Sonntag, Januar 12

Der scharfe Hund ist zurück – und wie. Für sagenhafte 2300 Dollar die Stunde durchforstet der amerikanische Anwalt die CS-Archive nach Helfern und Helfershelfern der Nazis. Dafür hat er einen Freibrief der USA.

Neil Barofsky, der langjährige Schrecken jedes Bankers der früheren Credit Suisse (CS), ist zurück. Viel mächtiger als zuvor – und offenbar auch deutlich besser gelaunt. Als unabhängiger Ombudsmann überwacht der 54-jährige Partner der amerikanischen Anwaltskanzlei Jenner & Block ein Team von gut fünfzig Personen. Diese durchforsten an bis zu sechs Tagen die Woche die Archive der CS zum dunkelsten Kapitel ihrer Geschichte: dem Umgang der Grossbank mit jüdischen Geldern und mit Nazis in der Zeit vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg.

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Barofsky hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Er will nicht weniger, als ein neues Kapitel in der Aufarbeitung des Holocaust zu schreiben. Das zeigen Gespräche mit Involvierten, dies erschliesst sich auch aus einer jüngst veröffentlichten E-Mail von ihm an den US-Haushaltsausschuss betreffend «Übersicht über die Untersuchung von Naziverbindungen bei der Credit Suisse». Der frühere Holocaust-Vergleich aus dem Jahr 1999 habe sich auf die Opfer der Nazizeit konzentriert, ist zu hören, Barofsky mache nun Jagd auf die Täter, das sei sein Plan.

Den Job als Ombudsmann bei der CS hatte Barofsky bekanntermassen zwischen Juni 2021 und November 2022 schon einmal inne. Wegen eines Streits über das Ausmass der Nachforschungen und seine Arbeitsweise erneuerte die Grossbank seinen Vertrag nicht mehr. Ein Jahr später hat ihn nunmehr die UBS zurück auf seine alte Position geholt.

Der am meisten gehasste Mann in der CS

Barofsky sei im Vergleich zu früher menschlich wie ausgewechselt, sagen Personen, die heute mit ihm zusammenarbeiten. Der amerikanische Anwalt war ja schon in mehreren Rollen bei der CS aktiv. Das erste Mal überwachte er bei der CS als sogenannter Monitor ab 2014, ob diese im Nachgang des Steuerstreits mit den USA ihre internen Prozesse so gefestigt hatte, dass amerikanische Kunden kein Geld mehr vor dem US-Fiskus verstecken konnten. Während vier Jahren sass Barofsky mit zeitweise hundert Mitarbeitern unweit des Zürcher Paradeplatzes. Und er sei in dieser Zeit der am meisten gehasste Mann in der Bank gewesen, so erinnern sich frühere CS-Banker. Arrogant sei er aufgetreten, selbstherrlich und wenig interessiert an einer differenzierten Betrachtung.

Sieben Jahre später ist, jetzt aus der UBS, nur noch Gutes über ihn zu hören. Eine Person, die mit ihm zusammenarbeitet, bezeichnet Barofsky als einen liebenswürdigen Mann, als aufrichtig und als jemanden, der leidenschaftlich entschlossen sei, die Wahrheit zu finden.

Der Zeitpunkt der Publikation der neuesten E-Mail von Barofsky sei auch politisch motiviert, glaubt ein Insider. Und verweist auf jüngste Medienberichte, dass die UBS kurz vor einer Einigung mit dem US-Justizministerium über eine hohe Zahlung wegen einer anderen CS-Altlast stehen soll. Laut dem «Wall Street Journal» soll es dabei um Versäumnisse der CS nach der Einigung im Steuerstreit gehen, damals sass Barofsky bereits als Monitor bei der Grossbank.

Trotzdem hat Barofsky Grund zur guten Laune. Sein Mandat hat sich deutlich vergrössert. Beim ersten Engagement ab Juni 2021 überwachte er nur die Aufarbeitung einer Liste von 12 000 in Argentinien ansässigen Deutschen, die möglicherweise Verbindungen zu Nazis hatten. Mit dieser Liste hatte sich die jüdische Nichtregierungsorganisation Simon Wiesenthal Center ursprünglich an die CS gewandt.

Rapportieren in die USA

Zwar ist das Thema Holocaust-Gelder auf Schweizer Banken seit 1999 abschliessend geregelt. So regelte der globale Vergleich mit jüdischen Klägern in den USA das Thema für die gesamte Schweiz allumfassend, auch in Bezug auf künftige, damals noch nicht bekannte Vorgänge. Im Geiste des früheren CS-Verwaltungsratspräsidenten Rainer E. Gut arbeitete die Grossbank aber weiter bei historischen Abklärungen mit.

Auch die Argentinien-Liste wurde mit den neuesten forensischen Mitteln noch einmal überprüft. Die externen Forensiker Alix Partners, deren Arbeit Barofsky als Ombudsmann überwachte, kamen zu dem Schluss, dass lediglich 8 bisher nicht bekannte Nazikonten bei der früheren Kreditanstalt aus dem Zeitraum von 1933 bis 1945 in der Liste gefunden wurden. Von denen waren 7 kurz nach Adolf Hitlers Machtergreifung im Januar 1933 bereits wieder geschlossen worden.

