Der angeschlagene Chipriese ernennt Lip-Bu Tan zum neuen Konzernchef. Der Branchenveteran wird einen scharfen Fokus auf die Kosten richten. Vor allem aber wird er darüber entscheiden, ob Intel in der heutigen Form noch eine Existenzberechtigung hat.
Zur Zukunft von Intel gibt es viele Fragen. Immerhin ist jetzt klar, wer den angeschlagenen Chipriesen aus seiner existenziellen Krise befreien soll: Mit Lip-Bu Tan übernimmt ab dem 18. März ein neuer CEO das operative Geschäft, der in der globalen Halbleiterindustrie bestens vernetzt ist und ein hohes Ansehen geniesst.
Der 65-jährige Amerikaner, der in Malaysia geboren wurde und einen technischen Bildungshintergrund hat, war von 2009 bis 2021 CEO von Cadence Designs Systems, einem Spezialisten für Software zum Design von Halbleitern. Mit Intel ist er gut vertraut, zumal er bis im letzten August dem Verwaltungsrat angehörte. Als Gründer und Chairman der Venture-Capital-Firma Walden International gilt er zudem als Pionier der Wagniskapitalbranche in Asien.
Die erste Reaktion an der Börse ist freundlich. Nach Tans Ernennung zum Konzernchef zogen die Aktien von Intel am Mittwochabend nachbörslich mehr als 10% an. Der Kurs war bereits im regulären Handel knapp 5% vorgerückt, wobei einmal mehr Gerüchte die Runde machten, dass die Fabrikationsparte von Intel übernommen werden könnte.
«Tan bringt Intel bei Kunden, Geschäftspartnern und Investoren sofort mehr Glaubwürdigkeit», meint Stacy Rasgon, Halbleiteranalyst in Diensten von Bernstein Research. «Wir mögen ihn», hält Rasgon in einer kurzen Einschätzung weiter fest. «Er stand auf unserer Kandidatenliste ganz oben, und wir sind wirklich froh für das Unternehmen, dass er die Stelle angenommen hat.»
Wird Intel aufgespalten?
Lip-Bu Tan übernimmt keine einfache Aufgabe – um es diplomatisch zu sagen. Sein Vorgänger, Pat Gelsinger, trat Anfang Dezember abrupt zurück. Unter ihm hatte sich Intel einem ehrgeizigen Turnaround-Plan verschrieben. Doch nach einer Reihe von Enttäuschungen wurde die operative Verantwortung ad-interim Finanzchef David Zinsner und Michelle Holthaus übertragen, die Leiterin der Produktsparte. Beide werden ihre bisherige Funktion weiter ausüben.
Intels grösste Herausforderung besteht darin, den technologischen Rückstand bei der Produktion von Halbleitern gegenüber dem taiwanischen Konkurrenten TSMC aufzuholen. Das Management des Konzerns hat in den letzten Wochen während Gesprächen mit Investoren bekräftigt, dass es damit auf gutem Weg sei. 18A, die nächste Technologiestufe zur Wafer-Bearbeitung, soll plangemäss in der zweiten Jahreshälfte bereit zum Beginn der Massenproduktion sein.
Dennoch wird Intels Fertigungssparte vorerst weiterhin dunkelrote Zahlen schreiben. Als Branchenkenner mit tiefen Fachkenntnissen in der Halbleiterfabrikation weiss Tan genau wo die Probleme liegen. Wie es heisst, hatte er als Verwaltungsrat die Idee einer Aufspaltung Intels unterstützt. Als CEO ist es jetzt seine oberste Priorität zu entscheiden, ob die Sparte in ein separates Unternehmen abgetrennt wird und wenn ja, in welchem Zeitraum.
Dass zugleich auch die Produktsparte in Schwierigkeiten steckt, macht seinen Job nicht einfacher. Intel hat den KI-Boom sträflich verpasst. Das Projekt Falcon Shores wurde Ende Januar endgültig begraben. Intel wolle damit in den Markt für GPU-Prozessoren für Datacenter vordringen, der von Nvidia dominiert wird. Im Kerngeschäft mit CPU-Prozessoren für PC-Geräte und Grossrechner hat Intel derweil laufend Marktanteile an AMD verloren.
Das Resultat ist eine desaströse Performance der Aktien. Ihr Kurs ist in den letzten fünf Jahren 60% eingebrochen, während der PHLX Semiconductor Index 175% vorgeprescht ist.
Kosten und Effizienz stehen im Fokus
Ob Lip-Bu Tan der richtige Mann ist, wird sich zeigen. Er ist bereits der vierte permanente CEO von Intel in sieben Jahren. Auf Brian Krzanich, der 2018 wegen einer Affäre mit einem Mitglied der Belegschaft zurücktrat, folgte Anfang 2019 Finanzchef Bob Swan. Er wurde zwei Jahre später gefeuert, nachdem es bei der Lancierung einer neuen Chip-Generation zu Verzögerungen gekommen war. Im Februar 2021 übernahm Pat Gelsinger den Posten.
Angesichts von Tans Alter fragt sich, ob er ausreichend Energie für den schwierigsten Job in der Halbleiterindustrie mitbringt. Andererseits spricht sein Leistungsausweis für sich. Unter seiner Ägide ist der jährliche Umsatz von Cadence von 850 Mio. $ auf 2,7 Mrd. $ gewachsen, die operative Marge auf Stufe Ebit hat sich von rund 14% gegen 30% ausgedehnt, der Aktienkurs ist von rund 4 auf 184 $ explodiert.
Unbestritten ist ebenso sein Erfolg als Wagniskapital-Investor. Seine 1987 gegründete Firma Walden International engagiert sich vorab in den Bereichen Halbleiter, erneuerbare Energien und digitale Medien. Zu den Portfoliogesellschaften zählten der Chipdesigner Ambarella, der Elektronikkonzern Creative Technology und die Computergrafik-Firma S3 Graphics. Derzeit sitzt Tan im Verwaltungsrat der französischen Industriegruppe Schneider Electric und hatte zuvor VR-Mandate bei Softbank sowie bei Hewlett Packard Enterprise.
Als neuer CEO von Intel dürfte er vor allem einen scharfen Fokus auf Kosten und Effizienz richten. Er wurde im September 2022 als Experte für Akquisitionen ins VR-Gremium des Konzerns gewählt, worauf sein Mandat ein Jahr später auf die Aufsicht des Produktionsbetriebs erweitert wurde. Dem Vernehmen nach kündigt er seinen Posten aus Frustration über den aufgeblähten Verwaltungsapparat und die bürokratische Unternehmenskultur.
Dass sich das Führungsvakuum bei Intel auflöst, sind gute Nachrichten. Jetzt muss Tan beweisen, dass er die Vorschusslorbeeren an der Börse tatsächlich verdient.