld, an den scharfen Interventionen und den vielen Krisensitzungen, ist der Entscheid des Bundesrats am Mittwoch geradezu unspektakulär ausgefallen. Ohne nennenswerte Gegenwehr aus anderen Departementen hat sich Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider durchgesetzt: Der Bundesrat hat beschlossen, dass Spitäler und Arztpraxen ab 2026 sämtliche ambulanten Leistungen nach gänzlich neuen Ansätzen abrechnen werden.
Auf diesen Zeitpunkt soll der veraltete Tarif Tarmed endlich abgelöst werden durch ein neues System, das die medizinischen Fortschritte der letzten zwanzig Jahre abbildet. Auf dass vor allem gewisse Spezialärzte für technische Leistungen, die heute in der halben Zeit erbracht werden können, nicht mehr doppelt so viel Geld erhalten wie nötig.
Die Tragweite ist enorm. Die Tarife für ambulante Untersuchungen und Behandlungen sind die wichtigsten im Gesundheitswesen überhaupt. Über sie werden Kosten von gut 12 Milliarden Franken im Jahr gesteuert, Tendenz steigend. Eingezogen wird das Geld via Krankenkassenprämien für die Grundversicherung. Verteilt wird es an sämtliche Ambulatorien der Spitäler, an Einzel- und Gruppenpraxen.
Fixe Preise oder alles separat?
Die Höhe der einzelnen Tarife entscheidet letztlich darüber, wer wie viel erhält. Werden die Haus- und die Kinderärzte, die für die Grundversorgung zuständig sind, gegenüber den Spezialisten bessergestellt? Werden Psychiater mehr verdienen? Können die Spitäler, die vielenorts beträchtliche finanzielle Probleme haben, auf höhere Einnahmen hoffen? All dies hängt vom neuen Tarif ab.
Das erklärt den heftigen Verteilkampf im Vorfeld. Auf der einen Seite verfolgte die Ärzteschaft andere Ziele als die Spitäler, auf der anderen waren sich jedoch auch die Krankenkassen uneins. Nun hat Bundesrätin Baume-Schneider ein Machtwort gesprochen. Sie zwingt der Branche einen Kompromiss auf, zu dem diese selbst offenkundig nicht fähig war.
Die verschiedenen Akteure hatten beim Bund zwei verschiedene Tarife eingereicht. Nun hat der Bundesrat beschlossen, beide Gesuche teilweise gutzuheissen und die neuen Tarife gleichzeitig auf 2026 einzuführen. Damit werden nebeneinander zwei grundsätzlich verschiedene Systeme zum Einsatz kommen.
Der eine Tarif basiert auf mehreren tausend einzelnen Positionen, mit denen jede noch so kleine Leistung separat abgerechnet werden kann. Der andere Tarif sieht Fallpauschalen vor. Damit werden für aufwendige Behandlungen oder Operationen fixe Preise definiert, was die Effizienz belohnen soll. Wie die beiden Systeme genau koordiniert und abgegrenzt werden, ist noch nicht geregelt. Der Bundesrat erwartet nun, dass sich die Akteure zusammenraufen und einen gemeinsamen Plan ausarbeiten.
Die einen gewinnen, die anderen verlieren
Der wohl schwierigste Punkt ist ebenfalls weiterhin umstritten: die berühmt-berüchtigte Kostenneutralität. Das Gesetz verlangt, dass die Einführung neuer Tarife keine Mehrkosten bewirken darf. Das klingt zwar banal, die Umsetzung ist aber auch in gewöhnlichen Fällen knifflig und umstritten. Im vorliegenden Fall ist sie laut Fachleuten erst recht komplex, weil gleichzeitig zwei unterschiedliche Systeme nebeneinander in Kraft sein werden. Das macht die gezielte Steuerung der Kosten nicht einfacher. Wie sie genau funktionieren soll, müssen die Akteure in den nächsten Monaten noch klären.
Eine andere wichtige Frage ist ebenfalls noch offen: Wie lange soll die Phase dauern, in der die Kostenneutralität strikt durchgesetzt wird? In dieser Zeit führt die Besserstellung der einen Ärztegruppen und Spitäler unweigerlich zu Verlusten bei anderen. Tendenziell sollten mit den neuen Tarifen Haus- und Kinderärzte sowie Psychiater bessergestellt werden, während die Preise vor allem in der «technischen Medizin» wie der Radiologie sinken sollten.
Baume-Schneider und das Damoklesschwert
Weil nun aber die Pauschalen gleichzeitig eingeführt werden, ist laut den Hausärzten unklar, ob ihre Einnahmen wirklich zunehmen werden. Sie befürchten, dass die Spitäler mit den Pauschalen steigende Einnahmen erzielen können – was dann wegen der Kostenneutralität zu Einbussen bei den Ärzten führen würde.
Der Bundesrat hat mit seinem Entscheid einen Anfang gemacht. Damit das Ziel tatsächlich erreicht wird, müssen die chronisch zerstrittenen Akteure noch mehrere schwierige Fragen klären. Gesundheitsministerin Baume-Schneider hat sie beauftragt, bis Anfang November einen «Umsetzungsvertrag» vorzulegen. Sie hat indes nicht vergessen, das Damoklesschwert gut sichtbar aufzuhängen: Falls die Branche nicht zu einer Einigung in der Lage ist, will der Bund die Regeln selbst festlegen.