Barofsky verlangte nun eine Ausweitung der Suche, was die CS als nicht zielführend erachtete, zudem stiess sie sich an seiner intransparenten Arbeitsweise als auch am luxuriösen Salär. Nach der Entlassung habe Barofsky mündlich gar implizite Drohungen ausgestossen, einen vernichtenden Bericht zu schreiben, der publik werde, behaupten involvierte Personen. Barofsky und Jenner & Block reagierten nicht auf Anfragen. Die UBS bestätigt einzig, Barofsky bei seinen Untersuchungen vollumfänglich zu unterstützen.

Sicher ist, dass die Angelegenheit beim Haushaltsausschuss des US-Senats landete, diesem obliegt die Rechtsprechung über das Büro der Sondergesandten für Holocaust-Angelegenheiten. Der Ausschussvorsitzende Sheldon Whitehouse und der Senator Chuck Grassley leiteten nun eine Untersuchung ein. Heute rapportiert Barofsky an die beiden, ihm offenbar wohlgesinnten hochrangigen US-Politiker. Diese erteilten ihm den Auftrag, in der Angelegenheit CS «sämtliche Steine umzudrehen».

Schliessen der Lücken

Barofsky hat also eine Carte blanche erhalten; und das von ihm überwachte Team aus UBS-Mitarbeitern, Forensikern von Alix Partners, Wissenschaftern und Anwälten besitzt vollen Zugriff auf alle CS-Unterlagen mit Bezug zur Nazizeit. Die Archive seien riesig, ist zu hören, viele Dokumente liegen in Zürich, aber auch in anderen Ländern Europas und in Südamerika.

In seiner E-Mail schreibt Barofsky auch, 3600 Schachteln mit neuen Dokumenten identifiziert zu haben. Diese Aussage sei irreführend, kritisieren Befragte. Jene Schachteln seien immer schon Teil des historischen Archivs gewesen. Auch bei den früheren Untersuchungen durch die Kommission Paul Volcker und die Expertengruppe Jean-François Bergier seien diese gesichtet worden.

Allerdings hätten jene bewusst nicht alle Spuren weiterverfolgt, weil der Aufwand als zu gross antizipiert worden sei. So auch nicht die nun von Barofsky angepeilten «Individuen und die juristischen Personen, die den Nazis oder mit Nazis verbundenen Partnern beim Bewegen, Überweisen oder Verbergen von geraubten Vermögenswerten halfen». Bereits 1997 hatte der heutige Chefredaktor der «NZZ am Sonntag» Beat Balzli in seinem Buch «Die Schweiz und die Vermögen der Naziopfer: Eine Spurensuche» ausführlich die verabscheuenswürdigen Methoden geschildert, wie auch Banker der damaligen CS Konten jüdischer Inhaber an die Gestapo verrieten und gestohlene Vermögen und Wertpapiere vergoldeten. Balzli warnte damals davor, dass Helfershelfer und Intermediäre ungestraft davonkommen könnten.

Genau diese Lücke will Barofsky nun schliessen. Dass die furchtbaren Verbrechen der Nazis nicht in Vergessenheit geraten dürfen und allfällige nicht gesühnte Verbrechen aufgearbeitet werden müssen, darin sind sich alle Befragten einig. Uneinig ist man sich über die Grenzen. Involvierte verweisen auf die massiven Schwierigkeiten, selbst mit der neuesten Technologie, angesichts der äusserst anspruchsvollen Datenlage. Viele Bankkonten wurden damals mit nur ganz wenigen Informationen äusserst diskret aufgesetzt.

Exemplarisch zeigt sich das an einer Liste nazifreundlicher Anwälte in Zürich, die die Bergier-Kommission publiziert hatte. Barofsky könne zwar aufzeigen, dass einige dieser Anwälte ein Konto bei der damaligen CS gehabt hätten, was ja nicht überraschend sei, so ein Insider. Nun aber angesichts der vorliegenden Unterlagen zu belegen, dass jemand wirklich über diese Bankkonten Nazis geholfen habe, das werde sehr schwierig.

Ein weiterer Befragter betont, dass klar sein müsse, dass Barofsky eine historische Abklärung mache. Geldforderungen dürften daraus keine erwachsen, denn diese seien mit dem globalen Vergleich von 1999 abschliessend geregelt. Dennoch rechnen einige Befragte damit, dass es zu entsprechenden Untersuchungen auch bei der UBS kommen könnte. Weil dort mehr Dokumente aus der Nazizeit vernichtet worden seien, würden sich die Untersuchungen noch aufwendiger gestalten als bei der CS, so Befragte.

Apropos Kosten: Offenbar verhält sich Barofsky heute etwas zurückhaltender als noch in Runde eins. In den ersten anderthalb Jahren als Ombudsmann habe er nur in den teuersten Hotels logiert und auf Erstklassflüge für sich und sein Team bestanden, war damals zu hören. Barofsky sei mit ihr «nur» in der Businessclass gereist, erklärt dagegen eine Person, die heute mit ihm arbeitet.

Allerdings habe er seinen Stundenansatz erhöht, die UBS bezahle ihm derzeit sagenhafte 2300 Dollar pro Stunde. Laut einem Informanten können in den amerikanischen Topkanzleien nur vereinzelt Partner ein derart hohes Honorar verlangen. Für sein erstes Ombudsmann-Mandat erhielt Barofsky dann insgesamt gut 25 Millionen Dollar Salär.

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